Passau. Der Münchner Christkindlmarkt rund um den Marienplatz findet heuer wieder nicht statt – im Gegensatz zur Nürnberger Ausgabe, die mit der 2G-Regelung veranstaltet werden soll. Und während viele kleinere Weihnachtsmärkte in der Region bereits abgesagt wurden, sind am Passauer Domplatz die Vorbereitungen für das bevorstehende Markttreiben vom 24. November bis 23. Dezember gerade in vollem Gange. Zumindest nach derzeitigem Stand. 2G sei Dank – sowie einer Einfriedung per Bauzaun in Kombination mit Kontrollen am Eingang. Umstände, die Evi Streifinger, Bezirksvorsitzende des Bayrischen Landesverbands der Marktkaufleute und Schausteller e.V. (BLV), durchaus positiv stimmen. Doch sie weiß auch: „Wir haben ohnehin keine große Wahl – und müssen auf bessere Zeiten hoffen.“
Ob die vorweihnachtliche Atmosphäre unter den coronabedingten Einschränkungen recht zur Geltung kommen kann, darüber mag die 40-Jährige noch nicht urteilen. Sie und ihre „Leidensgenossen“ sind nach äußerst schwierigen Zeiten erst einmal froh darüber, dass überhaupt wieder etwas zustande kommt. „Unsere Branche trifft es wieder gnadenlos“, teilt die Passauerin auf Hog’n-Anfrage mit, nachdem jüngst immer mehr Absagen von Weihnachts- und Christkindlmärkten bekannt gegeben wurden. „Das ist für jeden Unternehmer der Alptraum schlechthin: Der Stand ist aufgebaut, der Dienstplan steht, die Arbeitsverträge sind gemacht, die Waren sind bestellt und liegen bereit – und dann heißt es, der Markt findet nicht statt.“ Planungssicherheit sei schon lange nicht mehr gegeben. Stattdessen ein (Berufs-)Leben in ständiger Ungewissheit.
„In diesem Beruf musst du brennen für das, was du tust“
„Man schießt sich – zum wiederholten Male – auf unsere Veranstaltungen ein“, richtet die gebürtige Freyungerin das Wort gegen die jüngsten Corona-Entscheidungen in der Politik – und ergänzt mit einer gehörigen Portion Frust in der Stimme: „Als ob das Nicht-Stattfinden die Allheil-Lösung wäre.“ Mit ihren Kollegen, denen die Märkte bereits abgesagt wurden, habe sie Mitleid. „Wie man unter solchen Umständen einen Betrieb weiter aufrechterhalten soll und kann, ist mir mittlerweile ein Rätsel.“ In ihrem Heimatort Passau gebe es „ein sehr gutes Konzept, dass bis jetzt immer noch angepasst werden kann – was aber die Regierung möchte und beschließen wird und was das dann für Auswirkungen auf uns haben wird, das kann heute keiner sagen“.
Seit gut 20 Jahren ist Evi Streifinger mittlerweile im Geschäft der Schausteller und Marktstandbetreiber aktiv. Durch ihren ehemaligen Lebensgefährten und Ende Juli dieses Jahres plötzlich verstorbenen Geschäftspartner Sammy Ott ist sie nach und nach hineingewachsen in die Welt der Schiffschaukeln, Fahrgeschäfte, Imbiss- und Glühweinbuden. Nach dem Ende der Beziehung hatte sie sich mit einem Imbiss- und Ausschankbetrieb selbständig gemacht und war seitdem insbesondere auf Volksfesten im Bayerischen Wald sowie in und um Passau mit ihren zwei bis sieben Festangestellten sowie rund zehn Aushilfskräften unterwegs. Saison für Saison. Bis Corona kam. Und dann passierte lange nichts.
