„Am 19.12.2021, gegen 00.30 Uhr, stießen zwei unberechtigte Gruppen von insgesamt zehn Personen im Charm-Hotel aufeinander. Dabei kam es zum Streit zwischen den beiden Parteien, in deren Verlauf ein 21-jähriger Mann aus Rain einen 22-jährigen Mann aus Marktredwitz einen Faustschlag gegen den Kopf versetzte.
Zu der begangenen Körperverletzung werden zusätzlich noch alle Personen dieser beiden Gruppen wegen Hausfriedensbruch zur Anzeige gebracht.“
„Das war früher eine Goldgrube“
Was die Kriminalitätsrate betrifft, rangiert der Bayerische Wald eher im hinteren Bereich der Statistik. Derartige Polizeimitteilungen bilden eher die Ausnahme – so möchte man zunächst glauben. In der Gemeinde Bischofsmais, genauer gesagt im dazugehörigen Dörfchen Habischried, gehören jedoch Strafdelikte wie Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Diebstahl und – wie in diesem Falle – Körperverletzung beinahe schon zum Alltag. Der Tatort: Das „CHARM Hotel – Resort & Spa“, das seit seiner Insolvenz im Jahr 2016 leersteht. Statt Hotelgäste geben sich seitdem sog. „Lost Places“-Jäger und Vandalen die Klinke in die Hand.
Otto Seidl und Franz Brunnbauer beobachten jene Negativentwicklung mit Bedauern, aber auch mit Wut und Sorge. Der Vorsitzende der Dorfgemeinschaft Habischried sowie der Wirt der Ortschaft im Landkreis Regen erinnern sich noch bestens an die Entstehung der Anlage, an deren Blütezeit und an den Niedergang. „Das war früher eine Goldgrube“, sagt Seidl. Brunnbauer, in Sachen Dorfgeschichte ein wandelndes Lexikon, hat die dazugehörigen Jahreszahlen parat: 1972 sei mit dem Bau des weitläufigen Gebäudes, das aus der Vogelperspektive an eine Krake erinnert, begonnen worden. Zwei Jahre später würde es eröffnet – als „Kur – und Erholungsheim von Siemens“, wie der Gastronom weiß.
Gesellige Kegelabende im Hotel
Bis zu 40 Menschen seien dort als Rezeptionisten, Reinigungskräfte, Servicepersonal, im Küchenteam, als Hausmeister oder Gärtner beschäftigt gewesen. „Ganz Habischried hat davon profitiert. Nicht nur wegen der Arbeitsplätze. Der Metzger und Bäcker durften liefern. Viele Gäste kehrten zudem in den Wirtshäusern des Ortes ein“, erzählt Otto Seidl. Er selbst war – wie viele andere Dorfbewohner auch – regelmäßig mit Vereinen im Hotel zugegen. „Wir durften die Kegelbahn nutzen – zu damaligen Zeiten etwas absolut Besonderes.“ Auch das Hallenbad sei für die Nachbarn offen gestanden. „Das waren noch Zeiten“, schwelgt der Dorfgemeinschaftsobere in Erinnerungen. „Wir waren stolz, ein solches Haus im Ort zu haben.“
„Das Charm Hotel 2015, als es noch schön und nicht zerstört war“
2004 begann nach Angaben von Franz Brunnbauer jedoch der Niedergang des Feriendomizils. „Was man so hört, hatte die Siemens-Rentenkasse das Hotel auf 30 Jahre gepachtet. Und genau nach den drei Jahrzehnten war dann Schluss.“ Zu Zeiten des Technologie-Giganten seien bis zu 180 Gäste untergebracht worden. „Die waren drei Wochen da, dann war eine Woche Reinigungszeit, dann sind die nächsten gekommen“, berichtet Seidl. Die Auslastung im prozentualen Spitzenbereich reduzierte sich nach dem Siemens-Ausstieg. In der Folge wurden die Zimmer zunächst so umgebaut, das ein normaler Hotelbetrieb für knapp über 60 Urlauber möglich gewesen sei. „Mehrere Spekulanten waren von da an die Eigentümer“, stellt Brunnbauer fest.
„Wer tut sich diese Bruchbude schon an?“
Unter der holländischen Sandton-Kette sei es nochmal aufwärts gegangen, verdeutlicht der Betreiber des Gasthauses „Zum Alten Wirt“. Es wurde noch einmal renoviert, saniert und Werbung dafür gemacht. Die Anlage erlebte eine neuerliche Blütezeit, ehe unter belgischer Flagge und dem Namen „CHARM Hotel – Resort & Spa“ die Insolvenz angemeldet werden musste. „Was man so gehört hat, sind die Energiekosten immer höher geworden. Zu hoch.“ Seit 2016 sind die Pforten nun geschlossen – wobei dies nur sprichwörtlich verstanden werden kann. Denn nur kurze Zeit nach der Einstellung des Betriebes wurde das Objekt zu dem, was es heute nach wie vor ist: Ein verlassenes, verwüstetes ehemaliges Nobelhaus, in dem viele Fenster und Türen eingeschlagen oder aufgebrochen sind.
