Freyung. „Je älter wir werden, desto unvernünftiger sind wir wohl auch“, bringt ein gut aufgelegter Patrick „Patrone“ Fuchs, Frontmann und Sänger der Freyunger Rock-Combo „Searching For A Reply„, auf den Punkt, was es mit ihrer neuen Single auf sich hat. Wollten die Mitglieder der Band zuletzt noch möglichst tiefsinnige und weltverbessernde Botschaften ihrer stetig wachsenden Anhängerschaft kredenzen, legen sie mit „Kiss my Nuts“ („Küss meine Eier“) nun eine vor allem inhaltliche 180-Grad-Wende aufs Parkett.

„Weniger traurige Deep-Sachen – mehr hin zu den Themen, die das Leben und den Alltag unmittelbar ausmachen“ – so lautet die künftige Devise von „Searching For A Reply“.
„Wir haben – wie so viele andere auch – versucht, die Corona-Pause für eine kreative Phase zu nutzen“, erklärt der 29-Jährige mit Blick zurück auf die vergangenen Monate. Der Proberaum entwickelte sich zur Diskussionskammer, in der die künftige Ausrichtung der Band bei so manch hitzig-konstruktivem Streitgespräch im Mittelpunkt stand. „Und aus irgendeinem, aus unserer Sicht unerklärbarem Grund, ist das alles relativ zweideutig geworden“, berichtet Patrone, grinst und fügt schnell hinzu: „Gut, bei Kiss my Nuts ist es relativ eindeutig…“
„Das war eine Art Heureka-Moment“
„Wir wollen weg vom Traurig-Ernsten, hin zu den guten Seiten des Lebens schwenken – und das auch durchaus provokant“, lautet die neue Zielvorgabe, die auf einem mehr oder weniger wohl überlegten Konzept beruht. Im musikalischen Findungsprozess spielte dann aber doch auch der Zufall eine große Rolle: Denn es sei dabei das herausgekommen, was keiner erwartet hatte – am Ende jedoch allen gefiel: „Rock mit Glam- und 80’s-Einflüssen“, wie Fuchs den neuen SFAR-Sound beschreibt, gepaart mit frivol-spaßbetonten Texten. „Wichtig ist dabei jedoch gar nicht so sehr, wie man das Ganze kategorisiert, sondern dass wir unseren Weg als Band gefunden haben.“
Die weiteren Songs nach „Kiss my Nuts“ sollen nun thematisch in eine ähnliche Richtung gehen. „Das war eine Art Heureka-Moment von Patrick“, wie sein Bandkollege Johannes „Jojo“ Späth (u.a. Apocryphal), der seit Herbst 2019 bei SFAR in die Saiten haut, verdeutlicht. „Er hatte mir in einer nächtlichen Textnachricht mitgeteilt, dass er von nun an sexuellere Texte schreiben möchte.“ Woraufhin Späth an seinen Kumpel mit großem Augenzwinkerer antwortete: „Okay, wenn das jetzt dein Anspruch ist, dann klinke ich mich als institutionell beglaubigter wie geschulter Vulgär-Poet in die Sache mit ein und arbeite mit dir an deinem neuen Anspruch.“
Die „pseudo-tiefgründigen Badewannen-Rasierklingen-Metaphern“ haben demnach ausgedient. „Wir wollen uns selbst nicht mehr so ernst nehmen“, betont der Gitarrist – und Patrone ergänzt: „Wir wollen künftig mit mehr Ironie an die Sache rangehen. Das macht uns allen sichtlich mehr Spaß.“
„Der Stock im Arsch wird immer sichtbarer“
„Es sind doch seltsame Zeiten, in denen wir leben. Die kulturelle und politische Elite propagiert eine zwischenmenschliche Etikette mit einem Maß an Prüderie, das selbst dem Papst peinlich wäre – und die Kids haben mehr Angst davor, ihr I-Phone zu verlieren als ihre Jungfräulichkeit.“

