FRG/DEG/SR/PA. Bis weit in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hinein stellte Altersarmut ein großes Problem dar. Nach einem zwischenzeitlichen Hoch in den Nachkriegszeit hat sie nun wieder deutlich zugenommen. Etwa jede fünfte Rentnerin sowie jeder fünfte Rentner in Deutschland erhält weniger als 500 Euro im Monat vom Staat, wie das Bundessozialministerium jüngst mitteilte. Insbesondere in Bayern gelten viele Seniorinnen und Senioren als armutsgefährdet.
Anlass genug, um bei den heimischen Bundes- und Landtagsabgeordneten einmal nachzufragen, wie sie zu diesem Thema stehen und die Entwicklungen in diesem Bereich bewerten. Wir haben sie danach gefragt, welche Ursachen der Zunahme von Altersarmut ihrer Meinung nach zugrunde liegen und welche Wege sie für gangbar erachten, um dem Problem Herr zu werden (Um zu den Antworten der Abgeordneten zu gelangen, einfach auf den jeweiligen Namen klicken.)
Das sagen die Bundes- und Landtagsabgeordneten aus der Region
- MdB Rita Hagl-Kehl (SPD)
„Die Zahlen sind alarmierend und leider bei uns in der Region noch schlechter. So lag beispielsweise in meinem Heimatlandkreis Freyung-Grafenau 2019 die durchschnittliche gesetzliche Altersrente einer Neurentnerin bei nur 592 Euro – in München zum Vergleich bei 890 Euro.
Diese Entwicklung hat in unserer Region verschiedene Gründe. Zunächst war der Bayerische Wald in der Vergangenheit von einem starken Strukturwandel betroffen. Bereits seit den 1980er Jahren kam es zur zunehmenden Abwanderung von Industrie und großen Betrieben – man denke beispielsweise an die Glashütten – und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit. Diese Zeit fehlt jetzt, 30 Jahre später, vielen Menschen als Beitragszeit in der Rentenversicherung.
Gleichzeitig lag bzw. liegt der Durchschnittslohn deutlich niedriger als beispielsweise in Oberbayern oder Schwaben – hier kommt es leider erst in den letzten Jahren zu einer sehr langsamen Annäherung – und viele Beschäftigte arbeiten immer noch ohne Tarifvertrag. Zudem waren wir in der Vergangenheit tendenziell stärker von saisonaler Arbeitslosigkeit betroffen und verzeichneten im Winter einen deutlich höheren Anstieg der Arbeitslosenquote als andere Regionen in Bayern oder Deutschland. Besonders Frauen waren zudem von dem mangelhaften Betreuungsangebot für Kinder betroffen und konnten deshalb nicht arbeiten – selbst wenn sie eine passende Arbeitsstelle gefunden hätten.
Als letzten Punkt dürfen auch nicht die vielen kleinen landwirtschaftlichen Betriebe vergessen werden, die in der Vergangenheit dem Preisdruck nicht gewachsen waren, aufgeben mussten und aufgrund dessen es jetzt an einer ausreichenden Altersversorgung mangelt.
Besonders für Menschen, die zwar ein Leben lang hart gearbeitet haben, dies jedoch leider im Niedriglohnsektor, haben wir mit der Einführung der Grundrente einen wichtigen Schritt zu mehr Geld im Alter getan. Auch von der geplanten Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro zum 1. Oktober 2022 werden viele Menschen in Bezug auf ihre Rentenhöhe profitieren, da ihre Beitragshöhe in die Rentenversicherung mit ansteigen wird. Zudem profitieren insbesondere Frauen von der Erweiterung der sogenannten „Mütterrente“, durch die Erziehungszeiten eine gerechtere Berücksichtigung bei der Berechnung der Rentenhöhe finden.
Vor allem aber müssen wir in Zukunft die Anzahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor oder in atypischen Beschäftigungsverhältnissen reduzieren und insbesondere Frauen dabei unterstützen, in regulären Beschäftigungsverhältnissen zu arbeiten – zum Beispiel durch den weiteren und passgenaueren Ausbau der Kinderbetreuung oder eine Verbesserung der Fortbildungsangebote während und nach der Erziehungszeit.
- MdL Alexander Muthmann (FDP)
„Zunächst einmal ist jede Form der Armut ein Auftrag an unsere Gesellschaft. Denn alle haben einen Anspruch auf ein würdiges Leben. Dabei sind jedoch statistische Zahlen differenziert zu betrachten. So ist etwa nicht jede Person, die eine niedrige Rente erhält, von Armut bedroht. Die spezifische Lebenslage, sprich: Vermögen, Einkünfte innerhalb der Ehe, andere Einkunftsarten etc – entscheidet.
