Regensburg/Furth im Wald. Es ist eine Frage, die in Deutschland heftig diskutiert wird. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen scheint es eine Antwort zu geben: Soll der Erwerb und Besitz bestimmter Mengen von Cannabis in Deutschland legalisiert werden? In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap sprachen sich zuletzt – die aktuellsten verfügbaren Daten stammen aus dem Jahr 2018 – 46 Prozent für eine legale, regulierte Cannabis-Abgabe aus, 52 Prozent waren dagegen.
Der Suchtmediziner Professor Dr. Reinhart Schüppel ist überzeugt: „Die Legalisierung von Cannabis wird kommen und zwar aufgrund von gesellschaftspolitischen Veränderungen.“ Er hält die Freigabe aber für ein „Nullsummenspiel“. Für jedes gelöste Problem werde wahrscheinlich ein neues entstehen, vermutet er.
Cannabis unter den suchterzeugenden Substanzen auf Platz acht
Pro Jahr konsumieren sicher drei, wahrscheinlich eher fünf Millionen Menschen in Deutschland Cannabis und kommen dabei auf einen Verbrauch von etwa 250 Tonnen. „Der Cannabiskonsum hat längst breite Schichten der Bevölkerung erreicht“, weiß der Chefarzt der Johannesbad Fachklinik in Furth im Wald, der größten stationären Einrichtung zur Behandlung von Suchterkrankungen in Bayern. „Keine Gesellschaft akzeptiert auf Dauer ein als illegal eingestuftes Verhalten von großen und wichtigen Gruppen“, betont er. Wenn sich also der Konsum nicht reduzieren lasse, erfolge eine Anpassung in Richtung „legal“ – also eher nach politischen als nach medizinischen Gesichtspunkten.
Immer wieder, so Professor Schüppel, werde auf die relative Harmlosigkeit von Cannabis als „weicher“ Droge verwiesen – im Vergleich zu „harten“ Drogen wie Kokain oder Heroin. Auch im Vergleich zu gesellschaftlich breit akzeptierten Produkten wie Alkohol oder Tabak werde auf weniger schwere Folgeerkrankungen Bezug genommen. Professor Schüppel gibt aber zu bedenken: Unter Berücksichtigung aller möglichen Schäden für Nutzer und das Umfeld belegt Cannabis unter den suchterzeugenden Substanzen Platz acht und macht doppelt so häufig abhängig wie Alkohol.
Einen breiten Raum nimmt bei der Debatte um die Legalisierung die „Entkriminalisierung“ ein. „Die Legalisierung von Cannabis wird dazu führen, dass Erwachsene in Ruhe ihrem Konsum nachgehen können, ohne deswegen juristische Konsequenzen fürchten zu müssen“, so Professor Schüppel. Er rechnet dadurch bei Erwachsenen mit einer „mäßigen, aber sicher nicht dramatischen Steigerung der Fallzahlen und der Menge des Konsums“.
„Der Schwarzmarkt verschwindet nicht einfach“
Eine Entlastung des Staates erwartet der Suchtmediziner hingegen nicht: „Zwar wird die Polizei entsprechende Drogendelikte nicht mehr verfolgen müssen, aber anders als bei Tabak und Alkohol werden Behörden engmaschige Kontrollen bei den Produzenten durchführen müssen“, sagt der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Hinzu kommen ihm zufolge Qualitätskontrollen, Lizenzvergabe, Vertrieb und Verkauf von Cannabis als Gebiete, die staatl. Regulierung und Kontrolle brauchen.
Erfahrungen aus anderen Ländern – Kanada, einige amerikanische Bundesstaaten oder Uruguay – hätten laut Professor Schüppel auch gezeigt: „Der Schwarzmarkt verschwindet danach nicht einfach, dazu ist er zu lukrativ.“ Über den weiterbestehenden illegalen Markt würden dann beispielsweise Bevölkerungsgruppen wie Jugendliche versorgt, die zum legalen Markt keinen Zugang haben. „Und vom Schwarzmarkt werden mit Sicherheit Cannabis-Innovationen angeboten werden, die es im offiziellen deutschen Cannabis-Shop niemals zu kaufen gibt – etwa Cannabis mit sehr hohem Gehalt an Tetra-Hydro-Cannabinol (THC) oder die Kombination mit synthetischen Cannabinoiden„, fürchtet der Suchtexperte.
Das Beispiel der Niederlande habe darüber hinaus gezeigt: Cannabis ist zwar nicht die befürchtete Einstiegsdroge in harte Substanzen. Aber das Beliefern der Coffeeshops mit Rohware beflügelte den Handel beispielsweise mit Kokain enorm – mit einer massiven Zunahme bislang unbekannter Bandenkriminalität als Folge.
