Grafenau. Seit vergangener Woche sind vielerorts Corona-Impfungen für Fünf- bis Zwölfjährige möglich. Der Impfstoff wurde an Impfzentren und Kinderärzte erstmals verteilt, nachdem die Europäische Arzneimittelbehörde EMA das Präparat zugelassen und die Ständige Impfkommission (STIKO) es bundesweit empfohlen hatte. Die Bereitschaft vieler Eltern ihre Kinder impfen zu lassen, ist hoch. Doch es gibt auch einige Väter und Mütter, die dem Ganzen noch skeptisch gegenüber stehen. Unter anderem STIKO-Vorsitzender Thomas Mertens hatte dafür sein Verständnis geäußert.
Eine sehr klare Meinung zum Thema hat Kinderarzt Dr. Christian Stöhr. Der 38-jährige Mediziner, der seit 2015 als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Medizinischen Versorgungszentrum am Standort Grafenau praktiziert, ist überzeugt davon, dass ein Covid19-Impfschutz für Buben und Mädchen im Alter von fünf bis zwölf Jahren ratsam ist. „Der Impfstoff ist sicher“, betont der Fachmann gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n und ergänzt: „Ich selbst werde meine eigenen gesunden Kinder gegen das Coronavirus impfen lassen.“
„Jeder von uns hat die Wahl: Impfung oder Infektion“
Herr Dr. Stöhr: Würden Sie Ihre eigenen Kinder bedenkenlos impfen lassen? Welche Gedanken haben Sie in diesem Zusammenhang?
Ja, ab einem Alter von fünf Jahren werde ich meine eigenen Kinder – aktuell sind sie zwei und vier Jahre alt – bedenkenlos gegen Corona impfen lassen. Das neuartige Coronavirus ist in unserer Gesellschaft angekommen und wird nicht mehr verschwinden. Das Coronavirus wird jeden von uns früher oder später treffen. Der einzige Ausweg aus der Pandemie ist die Immunität. Diese kann durch eine Coronavirus-Infektion oder durch eine Impfung gegen das Coronavirus erworben werden.
Bei etwa jedem zehnten Erwachsenen hinterlässt eine Coronavirus-Infektion ein Long-Covid-Syndrom – z.B. mindestens Monate lang anhaltende erhebliche Abgeschlagenheit – oder einen intensivmedizinpflichtigen bis tödlichen Verlauf. Allein im Landkreis Freyung-Grafenau sind bis dato 168 Menschen an einer Coronavirus-Infektion verstorben.
Eine Impfung verursacht bei Erwachsenen nur in zirka jedem 100.000sten Fall eine Herzmuskel(beutel)-Entzündung, welche meist einen milden folgenlosen Verlauf zeigte. Das heißt: Eine Impfung gegen das Coronavirus ist um ein Vielfaches sicherer. Das ist alles. Jeder von uns hat die Wahl: Impfung oder Infektion. Mehr nicht.
„Nach aktuellem Kenntnisstand ist der Impfstoff bei Kindern sicher“
Eine Corona-Infektion bei Kindern zeigt häufig einen milden Verlauf. Ist eine Impfung bei Kindern vertretbar oder stellt diese nicht einen zu großen Eingriff in das Immunsystem von jungen Menschen dar?
Das ist richtig: Eine Coronavirus-Infektion zeigt bei gesunden Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren einen sehr milden Verlauf. Zudem ist bisher bundesweit kein einziges gesundes Kind zwischen fünf und zwölf Jahren an Corona verstorben. Bei Kindern mit chronischen Erkrankungen sind schwere Verläufe einer Coronavirus-Infektion möglich.
Andererseits wurden in den USA bereits mehr als fünf Millionen Impfungen bei Kindern in dieser Altersgruppe verabreicht und auf mögliche Nebenwirkungen geachtet. Hierbei wurden bisher keine ernsthaften Nebenwirkungen bekannt. Nach aktuellem Kenntnisstand ist der Impfstoff bei Kindern sicher. Die Impfnebenwirkungen sind in der Art bei Kindern ähnlich, treten aber weniger oft auf. Eine Herzmuskel(beutel)-Entzündung als Folge der Coronavirus-Impfung ist bisher bei Kindern so gut wie nie aufgetreten.