Andersherum können auch Menschen mit einer hohen Rente arm sein, etwa bei hohen Schulden. Auch ist zu prüfen, welche statistischen Vergleichswerte für die Lebenskosten – Landes- oder Bundeswerte – herangezogen wurden. All das macht das Thema der Statistiken so schwierig. Denn diese helfen uns nur bedingt weiter. Wir müssen Armut dort erkennen, wo sie tatsächlich besteht. Denn Armut – gerade im Alter – ist ein unhaltbarer Zustand, den die Gesellschaft auffangen muss.
Es gibt viele Gründe, warum gerade Frauen in diesen Statistiken als besonders bedroht gelten. Insbesondere die tradierten Familienbilder, bei der die Frauen zu Hause geblieben sind, sich um die Familie gekümmert haben und nicht selbst für ihre Rente sorgen konnten, können ein Grund für diese Entwicklungen sein. Natürlich können auch schwierige individuelle Lebenslagen zu Problemen im Alter führen. Gleichzeitig muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass viele durch ihre Einkommensverhältnisse nicht in der Lage waren, sich eine auskömmliche Rente zu ermöglichen. Insbesondere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse wirken sich bei der Rente leider spürbar negativ aus. Die steigenden Lebenshaltungskosten spielen hier natürlich auch eine Rolle.
In Sachen Problembewältigung müssen wir von mehreren Seiten herangehen. Akut ist es wichtig, Menschen in Armut die nötige Unterstützung zukommen zu lassen. Wenn ich höre, dass beispielsweise Anspruchsberechtigte sich schämen, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, müssen wir das ändern. Unsere Gesellschaft muss ein Klima schaffen, in der es völlig in Ordnung ist, nötige Hilfe anzunehmen. Das muss ganz niederschwellig und lokal passieren.
Für die Zukunft müssen wir darauf achten, dass jeder und jede die Möglichkeit hat, sich selbst für die Zukunft abzusichern. Erwerbstätigkeit in qualifizierten Berufen hilft hier und wir sehen hier durchaus positive Entwicklungen. Die FDP hat im Bund auch eine Reform des Rentensystems in den Koalitionsvertrag verhandelt. Dieses muss auch private Vorsorgemöglichkeiten fördern. Aber dort, wo trotz dieser Anstrengungen keine auskömmliche Rente zustande kommt, muss die Grundsicherung ein würdevolles Leben garantieren.“
- Alois Rainer (CSU)
„Diese Zahlen zeigen uns vor allem, dass noch einiges für eine bessere Altersversorgung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger unternommen werden muss
Die landwirtschaftliche Prägung Bayerns in den zurückliegenden Jahrzehnten spielt hier gewiss eine Rolle. Arbeiter und Bauern, die jetzt im Ruhestand sind, haben teilweise weniger Rentenbeiträge während ihrer Erwerbstätigkeit eingezahlt. Und wenn ein Hof frühzeitig aufgegeben werden musste, ist die wichtigste Einnahmequelle auch weggefallen. Die Rentensituation der Frauen erklärt sich vor allem durch die Rollenverteilung in den Familien. Denn anders als heute haben die meisten Frauen ihre Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise aufgegeben, um die Kinder großziehen zu können.
Für die jetzt Betroffenen braucht es vor allem schnelle und wirksame Reformen, die ihre Rente aufbessern. In der Großen Koalition haben wir beispielsweise die Mütterrente als Teil des Rentenpakets eingeführt, um die Kindererziehungszeit finanziell höher anzuerkennen. Aber natürlich reicht das für die Zukunft nicht mehr. Man könnte an dem Mindestrentenniveau, der Grundrente, der Ausstattung der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer zusätzlichen Kapitaldeckung und bei vielem mehr ansetzen. Die neue Bundesregierung ist hier gefordert, an unsere Rentenbeschlüsse der letzten Wahlperioden anzuknüpfen und zügig neue Reformen auf den Weg zu bringen.“
Präventiv muss der Staat auch für die Versorgung der noch kommenden Rentengenerationen handeln. Das beginnt bereits bei der umfassenden Bereitstellung von Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, der Flexibilisierung der privaten Altersvorsorge und der Stärkung der gesetzlichen Altersvorsorge.“
- Muhanad Al-Halak (FDP)
„Altersarmut muss stärker bekämpft werden. In diesem Zusammenhang sind mir Respekt und soziale Sicherheit persönlich auch ein großes Anliegen – vor allem dann, wenn Menschen in ihrem Leben hart gearbeitet oder beispielsweise Angehörige gepflegt haben. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu viele Bausteine integriert, die wir möglichst schnell umsetzen wollen. Die Versäumnisse der Vergangenheit sind nicht zu übersehen.