„Natürlich wird in Habischried darüber gesprochen, diskutiert und spekuliert“, verdeutlicht Otto Seidl. „Es gibt ja auch genügend Videos im Internet. Schaut man diese, ist man regelrecht erschrocken, was da drinnen nun vor sich geht. Es wurde gestohlen, was gestohlen werden kann. Möbel schwimmen im Hallenbad. Einfach traurig.“ Einmal hätte es einen Interessenten gegeben. Letztlich habe man sich aber nicht auf einen Kaufpreis einigen können, wie im Ort gemunkelt wird. Alles in allem wurde aus dem früheren Schmuckstück immer mehr eine „Gefahr für uns alle – viele fürchten sich schon, dass die, die da oben einbrechen, auch uns was tun“, spricht Seidl für viele besorgte Habischrieder. Er und Brunnbauer wünschen sich natürlich eine Reaktivierung der Destination. Glauben wollen sie aber nicht so recht daran. „Das ist ein massiver, stabiler Betonbau. Trotzdem: Wer tut sich diese Bruchbude schon an?“
170 Ermittlungsverfahren seit 2016
Und so hat die Polizeiinspektion Regen mit dem ehemaligen Siemens-Kurheim inzwischen mehr zu tun als booking.com & Co. Das Haus gilt inzwischen als Geheimtipp sog. „Lost Places“-Jäger, die quer durch Europa reisen, stets auf der Suche nach verlassenen Orten. Diese „Geschichtsjäger“ sind hauptsächlich auf Fotos und Videos aus („Souvenirs“) – und distanzieren sich mit Nachdruck von Diebstahl und Vandalismus. Dafür sind allen voran Trittbrettfahrer verantwortlich, die die Gunst der Stunde nutzen, Gegenstände stehlen oder die Einrichtung verwüsten. Egal, ob die einen oder anderen – wer das Objekt betritt, begeht eine Straftat. Entsprechende Hinweise der Gemeindeverwaltung auf eigens dafür aufgestellten Bauzäunen weisen darauf hin.
2018 – nur zwei Jahre nach der Schließung wurde dieses „Lost Places“-Video erstellt
„Seit Ende 2016 wurde die Polizeiinspektion Regen rund 60 Mal an die Einsatzörtlichkeit beordert, wobei tatsächlich insgesamt rund 170 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden“, berichtet Doris Schmid, Dienststellenleiterin der PI Regen, zu deren Zuständigkeitsbereich Habischried gehört. „Der Schwerpunkt der Delikte, 140 Anzeigen, lag dabei bei den Vergehen des Hausfriedensbruchs, in 20 Fällen wurden Diebstahlsdelikte angezeigt. Die Aufklärungsquote liegt hier insgesamt bei 96 Prozent.“ Es gab und gibt demnach einiges zu tun für die Beamten, die aufgrund dieses Schwerpunktes ohnehin um Dauerpräsenz in Habischried bemüht sind. Dreimal täglich, das wissen Otto Seidl und Franz Brunnbauer, fährt ein Polizeiwagen an der kleinen Kapelle vorbei und die kleine Anhöhe hinauf, um in der Senke dahinter nach dem Rechten zu sehen. „Auswirkungen auf Anwohner sind jedoch kaum gegeben“, stellt Doris Schmid fest und bezieht sich damit vor allem auf die Frage, ob es im Umfeld des Hotels vermehrt zu Straftaten gekommen sei.
Bürgermeister Nirschl: „Es gibt eine Unterlassungsandrohung“
Insgesamt aber eine alles andere als zufriedenstellende Situation. Und eigentlich eine Begebenheit, die dem Eigentümer des Resorts bitter aufstoßen müsste. Doch genau hier liegt der Haken an der Geschichte: Hog’n-Informationen zufolge sind derzeit belgische Insolvenzverwalter Herr im mehr und mehr verwüsteten Charm-Hotel. Eine entsprechende Kontaktaufnahme seitens des Onlinemagazins bleibt bis dato jedoch genauso unbeantwortet wie die Frage, was denn mit dem „verlassenen Ort“ künftig geschehen soll und was man gegen den Vandalismus zu unternehmen gedenke. Für die Polizei Regen ist der „Kontakt zum Eigentümer (Insolvenzverwalter) selbstverständlich möglich“.
Auch Bürgermeister Walter Nirschl hat im Sinne seiner kritischen Bürger bereits Kontakt zu den Insolvenzverwaltern aufgenommen. „Die Gemeinde Bischofsmais hat eine Versteigerung beantragt. Uns sind aber die Hände gebunden. Ansonsten kann ich keine weitere Auskunft geben, da es eine entsprechende Unterlassungsandrohung gibt“, teilt er dem Hog’n gegenüber mit. Franz Brunnbauer und Otto Seidl haben ebenfalls schon vom Schwingen der juristischen Keule gehört, weshalb sie unisono feststellen: „Wir müssen das wohl alles so hinnehmen, wie es ist. Wir sind eigentlich ein ruhiges Dorf – und möchten diese Ruhe gerne wieder zurück.“
Helmut Weigerstorfer