Demzufolge empfiehlt die STIKO eine Impfung bei Fünf- bis Elfjährigen mit bestimmten Vorerkrankungen. Hierzu zählen etwa schweres Übergewicht, chronische Lungen-Erkrankungen, Immundefekte oder das Down-Syndrom. Außerdem wird eine Impfung bei Kindern angeraten, die Kontakt zu Menschen haben, die ein besonders hohes Risiko für schwere Verläufe einer Corona-Infektion haben. Bei einer Impfempfehlung für alle Kinder ist die STIKO zurückhaltend. Dafür kann man darauf vertrauen, dass wenn etwas von der STIKO empfohlen ist, dies auch sicher und gut abgewogen ist.
„… weil immer noch zu viele Erwachsene eine Impfung verweigern“
Welche Impfstoffe von welchem Hersteller erachten Sie als geeignet? Oder gibt es bei den Impfstoffen generell keinerlei Unterschiede, wenn es um die Impfung von Kindern geht?
Für Kinder kommt im Moment nur ein niedrig dosierter Impfstoff von Biontech-Pfizer in Frage: zehn statt 30 Mikrogramm.
Gehen Sie davon aus, dass das Immunsystem bei Kindern effektiver reagiert als bei Älteren? Sprich: Hält der Impfschutz bei Kindern eventuell länger an? Macht es aus diesem Grund auch Sinn, die Jüngeren sozusagen vorbeugend zu impfen, auch wenn ihr Erkrankungsrisiko geringer ist? Und: Welche Gefahren sehen Sie für Kinder seitens der Omikron-Variante? Erachten Sie diese Varianten als gefährlicher als die bisherigen?
Hierzu möchte ich nichts sagen. Derzeit sind nur reine Spekulationen möglich.
Denken Sie, dass die Impfung bei Kindern das Infektionsgeschehen in den Schulen effektiv senken könnte?
In diesem Kontext ist mir wichtig Folgendes klarzustellen: Die Impfungen bei Kindern gegen das Coronavirus wird das Pandemie-Geschehen kaum beeinflussen können. Unsere Intensivstationen sind überlastet, weil immer noch zu viele Erwachsene eine Impfung verweigern. Wegen der noch zu hohen Anzahl an ungeimpften Erwachsenen müssen unsere Kinder zum Beispiel in den Grundschulen erneut während des Unterrichts einen Mundschutz tragen.
Eine Coronavirus-Infektion hat der Gesundheit unserer Kinder bisher kaum geschadet. Aber die Maßnahmen, die notwendig sind, um einen Kollaps unserer Intensivstationen zu verhindern, haben bei manchen Kindern psychische Erkrankungen hervorgerufen oder sie in ihrer Entwicklung eingeschränkt. Eine erneute Kindergarten- oder Schulschließung darf es nicht mehr geben. Mittelfristig erreichen werden wir das nur, wenn wir alle Erwachsenen und alle Kinder mit chronischen Erkrankungen impfen.
„Das ist unverantwortbar gegenüber den Kindern“
Viele Eltern sagen: „Ich selbst lasse mich impfen – aber die Verantwortung für mein Kind möchte ich nicht übernehmen.“ Ist diese Vorsicht in Ihren Augen berechtigt? Bzw.: Ist es Ihrer Meinung nach wahrscheinlich, dass die Impfung bei Kindern zu anderen Nebenwirkungen führen könnte als bei Erwachsenen?
Die gute Nachricht ist: Wenn die Eltern selbst vollständig geimpft sind und gesunde Kinder haben, dann können sie nur eine richtige Entscheidung treffen. Egal, ob sie ihr Kind gegen Corona impfen lassen oder nicht. Wenn die Eltern selbst gegen Corona nicht geimpft sind, dann nehmen sie das Risiko in Kauf an einer Corona-Infektion zu sterben. Aus meiner Sicht als Kinderarzt ist das unverantwortbar gegenüber den Kindern.
Ich selbst werde meine eigenen gesunden Kinder gegen das Coronavirus impfen lassen. Weil ich meinen Kindern eine immer wiederkehrende häusliche Quarantäne nicht zumuten kann. Weil das freie Spielen in unserer Natur und emotionale Beziehungserfahrungen mit anderen Kindern und Personen essentiell für eine gesunde Entwicklung sind. Weil ich ich nicht möchte, dass meine Kinder eine ältere immunschwächere Person mit Corona infizieren, die dann womöglich einen tödlichen Verlauf hat. Und weil der Impfstoff sicher ist.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer