Katar. Der erste getötete Ausländer im „Nachkriegs-Irak“ 2003 war ein nepalesischer Wachmann. Im November 2004 wurden zwölf Nepalesen im Irak ermordet, die für US-Firmen wie Kellogg Brown gearbeitet hatten. 2016 tötete ein Selbstmord-Attentäter in Kabul 13 nepalesische Wachleute der kanadischen Botschaft. Das sind nur drei Beispiele, die den Blutzoll nepalesischer Billigarbeiter aufzeigen, damit sich Firmen aus dem Westen mit Kriegen eine „Goldene Nase“ verdienen konnten.
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Tausende Billiglohnarbeiter ließen beim Bau der WM-Stadien in Katar ihr Leben. Symbolfoto: pexels.com/ Yuri Kim
Ohne diese Billigarbeiter (auch aus anderen Ländern) hätten die Kriege im Irak oder in Afghanistan wohl nicht geführt werden können. Zwar zahlten die US-Regierung, ausländische Pendants und private Unternehmen ihren Billigkräften mehr als katarische Betriebe, doch das Ergebnis war dasselbe: Hunderte von Nepalesen erhielten für ihre gefährliche Arbeit im Irak oder in Afghanistan nur zwischen 500 und 900 US-Dollar monatlich. Das Zwei- bis Dreifache steckten sich ihre Arbeitsagenten in die Taschen.
Korruption war bei fast allen WM-Vergaben im Spiel
Seit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Katar im Jahr 2010 starben laut Recherchen des Guardians 6.750 Billiglohnarbeiter in der Monarchie am Persischen Golf, darunter 1.641 Menschen aus Nepal. Das ist eine schockierende Zahl. Nur steht das Emirat nicht alleine da, wenn es sich am Blut billiger Arbeitskräfte bereichert. Neben den Kriegen in Afghanistan und dem Irak könnten an dieser Stelle seitenlange Aufzählungen folgen, wie Menschen direkt und indirekt zu Tode kommen oder ausgebeutet werden, damit auch westliche Firmen an Rohstoffe und westliche Bürger an günstige Nahrungsmittel oder Kleidung gelangen.
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Was wurden die Menschen beschimpft, die sich gegen eine WM 2006 in Deutschland aussprachen, weil so etwas nur mit Korruption zu bekommen sei… Symbolfoto: pixabay.com
Auch der Vorwurf, ein Sport-Großereignis wie eine Fußball-Weltmeisterschaft nicht an eine Diktatur zu vergeben, ist scheinheilig. Die WM 1978 fand in der Militärdiktatur Argentinien statt. Und auch sonst hat der Westen kein Problem mit Diktatoren, siehe Irak: Als die irakische Armee 1987 bei einem Giftgasangriff im kurdisch bewohnten Halabdscha 3.000 bis 5.000 Menschen tötete, scheiterte eine Verurteilung des UN-Sicherheitsrates am Veto der USA. Saddam Hussein war damals noch „unser Guter“ im Kampf gegen den Iran. Bis 2007 war es in Pakistan Armee-Diktator Pervez Musharraf. Erst im Dezember 2021 gab es deutsche Rekord-Waffenlieferungen an die „Schein-Demokratie“ Ägypten.
Dass Katar die WM nur durch Korruption bekommen hat, ist nun so gar kein Boykott-Grund. Denn: Korruption war bei fast allen WM-Vergaben der letzten 24 Jahre im Spiel. Was wurden die Berliner 1993 vom Rest des Landes noch verteufelt, dass sie keine Olympischen Spiele in ihrer Stadt wollten. Was wurden die Menschen beschimpft, die sich gegen eine WM 2006 in Deutschland aussprachen, weil so etwas nur mit Korruption zu bekommen sei. Jahre später schimpften dann dieselben Medien auf Kaiser Franz – wegen „lumpiger fünf Millionen Euro“: Der Rest der Welt staunte. Aber in Deutschland war man „schockiert“: Franz, wie konntest Du nur…
Eine Mehrheit, die offensichtlich benachteiligt wird
Es gibt nur einen einzigen Grund, die Fußball-WM nicht nach Katar zu vergeben – darin sind sich sogar die USA, Deutschland, China und Russland (prinzipiell) einig: Frauen sind gleichberechtigte Menschen. Im Land des diesjährigen Gastgebers sieht das aber so aus:
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Symbolfoto: pexels.com/ cottonbro
Nach katarischem Gesetz braucht eine Frau – unabhängig von ihrem Alter – unter anderem die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, um zu heiraten. In der Ehe kann sie als „ungehorsam“ eingestuft werden, wenn sie ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeitet, verreist, das Haus verlässt oder ihm ohne „triftigen Grund“ Sex verweigert. Männer können bis zu vier Frauen gleichzeitig heiraten und benötigen dafür keine Erlaubnis. Frauen müssten sich durch „vom Staat durchgesetzte Regeln männlicher Vormundschaft bewegen, die ihre Chancen auf ein volles, produktives und unabhängiges Leben begrenzen, wie etwa Human Rights Watch informiert.