Legalisierung: „Fatale Botschaft“ für Jugendliche
Professor Schüppel vermisst in der aktuellen Diskussion um die Legalisierung vor allem eines: „Cannabis ist eine auf Gehirnfunktionen wirkende Substanz.“ Der künftig womöglich legale Umgang damit ändere nichts an der Pharmakologie dieses komplexen Substanzgemisches. „Das ist bei der Teilnahme am Straßenverkehr genauso zu beachten, wie bei der Bedienung von Maschinen oder bei Verantwortung für andere Menschen“, betont der Mediziner. Die Gesellschaft müsse dann auch eine Debatte darüber führen, was – ähnlich zum „Promillewert“ beim Alkohol – die angemessene Grenze beim Cannabiskonsum sein sollte. Aktuell liegt diese bei einem Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum – eine Anhebung wurde bereits gefordert.
Sorgen bereiten dem Suchtmediziner besonders die Jugendlichen: „Jede Form der Legalisierung von Cannabis zielt auf Erwachsene ab. Die Hauptgruppe der Konsumenten sind aber die Zwölf- bis Siebzehnjährigen“, weiß er. In diesem Alter kämen die Entwicklung von Psychosen oder Verzögerungen in der Gehirnentwicklung am häufigsten vor.
Bereits die Einführung von Cannabis als Medikament im Jahr 2017 habe bei der Pflanze zu einem deutlichen Imagewandel geführt. „Wenn sie nun auch noch legal ist, dann muss sie ja offensichtlich harmlos sein, so die wohl zu Recht anzunehmende Denkweise in dieser Altersgruppe“, meint Professor Schüppel. Das hält er für eine fatale Botschaft. „Ob, wie von manchen Experten vorgeschlagen, eine Anhebung des Mindestalters für legalen Erwerb und Besitz von Volljährigkeit auf 21 Jahre dieses Problem lösen würde, bleibt fraglich“, so der Experte. Denn es werde immer einen älteren Bruder oder eine Bekannte mit Mindestalter geben, der oder die dann „etwas besorgen“ könne.
Begleitforschung ist der richtige Weg
„Die Legalisierung von Cannabis kommt ziemlich sicher“, so die knappe Einschätzung des Suchtexperten. Es wird darauf ankommen, nicht nur die juristischen und organisatorischen Fragen zu klären, sondern eine umfassende und für alle Fragen offene Begleitforschung zu etablieren: „Nur dann wissen wir, welche Probleme tatsächlich gelöst wurden und welche hinzugekommen sein mögen.“
da Hog’n/obx-news
Wenn es ein „Nullsummenspiel“ ist (was meiner Meinung nach zwar nicht zutrifft, denn ich sehe schon eindeutige Vorteile der Legalisierung), dann sollte man trotzdem legalisieren/entkriminalsieren. Denn ein Nullsummenspiel würde ja mitnichten die fortlaufende Kriminalisierung der Konsumenten rechtfertigen…rein juristisch betrachtet…
Was bewegt einen Proffesor zu solch einer Aussage?
Zitat „Unter Berücksichtigung aller möglichen Schäden für Nutzer und das Umfeld belegt Cannabis unter den suchterzeugenden Substanzen Platz acht und macht doppelt so häufig abhängig wie Alkohol“ Zitat Ende
Viele Menschen verknüpfen mit dem Titel „Proffesor“ eine intelligente Person, die Aussagen meist empirisch stützt. Das verstärkt natürlich die Meinungsmache derjenigen, die sich mit diesem Thema eher am Rand beschäftigen. In der nächsten Plauderrunde kommt dann ein “ Proffesor Schüppel hat gesagt…“ natürlich, der hat recht. Ärgerlich
Wenn ich unterschiedliche Suchtberatungsstellen zu Rate ziehe, kommen da ganz andere Ergebnisse zu Tage. Ich bin nicht unbedingt ein großer Befürworter der Legalisierung, dennoch sollte man „die Kirche im Dorf lassen“ und das unspektakuläre Kraut nicht schlechter machen, als es vielleicht ist. Um auf den Punkt zu kommen:
Seine Aussage ist schlichtweg falsch.
Natürlich kann Missbrauch jeglicher Substanzen zur Sucht führen. Und jede Sucht äußert sich unterschiedlich.
Ja, Cannabis ist ein „neues“ Rauschmittel. Alkohol ist schon viel länger in der breiten Gesellschaft etabliert und akzeptiert. Aber mal ehrlich… die meisten von uns haben schon mal in unserem Leben einmal zu tief ins Glas geguckt und gemerkt, dass es keine gute Idee war. Herr Schüppel bestimmt auch. Klar. Deswegen kippen wir uns trotzdem nicht jeden Tag ne Flasch reinen Alkohol in den Hals. Und genauso wird es sich doch in den nächsten Jahren mit dem Cannabis verhalten. Auch bei den jungen Erwachsenen. Ich stimme dem Herrn Proffesor in einer Sache zu. Jugendliche werden wird durch die Legalisierung nicht vom Konsum abhalten.