Patrick Patrone: „Unser Song ist nicht sexistisch. Es geht um Sex – und der betrifft alle Geschlechterrollen und -kombinationen.“
Ein Pitch-Text-Auszug, den die Jungs zu ihrem neuen Song sich mal eben aus der Hüfte geleiert haben – und der bei genauerem Betrachten alles andere als locker-flockig und „undeep“ daher kommt. Im Gegenteil – hier wird eine Botschaft mit Gehalt transportiert. „Das ist mit einem Augenzwinkern zu sehen, ja. Aber wenn man’s runterbricht, herrscht durchaus eine gewisse Form von Prüderie in der Gesellschaft“, ist sich Patrick Fuchs bewusst. „Einerseits: Der Stock im Arsch wird immer sichtbarer, gerade im zwischenmenschlichen Bereich wird man immer unnahbarer. Andererseits: Betrachtet man die Instagram-Fotos, die die Kids tagtäglich dort einstellen, kommt man zum Ergebnis, dass da irgendwas nicht zusammenpasst.“ Da herrscht offenbar eine Diskrepanz zwischen realem Leben und der Virtualität, was das Thema Freizügigkeit und sexuelle Aufgeschlossenheit angeht. „Da hat sich wohl eine neue Form von Prüderie entwickelt“, mutmaßt der 29-Jährige.

Bei der Entstehung von „Kiss my Nuts“ haben alle fünf Bandmitglieder gemeinsam mitgewirkt. „Zunächst gibt es eine Topline, dann schreibt jeder sein eigenes Instrument“, erklärt der SFAR-Frontmann den groben Kreativ-Prozess.
„Doch diese neue Prüderie tritt nur in ganz bestimmten Bereichen auf“, wirft Johannes Späth ein. „Vor allem in Bereichen, die relativ öffentlichkeitswirksam sind. Also nicht beim morgendlichen Gang zum Bäcker, sondern dort, wo der Anspruch besteht, dass Sprache Realitäten abbildet.“ Späth ist eben genau nicht der Meinung, dass Sprache Realitäten schafft. „Eigentum schafft Realität – egal, um welche Form der Diskriminierung es sich handelt, ob Sexismus, Rassismus, Klassismus oder was auch immer für ein -ismus“, ist der 31-Jährige überzeugt. „Ob Putzfrau, Raumpflegerin oder geprüfte Reinigungsfachkraft – wenn man nicht einmal Mindestlohn verdient, kann es einem wohl herzlich egal sein, wie man bezeichnet wird. Da hat der oder die Betroffene wesentlich einschneidendere Probleme. Genauso ist dieser beinahe pathologische Trend der Sprachregulierung nur ein Deckmantel dafür, dass gewisse Hebel nicht dort angesetzt werden, wo sie tatsächlich etwas bewirken könnten.“ Na, wenn das nicht „deep“ bzw. sozialkritisch ist…
Elwood Blues meets Dr. Gonzo
Zurück zur Musik. Von Fans ist die „Kiss-my-Nuts“-Nummer bereits mit „Airbourne“ bzw. „Nuancen von Neil Young“ verglichen worden – eine Einschätzung, die die beiden Bandmitglieder amüsiert, die sie jedoch nur zum Teil nachempfinden können. Sie selbst sehen sich eher in der Tradition von „Black Stone Cherry“ und „Extreme„: „Cooler 80’s wild Hard-Rock mit moderneren Einflüssen“, fasst Patrick Fuchs zusammen. „Wobei wir Neil Young immer in unseren Herzen mittragen“, ergänzt Jojo Späth sogleich.
Optisch erinnert Letzterer im neuen Video, das in der Freybühne vom Freyunger Kamera-Virtuosen Thomas „Bommel“ Weishäupl gedreht wurde, aufgrund seines schwarzen Hutes an Elwood Blues von den Blues Brothers. Patrick Patrone ähnelt wegen seiner Lockenmähne und dem wuchtigen Mantel Benicio del Toro alias Dr. Gonzo aus dem Film „Fear and Loathing in Las Vegas„. Die Farben Schwarz und Rot dominieren das Geschehen. Zudem steht Tänzerin Alina Uhrmann als visueller Hingucker immer wieder im Fokus des Clips.
Der Blick nach vorne verheißt jedenfalls viel Gutes, es steht einiges auf dem Plan für die Bayerwald-Rocker. „Wir arbeiten derzeit an einer neuen Single und wollen diese im Rahmen einer TV-Show promoten – mehr wird dazu aber noch nicht verraten“, gibt sich der Sänger noch bedeckt. Zudem stehen zwei, bestenfalls drei weitere Releases auf dem Programm in diesem Jahr. Auch ein stückweise veröffentlichtes und soweit möglich in Eigenregie gefertigtes Album ist mittelfristig einkalkuliert. „Und natürlich hoffen wir, dass Corona und alle anderen Umstände uns erlauben, vernünftige Konzerte zu spielen. Doch da sind wir guter Dinge…“
Stephan Hörhammer