Soll nun auch eine der wenigen Gemeinsamkeiten in den meisten Ländern der Erde unterlaufen werden? Gerade angesichts des opferreichen Kampfes von Frauen für Gleichberechtigung? Die sogenannten Suffragetten in den Vereinigten Staaten und Großbritannien schreckten auch nicht vor dem Mittel des Hungerstreiks zurück – vor Polizeiknüppeln auf Demonstrationen und Gefängnistrafen schon gar nicht. Ja, noch immer bekommen auch in Deutschland Frauen weniger Lohn für ihre Arbeit als Männer. Doch das gilt auch für die Menschen in Ost-Deutschland generell. Da gibt es also in einer Demokratie eine Mehrheit, die offensichtlich benachteiligt wird…
Eine der intolerantesten Auslegungen des Islams
Rummenigge, Hoeneß und Co. argumentieren, das eine WM-Vergabe nach Katar dem Emirat auf dem Weg in die „Moderne“ helfen könne. Genauso gut könnte man behaupten, dass ein Engagement von Katar beim Fußball-Club Hertha B.S.C. Berlin das Emirat spätestens nach fünf Jahren in den Staatsbankrott treiben würde. Beide Einschätzungen haben auf den ersten Blick ihre Berechtigung, sind jedoch bei eindringlicher Betrachtung sehr unwahrscheinlich. Ja, Katar ist bei weitem sozial-moderner und toleranter als Saudi-Arabien – auch in der Auslegung des Wahhabismus. Doch dieser bleibt eine der intolerantesten Auslegungen des Islams (in Deutschland bekannter unter dem Ableger Salafismus). So gut wie jeder islamische Attentäter in Europa hat sich bis dato auf diese Islam-Auslegung berufen.
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Auch in Nordpakistan-Hunza zeigt sich: Wo Frauen gleichberechtigt leben können, gibt es mehr Fortschritt. Foto: Gilbert Kolonko
Und eigentlich sieht Bayerns Rummenigge die Geschäfte mit Katar als das, was sie sind: „Wir haben gutes Geld für Bayern München aus diesem Vertrag bekommen. Und dieses Geld ist in einer gewissen Notwendigkeit auch wichtig, um die Spieler zu bezahlen, damit man auch gute Qualität auf dem Platz hat.“
Als jemand, der elf Jahre Dauergast in Pakistan war, ist einem völlig bewusst, dass es unmöglich ist, die Stellung einer Frau in der Gesellschaft von heute auf morgen zu verbessern. Auch weil viele Frauen in Pakistan ihre Stellung als völlig normal empfinden und daher keinen Grund sehen, diese zu ändern. Deswegen würde der Autor dieser Zeilen auch gegen eine Vergabe der Fußball-WM nach Pakistan sein. Wenn die Mehrheit der Gesellschaft in Pakistan meint, die Hälfte ihrer Bevölkerung sei anders zu behandeln, als im überwiegenden Rest der Erde, ist das ihre Sache. Aber dann muss diese Gesellschaft auch damit leben, dass Großereignisse, die Menschen miteinander verbinden sollen, nicht in ihrem Land ausgetragen werden. Ganz einfach: weil Frauen gleichberechtigte Menschen sind.
„Aufhören, so einen ignoranten Unsinn zu verbreiten“
Es gibt bestimmte Errungenschaften im 21. Jahrhundert, die dürfen nie wieder verhandelbar sein – und zum Glück gibt es überall Menschen wie Miesha Tate, die dies verinnerlicht haben. Tate ist weder Menschen- noch Frauenrechtlerin, sondern eine 35-jährige ehemalige Kampsportlerin. Nach eigener Aussage war ihr das wichtigste der WM-Titel im bedeutendsten Mixed-Martial-Arts -Verband UFC. Und trotzdem: Jedes Mal, wenn ihr Kollege und Superstar Khabib Nurmagomedov äußerte, Kampsport wäre nichts für Frauen, war Tate eine der wenigen, die ihm prompt sachlich die Meinung geigte: „Wenn er eine Frau findet, die zu Hause bleibt und ihn bedient, ist das seine Sache. Aber er soll aufhören, das auf alle Frauen zu beziehen. Aufhören, so einen ignoranten Unsinn zu verbreiten.“
Mittlerweile hat Nurmagomedov seinen eigenen Kampsportverband gegründet, der auch Veranstaltungen in den USA austrägt. Er hat bereits geäußert, dass Frauen in seinem Verband so schnell nicht zu sehen sein werden. Da es sein Verband ist, kann er dies so machen. Doch westliche oder chinesische wie russische Sponsoren und Kämpfer, die dabei mitmachen, sägen mit am einzigen stabilen Pfeiler der Errungenschaften dieser Erde: Frauen sind gleichberechtigte Menschen.
Bis auf die Golfstaaten, die erst der Westen ökonomisch groß gemacht hat und die nur deswegen bis heute ihre intolerante Islam-Auslegung in der Welt verbreiteten können, haben sich ausnahmslos diejenigen Staaten ökonomisch gut entwickelt, die ihre Frauen als gleichberechtigt akzeptiert haben. Auch China wäre nicht da, wo es jetzt ist, ohne seine Frauen. Russland dagegen würde ökonomisch vielleicht besser da stehen, wenn sie den leichten Rückstand in Sachen Gleichberechtigung schnell aufholen würden. Frauen sind laut einer Studie weniger korrupt als Männer. Dass die ehemalige Weltmacht noch immer ein großes Problem mit Korruption hat, steht wohl außer Frage – bei aller Kriegstreiberei auch der deutschen Transatlantiker…
„Seit wann sperrst du deine Frau zu Hause ein?“
Der Aufruf zum Katar-Boykott bedeutet nicht, Waren oder sonstiges aus Katar zu boykottieren, sondern jedes Spiel und jeden Artikel, der mit dieser WM zu tun hat. Dazu sollte jede menschliche Kommunikation über diese Weltmeisterschaft verweigert werden – und wer trotzdem einen Kommentar zu einem WM-Spiel hören möchte, dem sei entgegnet: „Seit wann sperrst du deine Frau zu Hause ein, wenn sie nicht pariert?“ Und falls es eine Sie sein sollte: „Was machst du abends alleine auf der Straße, ohne Begleitung eines Familienangehörigen?“
Gilbert Kolonko