Cham. Viele Menschen aus der Region kennen Amy Weinstein und ihr „Saltamontes Puppet Theater“ und haben sich von ihren facettenreichen Figuren schon das ein oder andere Mal verzaubern lassen. Wie ein Großteil der Kunst- und Kulturschaffenden in Deutschland hat auch die Puppenspielerin unter den Folgen der Pandemie zu leiden. Doch sie wäre kein kreativer Kopf, wenn sie die Not nicht erfinderisch gemacht hätte.

„Ich versuche, auf spielerische Weise zu neuen Denkanstößen anzuregen oder Fragen aufzuwerfen, die es wert sind, darüber nachzudenken“, sagt Amy Weinstein, Puppenspielerin aus Cham. Fotos: Elsa Weinstein
So entstand speziell für die Weihnachtszeit das Projekt „Christmas-Songs to go“. Familien buchten dabei Amy Weinstein zusammen mit der befreundeten Musikantin Brigitte Gray und ließen sich von den beiden Künstlerinnen und den Puppets weihnachtliche Episoden – untermalt von Weihnachtsliedern – auf der Terrasse oder vor dem Fenster vorspielen. Wenigstens ist „open Air“ Corona-verträglich – und so konnten die Puppen zumindest für eine kurze Zeit aus dem Winterschlaf geholt werden.
Multikulturelles Puppentheater für alle Altersgruppen
„Das Theater, speziell das Puppentheater, habe ich neu für mich entdeckt und mich intensiver damit befasst, nachdem ich es bereits während meiner High-School-Zeit kennengelernt hatte“, erinnert sich Amy Weinstein zurück. Sie studierte in Illinois die Fächer Soziologie und Anthropologie und ging dann als Teilnehmerin eines Austauschprogramms ihrer Uni nach Kolumbien, um dort zu forschen und ebenso ehrenamtlich tätig zu sein. In Bogotá unterrichtete sie schließlich eine Klasse von 42 Schülerinnen an einer Privatschule. Über eine Kollegin kam sie dort mit dem Schattentheater in Berührung, was sogleich eine große Faszination auf die Amerikanerin ausübte.

Musikerin und treue Weggefährtin: Brigitte Gray (links) bei einem Auftritt mit Amy Weinstein. Foto: Facebook
Dass aus dieser Begegnung schließlich einmal Beruf und Berufung entstehen würden, hätte sie damals nicht für möglich gehalten. „Bald fing ich an, mich in diesem Fachgebiet weiterzubilden. Ich besuchte Puppenbaukurse und Theaterworkshops, bis ich irgendwann selbst die Fäden in die Hand nahm – im wahrsten Sinne des Wortes“, erzählt die gebürtige Amerikanerin von ihren Anfangsjahren als Theatermacherin. Mit zwei Freunden aus diesem Theaterkreis wurde dann schließlich 1994 der Grundstein für das „Saltamontes Puppet Theater“ in Bogotá gelegt.
„Meine Art Theater zu machen, ist sehr umfassend. Ich möchte nicht nur Kinder, sondern alle Altersgruppen ansprechen. Außerdem arbeite ich oft multikulturell und versuche, auf spielerische Weise zu neuen Denkanstößen anzuregen oder Fragen aufzuwerfen, die es wert sind, darüber nachzudenken. Mit einigen Stücken vermittle ich so ganz nebenbei recht unverkrampft auch noch die englische Sprache“, beschreibt sie ihr Schaffen.
Vor dem alles verändernden Frühjahr 2020 war Amy Weinstein sehr aktiv und gut beschäftigt mit ihren Puppets und Puppenbaukursen. Schulen, Vereine oder andere Institutionen luden sie gerne ein, um sich von der Welt des Puppentheaters verzaubern zu lassen oder selbst, unter ihrer Regie tätig zu werden. Lehrpersonal und andere Interessierte bauten und spielten mit den unterschiedlichsten Figurentypen. Das Theater umfasst das Schatten- und Fadenspiel mit Stab- und Handpuppen sowie Marionetten – ein breit gefächertes Repertoire. Wie viele andere aus ihrer Zunft wartet die Künstlerin nun sehnsüchtig darauf, dass die „normalen Zeiten“ zurückkehren und sie ihre Berufung wieder uneingeschränkt ausleben kann. Dass sie die Theaterlandschaft in ganz Ostbayern wieder in gewohnter Qualität bereichern darf.
Der Weg über den großen Teich in den Woid
Nach acht Jahren Aufenthalt in Kolumbien kehrte die Amerikanerin schließlich wieder in ihre Heimat zurück, um in Connecticut ihr Dramatic-Arts-Studium mit dem Master abzuschließen. Dort traf sie den Chamer Sebastian Roser, dessen Vater ein bekannter Puppenspieler war und an ihrer Universität eine „String Academy“ (Musikschule) leitete. Da funkte es schnell – zumal beide aus dem Theatermetier kamen und dazu noch speziell im Puppentheater beheimatet waren. Irgendwann beschloss das Paar samt Nachwuchs lieber in Deutschland leben zu wollen – und so siedelten die Weinstein-Rosers nach Cham über. Das war vor 17 Jahren. „Natürlich war ich vorher schon oft zu Besuch in Cham, aber dort zu leben würde wohl noch einmal ganz anders werden.“ Darüber war sich Amy Weinstein im Klaren.

„I didn’t fit in – ich passte da nicht rein“ – heute fühlt sich Amy Weinstein gut integriert in ihre Gemeinde.
Danach gefragt, wie es sich als Ami in einer Kleinstadt im bayerischen Vorwald lebt, antwortet sie: „Anfangs war es sehr schwierig für mich, Kontakte zu knüpfen, obwohl das über Kinder normalerweise unproblematisch ist – wir hatten mittlerweile zwei Töchter. Ich hatte oft das Gefühl, ich gehöre nicht dazu“, erinnert sie sich an die ersten nicht ganz einfachen Jahre zurück und ergänzt: „I didn’t fit in – ich passte da nicht rein.“
Natürlich existierte damals noch die Sprachbarriere, denn Amy musste Deutsch als zweite Fremdsprache neu erlernen. Auch das machte es nicht unbedingt leichter, Anschluss zu finden. Mittlerweile hat sie einen festen Freundes- und Bekanntenkreis – „meine Gemeinde“, wie sie es nennt – und sieht Cham als ihre (Wahl-)Heimat an. Heimweh nach einem bestimmten Ort von früher verspürt sie nicht. „Ich vermisse bestimmte Menschen.“
Amys Wurzeln sind deutsch. Ihr Großvater war Eigentümer einer Berliner Papierfabrik und floh kurz nach der Reichskristallnacht mit seinen Angehörigen nach Übersee. Erster Stopp war Kuba, über Florida ging es weiter in die USA, das „Land of the Free“, um endlich in Freiheit leben zu können. Die Familie siedelte sich dann in New York an, wo schon immer die größte jüdische Gemeinde der Vereinigten Staaten existierte. Amys Mutter heiratete und die Weinsteins zogen in den Westen weiter, nach Colorado. „Mein Vater liebte Skifahren und Outdoor-Aktivitäten, deshalb gefiel es meinen Eltern dort besser als in New York.“
„Das Gleiche verbindet uns“
Eine Amerikanerin im beschaulichen Cham ist bereits relativ exotisch, doch eine jüdische Amerikanerin ist wohl fast ein Unikat. Welchen Stellenwert nehmen Glaube und Religion im Leben der Puppenspielerin ein? „Ich glaube an G – das Gute, das ist für mich Gott“, fasst sie ihre Spiritualität zusammen. „Wir feiern die Feiertage und jüdischen Feste. Am Freitagabend zum Sabbat laden wir gerne Freunde ein und genießen die gemeinsame Zeit bei leckerem Essen“, erzählt sie.
Überhaupt sind Gemeinschaft und Gemeindeleben sehr wichtig im Judentum, was Weinstein besonders an ihrer Religion schätzt. „Als die Kinder noch kleiner waren, sind wir öfters in die Synagoge nach Straubing gefahren. Jetzt ist es seltener geworden“, berichtet sie. Auch dort nimmt die Community einen großen Stellenwert ein. Die Gläubigen kommen nicht nur zu Gebet oder Gottesdienst zusammen und gehen danach wieder getrennte Wege. Nach dem Gottesdienst sitzen die Gemeindemitglieder noch zusammen, tauschen sich aus, essen und verbringen Zeit miteinander. Gerade für eine religiöse Minderheit ist der Zusammenhalt stärkend, ja unabdingbar. „In den USA gingen wir in eine liberale Synagoge. Das finde ich auch das Schöne am Judentum. Es gibt so viele verschiedene Strömungen – von ultra-orthodox bis hin zu säkular – und alle gehören wir zusammen. Das Gleiche verbindet uns.“
Amy Weinstein engagiert sich außerdem für „Meet a Jew„. Der Zentralrat der Juden unter Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief dieses Projekt ins Leben, bei dem die Sichtbarmachung des aktuellen jüdischen Lebens in Deutschland und die Prävention von Antisemitismus im Vordergrund stehen. Im Rahmen von „Meet a Jew“ können jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger „gebucht“ werden, um in Schulen, Vereinen, Universitäten oder anderen Institutionen mit den Menschen in Dialog zu treten – ganz nach dem Motto: miteinander statt übereinander reden. Nur über die persönliche Begegnung und den gemeinsamen Austausch werden Vorbehalte ausgeräumt und eine mögliche Reserviertheit, gar Furcht vor dem Unbekannten, in lockerer Atmosphäre genommen. Davon ist Amy Weinstein überzeugt.
Neues aus der Puppenstube
Seit dem vergangenen Frühling führt Amy Weinstein eine neue Version von Rotkäppchen – oder besser: Blaukäppchen – auf, die den Wolf in einem anderen Licht zeigt. Der pädagogische Ansatz kommt hierbei wieder ganz beiläufig und unauffällig zum Vorschein: Denn oft ist es hilfreich, den Blickwinkel zu ändern, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Genau das versucht sie mit ihren Puppets spielerisch zu transportieren. Amy Weinsteins kreativer Geist arbeitet weiter unermüdlich – und so sind bereits neue Projekte in Arbeit. Doch darüber wird an dieser Stelle noch nichts verraten – bis es wieder heißt: Vorhang auf!
Melanie Zitzelsberger