Haunersdorf. Wenn sie einmal ins Reden kommt, ist sie kaum noch zu bremsen. Dann sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus. Und es gilt für so manchen in Deckung zu gehen. Ja, Sprache ist ein elementarer Bestandteil in Teresa Reichls Leben – sei’s bei ihren Video-Auftritten im Internet, ihrem Lehramtsstudium oder auf der Bühne, wo sie seit etwa zwei Jahren als Kabarettistin unterwegs ist – sofern Corona dies zulässt. Was zu ihrem Leidwesen bis dato nicht wirklich der Fall war…
Geboren ist die quirlige Plaudertasche, die sich selbst als „semiprofessionellen Scherzkeks“ bezeichnet, in Haunersdorf, einem 450-Seelenort in der Nähe von Simbach bei Landau an der Isar. Ihre Kindheit war unbeschwert, sagt sie. Mit viel Dorfkulisse und viel Zeit an der frischen Luft. Bereits an ihrem ersten Schultag wusste sie, was sie später einmal werden möchte: nämlich Lehrerin. „Da stand nie etwas Anderes zur Debatte“, erinnert sich die heute 25-Jährige. Doch es kam anders.
„Ich wusste gar nicht, worum’s da geht“
Als G8-Schülerin am Landauer Gymnasium hat sie bereits in der Schule viel Theater gespielt. Sie wusste schon damals ihr Publikum zu unterhalten. Hatte Freude daran, auf der Bühne zu stehen. Ihr Abitur hat sie mit Note 1,7 hingelegt. Neben Englisch und Religion auch im Fach Musik – und das trotz einer Sehnenscheidenentzündung. „Ich hab‘ vor der Prüfung a bisserl zu ambitioniert geübt“, erzählt sie. Sie saß „täglich 14 Stunden“ am Klavier. „Und dann war ich die erste Person überhaupt, die jemals an unserer Schule das Musik-Additum abbrechen und in die mündliche Prüfung musste“, denkt sie heute mit einem Lachen zurück. Im Anschluss absolvierte sie ein freiwilliges soziales Jahr an ihrer Schule, wo sie die dortige Theatergruppe leitete und erstmals in den Genuss des Unterrichtens kam.
Dann ging’s zum Studium nach Regensburg: Deutsch und Englisch für Lehramt Gymnasium lautete die Entscheidung. Zwölf Semester ist sie geblieben. „Alles war sehr wenig praxisbezogen – und ich war die nervige Studentin, die immer hinten drin gesessen ist und gefragt hat: Ja, aber was mach ich denn dann im Unterricht, wenn’s soweit ist?“
Ihre Leidenschaft fürs Theater hatte sie gleich mitgebracht in die Oberpfalz – und landete beim Poetry Slam in der „Alten Mälzerei„. Mehr oder weniger unfreiwillig. „Ich wusste gar nicht, worum’s da geht. Meine Freundin hat mich dann einfach so zum nächsten Slam angemeldet – ohne, dass ich davon wusste.“ Zwei Tage vor ihrem ersten Bühnenauftritt, im Oktober 2015, gab es dann kein Zurück mehr – und Teresa, die all ihren Mut zusammennahm, wusste zu begeistern. Sich selbst und alle anderen. Von da an stand sie jeden Monat auf der Mälze-Bühne, gewann 2016 die bayerische U20-Poetry-Slam-Meisterschaft und zog ins Finale der deutschsprachigen U20-Meisterschaften in Magdeburg ein. Seitdem hat sie erfolgreich an vielen Wettbewerben teilgenommen.
„Ich kann keine klassische Lehrerin werden“
Neben Studium und Slam-Kultur begann Teresa Reichl schließlich an ihrem ersten Soloprogramm namens „Obacht, i kann wos!„ zu feilen – und hatte sich nach dessen Ur-Aufführung im Januar 2020 und der erfolgreichen Beendigung ihres Hochschuldaseins im vergangenen Jahr dazu entschieden, zunächst nicht ins Referendariat zu gehen. „Weil ich mein Glück erst einmal als Kabarettistin versuchen möchte“, wie sie mit überzeugtem Brustton berichtet. „Bis vorletztes Jahr dachte ich: Ich werde Lehrerin, mache die Bühne so nebenbei. Und dann sagte ich zu mir: Du bist doch einfach nur feig – und traust dich nicht Künstlerin zu werden.“
Doch feige wollte sie nicht sein. Auch dann nicht, wenn bei Kulturschaffenden aufgrund der pandemischen Lage die Vorzeichen für eine Solo-Karriere alles andere als rosig aussahen – und immer noch aussehen. „Ich trau mich das jetzt einfach“, lautete die Devise. „Ins Referendariat kann ich immer noch gehen, das läuft mir nicht davon.“ Und dennoch: Die sichere Lehramtslaufbahn gegen den weit unsichereren Künstlerjob zu tauschen, erfordert viel Mut. Für einige mag dies vielleicht sogar naiv erscheinen. Doch die 25-Jährige trug es mit Fassung – und einer Prise Selbstironie: „Ich bin eh zu dick für die Verbeamtung – mit einem BMI von über 30 kannst du das vergessen.“
Den ausschlaggebenden Moment für die Bühne bescherte – nach einem fünf Jahre währendem Prozess – die Dokumentation „Moving Parts„, die das Leben einer Drag-Queen beleuchtet, „die nicht schön war und der es schlecht ging – aber die trotzdem auf der Bühne stand, weil es ihre Bestimmung war. Ich sah den Film und wusste: Ich muss das machen, ich kann keine klassische Lehrerin werden.“
„Ich setze mich häufig selbst unter Druck“
Die Reaktion ihrer Eltern, die Teresa und ihren älteren Bruder seit jeher zur Selbstständigkeit erzogen hatten, fiel nach ihrem „Coming-Out“ durchaus positiv aus: „Mein Vater hat mich angeschaut und gemeint: Glaubst Du, dass ich das nicht eh schon längst wusste?“ Mutig zu sein und auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, darauf sei es Mama und Papa bei der Erziehung immer schon angekommen. „Sie bauen darauf, dass wir unseren Weg gehen – das finde ich schön.“
Nun hat sie also (vorerst) ihren Platz im Leben als Künstlerin gefunden. Einen „überaus privilegierten“, wie sie findet, „bei dem ich mich ausprobieren kann“. An ihren ersten großen Auftritt vor heimischem Publikum in Landau kann sie sich noch gut erinnern. „G’scheid nervös“ ist sie gewesen, als sie bei der Faschingssitzung die Bühne der voll besetzten Stadthalle betrat. „Alle kannten sie mich.“ Vor Aufregung musste sie sich vorab sogar übergeben. Auch vor der Premiere ihres Soloprogramms konnte sie kaum noch feste Nahrung zu sich nehmen. „Ich setze mich häufig selbst unter Druck, wenn Leute da sind, die ich kenne“, gibt sie offen zu.