Dass die Schausteller und Marktkaufleute keine große Lobby haben, dürfte hinlänglich bekannt sein. Und ans Aufhören aufgrund gewisser Widrigkeiten hat wohl der ein oder andere wohl mehr als einmal gedacht. Doch es sei die Leidenschaft, die sie tagtäglich ihrer Arbeit nachgehen lässt. „In diesem Beruf musst du brennen für das, was du tust“, bestätigt Evi Streifinger. „Wir haben keinen Nine-to-Five-Job. 80 Stunden in der Woche sind bei uns eher die Regel als die Ausnahme. Man ist permanent präsent und vor Ort – Abstand zum Beruf gibt es nicht.“
„Es war ein Teufelskreis, in dem wir da gesteckt sind“
„Wenn dir das dann auf einmal genommen wird, wird’s richtig hart. Das kann sich ein Außenstehender gar nicht vorstellen, wenn jemand zu Dir sagt: Du darfst jetzt nicht mehr arbeiten.“ Das Veranstaltungsverbot, das im Zuge von Corona heuer und im vergangenem Jahr ausgerufen wurde, hat der BLV-Bezirksvorsitzenden zufolge den Vertretern ihrer Gilde die Grundlage zur Ausübung ihrer Berufe regelrecht entzogen. „Das war heftig – und seitens der Politik ein zweifelhaftes Signal nach dem Motto: Ihr seid nicht wichtig, nicht systemrelevant!“
Als die Passauer Mai-Dult 2020 – zur ersten Corona-Hochphase und des Lockdowns – erstmals abgesagt wurde, sei das Verständnis für die Maßnahme noch groß gewesen. „Hilft nichts, muss ja sein“, lautete das einvernehmliche Echo über sämtliche Branchen hinweg. „Ich dachte: Machen wir halt drei Monate zu. Anfang Juli, zum Grafenauer Volksfest, sind wir dann wieder am Start – das kann man schon verkraften“, erinnert sich die 40-Jährige. Als Mitte Mai dann die ersten Biergärten und Ende Mai die Gastronomie wieder öffnen durfte, gingen Evi Streifinger und ihre Mitstreiter davon aus, dass nun auch sie bald wieder mitmischen dürfen. „Doch für uns gab’s immer noch kein Signal.“ Dann eben zur Herbstdult, so die Hoffnung. Wieder nichts. „Und dann wurde auch der Christkindlmarkt abgesagt. Da steht man mit einem kompletten Jahr Verdienstausfall da.“ Für die Fixkosten ihres Betriebs seien zwar Finanzhilfen von staatlicher Seite geflossen. Doch für die sonstigen Verpflichtungen im privaten Ausgabenbereich habe man auf etwaige Rücklagen zurückgreifen müssen. „Einige meinten dann: Mach halt etwas anderes – ja, aber was? Die Fahr- und Imbissgeschäfte zu veräußern war nicht machbar – wer hätte die zu diesem Zeitpunkt auch kaufen wollen? Es war ein Teufelskreis, in dem wir da gesteckt sind.“
„Das Gefühl, es wird mit zweierlei Maß gemessen“
Die Notlösung für Evi Streifinger kam per Zufall: Eine ihrer Lieferantinnen bot ihr an, sich mit dem Imbisswagen aus ihrem Bestand, mit dem sie ansonsten bei den Volksfesten zugegen war, zwei Wochen probeweise auf dem Geschäftsparkplatz einer Passauer Bäckerei zu stellen, um dort ihre kulinarischen Waren feilzubieten. Essen und Trinken gehe schließlich immer. „Aus den 14 Tagen ist dann mein Lebensunterhalt für die restlichen eineinhalb Jahre geworden.“ Viele Freunde und Bekannte hatten sie anfangs unterstützt, kauften Currywurst, Steaks und Grillteller bei ihr ein. „Ich bin dadurch über die Runden gekommen. Es tat aber nicht nur finanziell, sondern auch emotional gut, als ich wieder eine Beschäftigung hatte.“ Doch die Unsicherheit, der Zustand zwischen Hoffen und Bangen, blieb. „Man schaute von einer Polit-Konferenz zur nächsten – und wir wussten von Monat zu Monat nicht, wie’s weitergeht.“
Nach und nach habe es Städte und Gemeinden aus der Region gegeben, die aktiv wurden, die den Schaustellern unter die Arme greifen wollten und Veranstaltungen als Quasi-Volksfest-Ersatz veranstalteten – freilich unter strengen Hygienevorschriften. So wie in Grafenau das „Volksfest-to-go“. Das sei sehr gut angekommen, erinnert sich die Bezirkssprecherin. Aber: „Das war ein Hochsicherheitstrakt – im Freien mit Maske und Security, die aufgepasst hat, dass man ja nicht in die Semmel beißt, wenn man sich nicht am dafür vorgesehenen Platz befand. Und vier Wochen vorher hatten die Biergärten geöffnet, die Leute saßen draußen und ließen sich ihr Schnitzel schmecken. Man hatte immer das Gefühl, es wird mit zweierlei Maß gemessen.“
Ob sie sich seitens der Politik im Stich gelassen fühlte? Als die Biergärten und Freizeitparks im vergangenen Jahr wieder öffnen durften, nur die Volksfeste und Märkte geschlossen blieben, war das Verständnis für dieses Vorgehen gering. „Es gab ja auch nie so recht eine konkrete Begründung dafür.“ Die frühzeitige Absage des Oktoberfestes löste eine Art Kettenreaktion aus, wie Evi Streifinger im Rückblick feststellt. „Danach hat man sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht daran zu denken, andere Feste zu veranstalten oder ein Konzept dafür auszuarbeiten, damit zumindest diese stattfinden können. Man hat immer das Fest der Superlative mit allen anderen Volksfesten verglichen. Du kannst Freyung oder Grafenau aber nicht mit dem Oktoberfest vergleichen.“ Das Gefühl von Ungerechtigkeit machte sich breit.
„Disco ist drinnen, wir machen Freiluft-Veranstaltungen“
Vor wenigen Wochen wurde das Volksfest-Verbot nun aufgehoben. Die Reaktion der 40-Jährigen darauf fällt unmissverständlich aus: „Darüber freuen? Auf was hätte man sich denn hier noch freuen können? Die Saison ist gelaufen, es ist zu spät. Die Volkfeste waren ja vorher schon alle abgesagt. Es ist ja nicht so, dass man so ein Fest mal eben aus dem Ärmel schüttelt, da gehört eine große Infrastruktur dazu – und Planung.“
Die Entscheidung sei im Zuge der Disco-Öffnungen erfolgt. „Aber: Disco ist drinnen, wir machen Freiluft-Veranstaltungen.“ Ein Konzept wie beim Passauer Herbstvergnügen Anfang September, der Ersatz-Veranstaltung für die traditionelle Herbstdult, hätte man schon viel eher umsetzen können, ist Evi Streifinger überzeugt. „Doch die Politik war da taub. Da sah sich keiner dafür zuständig.“ Der fade Beigeschmack von willkürlichen Beschlüssen schwang der Bayerwäldlerin zufolge hier mit.
Nachdem der Passauer Christkindlmarkt, „ein weiteres großes Standbein und eine wichtige Einnahmequelle“ für sie und ihre Kollegen heuer stattfinden kann, hofft sie auf eine durchführbare Volksfest-Saison im kommenden Jahr. „Volksfest ist ein Lebensgefühl. Wenn ich in Freyung bin, treffe ich Leute aus der Schulzeit, die ich das ganze Jahr nicht sehe. Dasselbe auf der Passauer Dult.“ Doch eine Garantie zur Umsetzung der Veranstaltungen wird es seitens der Politik keine geben, dessen ist sie sich bewusst. Was sie sich wünscht: „Dass wir im Falle einer Absage nicht wieder alleine dastehen.“
Stephan Hörhammer