Die Rente muss sicher und so hoch sein, dass man davon leben kann. Frauen sind häufiger davon betroffen, weil sie u. a. meist eine Unterbrechung des Arbeitslebens hatten, um die Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen. Außerdem ist das „Pro-Kopf-Einkommen“ bei Frauen meist geringer – das spiegelt sich bis dato in der Höhe der Rente wider. Ganz allgemein ist es auch der Niedriglohnsektor bei dem man als Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin weniger in die Rentenkasse einzahlt und folglich auch weniger erhält. Da konnten wir in der Koalition bereits gegensteuern.
Die genannten Ungleichbehandlungen im Rentensystem werden wir möglichst schnell korrigieren. Mit dem Bürgergeld wird die Grundsicherung fair erneuert. Persönlich werde ich mich besonders dafür einsetzen, dass die Pflege von Angehörigen als auch die Kindeserziehung besser honoriert wird und keine späteren Nachteile im Rentenbezug entstehen.
Für die Zukunft wollen wir zudem faire Chancen für die jungen Generationen. Das Vorankommen der eigenen Karriere darf nicht mehr vom Status der Eltern abhängig sein. Ein massiver Baustein wird hier die wesentliche Erweiterung von Bafög sein, damit eine selbstbestimmte Weiterbildung und Weiterentwicklung möglich sind. Die Minijob-Grenze haben wir bereits von 450 auf 520 Euro erhöht. Für den Niedriglohnsektor haben wir den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben – bereits nach weniger als zwei Monaten Regierungsverantwortung kann man deutlich sehen, dass sich viel tun wird.
Im Koalitionsvertrag haben wir viele wichtige Inhalte und Ziele fest vereinbart, um Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen. Unabhängig davon sehe ich meine Hauptaufgabe als Politiker darin den Menschen weiter zuzuhören, Probleme ernst zu nehmen und nach Lösungen zu suchen.“
- Ralf Stadler (AfD)
„Die Zahlen sind erschreckend. Es bestätigt, dass die ehemals staatstragende Partei mit dem „S“ im Parteinamen nicht mehr viel am Hut hat. Hier muss dringend gegengesteuert werden.
Zunächst sind von der Altersarmut auch viele Frauen betroffen, die als Hausfrau nicht in die Rentenkasse eingezahlt haben oder nur als geringfügig Beschäftigte angestellt waren.
Bezieher niedriger Renten sollen bessergestellt werden, indem ein Viertel der gesetzlichen Rente bei der Berechnung möglicher Ansprüche auf Grundsicherung im Alter nicht mit eingerechnet werden soll. Damit wird die Altersarmut verhindert oder zumindest deutlich verringert.“
- Erhard Grundl (Bündnis 90/ Die Grünen)
„Die Zahlen sind schrillende Alarmglocken und das Resultat einer verfehlten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in den letzten Jahren
speziell in Bayern.
Das lange Zeit gerade in Niederbayern propagierte Familienbild, bei dem der Ehemann den Großteil der Einkünfte generiert und die Frau bestenfalls einen kleinen Anteil am Einkommen beisteuert, führt zu solchen Zahlen. Die fehlenden Beitragszahlungen, speziell bei Frauen, die ihr Leben lang etwa in der Landwirtschaft gearbeitet haben, verschärfen die Situation.
Langfristig hilft nur, die beitragspflichtige Erwerbssituation – besonders bei den Frauen – zu verbessern. Steuerliche Relikte wie das Ehegattensplitting müssen abgeschafft werden. Wir müssen weitere Anreize dafür schaffen, dass die Leute in die Rentenkasse einzahlen. Zum Beispiel durch eine Garantierente, bei der geringe Rentenansprüche von Rentnern mit mindestens 30 Versicherungsjahren so aufgestockt werden, dass die Gesamtrente ein Mindestniveau von 30 Entgeltpunkten erreicht.“
Umfrage: Stephan Hörhammer
Anmerkung: vom Landtagsabgeordneten Christian Flisek (SPD) gab es keine Rückmeldung hinsichtlich unserer Anfrage. Ebensowenig von MdL Toni Schuberl (Bündnis 90/Die Grünen). Die Bundestagsabgeordnete Corinna Miazga (AfD) konnte den Redaktionsschluss für unsere Umfrage aus terminlichen Gründen nicht einhalten. Keine Rückmeldung kam ebenfalls von MdB Thomas Erndl (CSU).
Die Stellungnahmen der beiden niederbayerischen Landtagsabgeordneten Max Gibis und Manfred Eibl, beide Mitglieder der Regierungsparteien CSU bzw. Freie Wähler, haben wir in einem gesonderten Artikel zum Thema bereits veröffentlicht.