Die BR-Sendung „Zwischen Spessart und Karwendel“ hat über Teresa Reichl berichtet:
Den letzten Solo-Auftritt hatte Teresa Reichl im Oktober vergangenen Jahres in Hamburg. „Da saßen dann 80 Leute, die mich bereits übers Internet gekannt und offensichtlich lustig gefunden haben. Die musste ich nur noch davon überzeugen, dass ich auch in echt witzig bin.“ Eine Art Hoch-Bairisch habe sie dabei gesprochen. Der Verständigung wegen. „Doch der Dialekt ist grundsätzlich wichtig für mich auf der Bühne – um echt zu sein.“
„Alles viel zu steif, zu starr – da gehört frischer Wind rein“
Zu den Steckenpferden der 25-Jährigen zählt – wie es sich für eine Beinah-Deutsch-und-Englisch-Lehrkraft gehört – freilich die Literaturwissenschaft. „Ich liebe sie, denke aber, dass sie in der Schule sehr verhunzt wird.“ Der Grund: „Wenn klassische Literatur auf dem Stundenplan steht, muss gleich alles immer so hochgeistig sein, dass die Kinder komplett den Zugang und den Spaß daran verlieren.“ Abhilfe will sie dabei mit ihren selbstgedrehten YouTube-Videos schaffen, mit denen sie der leidgeplagten Schülerschaft Kurz-Zusammenfassungen bzw. Interpretationen („private Meinung„) klassischer Werke wie „Effi Briest“ (Fontane) oder „Die Marquise von O…“ (Kleist), die laut Lehrplan bearbeitet werden müssen, an die Hand gibt. Der pädagogische Hintergrund soll dabei nicht zu kurz kommen, wie die überzeugte Feministin und Brecht-Verehrerin betont.
Überhaupt: „Das Schulsystem müsste einmal komplett über den Haufen geschmissen werden – von vorne bis hinten“, sagt sie. „Alles viel zu steif, zu starr – da gehört frischer Wind rein, auch mehr Realitätsbezug.“ Es gehe darum, den Kindern beispielsweise einmal zu erklären, warum sie das Analysieren von Gedichten erlernen sollen. „Für was brauch ich das Ganze eigentlich?“ lautet die ihrer Meinung nach zentrale Frage. Und die überraschend klare wie logische Antwort liefert sie gleich dazu: „Man verwendet die Gedichtanalyse tatsächlich nicht nur in der Schule, sondern jeden Tag – man schnallt’s nur nicht.“
Denn: Teresa Reichl zufolge ist Literatur allgegenwärtig – in jedem Buch, jedem Film, in jedem YouTube-Video. „Dafür braucht man ein Werkzeug, womit man das alles zerlegen kann – und unterscheiden kann, was Wahrheit ist und was nicht.“ Egal, ob Rap-Song oder Goethe-Gedicht: Stilmittel, Reimschema, Metrum etc. stecken in allen Texten. „Indem sie vergleichen, finden die Schüler auch einen Zugang zur klassischen Literatur – und merken, dass das nicht alles nur langweilig ist, sondern auch was mit dem echten Leben zu tun haben kann.“
„Der Leidenschaft nachgehen, ohne im System drin zu sein“
Und wie würde sie sich nun selbst bezeichnen? Als Video-Bloggerin, Kabarettistin, Künstlerin? „Pandemiebedingt bin ich derzeit mehr Internet-Person als Bühnenmensch“, sagt sie – und hofft darauf, dass sie ihr Soloprogramm in diesem Jahr mehr Leuten präsentieren kann. Doch auch die YouTube-Sache möchte sie weiter vertiefen. „Ich darf auch Lesungen und Workshops geben an der VHS in Regensburg: zum Thema ‚Moderner, feministischer Zugang zu klassischer Literatur‘. Das möchte ich auch an Schulen machen.“ Im April, zum Welttag des Buches, gibt sie dann einen Vortrag in der Regensburger Stadtbücherei. „Da mache ich einen kleinen Abitur-Crashkurs, wofür ich auch Geld bekomme. Und da habe ich ganz andere Möglichkeiten, als wenn ich jeden Tag unterrichten müsste. Da kann ich meiner Leidenschaft nachgehen, ohne im System Schule drin zu sein.“
Stephan Hörhammer