München/Bayerischer Wald. Die verkehrspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen, Manfred Eibl (Freie Wähler) und Jürgen Baumgartner (CSU), haben bei einem Treffen aller Reaktivierungsinitiativen und -akteure am 2. Oktober 2021 in Schweinfurt ein aus ihrer Sicht neues Konzept- und Strategiepapier zur Wiederbelebung stillgelegter Bahnstrecken vorgelegt. Man wolle vor allem durch eine Entschärfung des sog. 1.000er Kriteriums der Verkehrswende in ländlichen Regionen Rechnung tragen. Ilztalbahn-Geschäftsführer Thomas Schempf befürchtet – einmal mehr – dahinter ein „schön zu lesendes“ Lippenbekenntnis seitens der Politik. Grünen-MdL Schuberl hegt ebenso weiter seine Zweifel.
Derzeit hat der Freistaat Bayern strikte Kriterien für die Schienen-Reaktivierungen aufgestellt, wie etwa das sog. 1000-er Kriterium, heißt es in einer entsprechenden Pressemittelung des FW-Landtagsabgeordneten. „Dieses Kriterium, wonach werktäglich mehr als tausend Reisende pro Streckenkilometer die Strecken nutzen müssen, greift zu kurz“, betont Manfred Eibl, „denn anders als in urbanen Ballungsräumen und deren Umland entspricht dies nicht der Lebenswirklichkeit ländlicher Regionen. Zudem finden Zubringereffekte für andere Bahnstrecken sowie Klimaeffekte, Güterverkehr oder positive Effekte für ländliche Strukturen keine Berücksichtigung“.
„Strecken entsprechend ihrer Bedeutung individuell fördern“
Ein aus Eibls Sicht logischer Schritt zu einem nachhaltigen, ganzheitlichen Verkehrskonzept für den Freistaat erfordert demnach eine sinnvolle Erweiterung der strikten Reaktivierungs-Kriterien. Sein Konzeptentwurf rücke daher regionale Besonderheiten und ökologische Anforderungen in den Fokus. „Durch differenzierte Betrachtungsweise einzelner Bahnstrecken wollen wir die Wiederinbetriebnahme von stillgelegten Bahnstrecken entsprechend ihrer Bedeutung individuell fördern.“
Der Freie-Wähler-MdL weiter: „Selbstverständlich sollen die Reaktivierungen stillgelegter Eisenbahnstrecken wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll sein. Es war uns aber sehr wichtig, im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung nicht jede Strecke für sich zu beurteilen, sondern sie als Teil eines großen Verkehrsverbundes zu behandeln. Dies eröffnet ganz neue Perspektiven und Fördermöglichkeiten.“ Ziel sei es, eine vernetzte ÖPNV-Landschaft zu entwickeln, die alle Verkehrsmittel aufeinander abstimmt. Die Bahnstrecken würden demnach fest in die bestehenden Verkehrsstrukturen integriert. Ein abgestimmtes Buskonzept im Bereich der Reaktivierungsstrecke sorge für die notwendige Anbindung und Integration in bestehende Verkehrsstrukturen.
Der Konzeptvorschlag setze neben den Schienenpersonennahverkehr etwa auch den Tourismus, die Infrastruktur und den Güterverkehr zur funktionalen Bewertung an. Die konzeptionelle Differenzierung der Bahnstrecken erlaube es somit, die Strecken nach Art und Funktion individuell zu beurteilen und zu fördern. Das Konzept beinhalte nicht nur Vorschläge zur Differenzierung, sondern zudem konkrete Lösungsansätze zur jeweiligen Finanzierung. Ein „Perspektivtopf“ soll dafür genutzt werden, das 1000-er Kriterium je nach bereitgestellten Verkehrsleistungen anhand verschiedener Ermäßigungsfaktoren zu entschärfen.
Faktoren seien der demografische Wandel, sprich: die Altersstruktur der um die fraglichen Nebenstrecken ansässigen Bevölkerung, sowie touristische Verkehre mit saisonal-schwankender Nachfrage. Daher sehe das Konzept vor, dass die Bemessungsgrenze für jede der drei Einflussgrößen (demographischer Wandel, Raum mit besonderem Handlungsbedarf und Tourismus) um zehn Prozent reduziert werde, wenn diese vor Ort zutreffen. Dadurch könnten auch Bahnstrecken, die unter dem 1000-er Kriterium bleiben, zum Beispiel aufgrund ihrer wirtschaftlichen und touristischen Bedeutung vom Freistaat und der BEG bestellt werden.
Auch die nicht-bundeseigenen (NE)-Schienenwege fänden im neuen Strategieentwurf Beachtung und würden demnach mit einem Fördertopf zum Erhalt und Ausbau von NE-Infrastruktur unterstützt. „Gerade in unserer Region stehen wir vor dem Problem, dass das Angebot öffentlicher Nahverkehrsleistungen sinkt, während der Anteil der Menschen, die aus Klima-, Alters- oder Kostengründen auf ein eigenes Auto verzichten, steigt. Ein attraktiver öffentlicher Personennahverkehr mit der Schiene als Rückgrat wäre ein großer Gewinn, was auch die positive Entwicklung der Strecke Viechtach-Gotteszell durch Bayerisch Kanada mit steigenden Personenzahlen und der großen Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger zeigt“, so Manfred Eibl abschließend.
Schempf fordert „keine Papiere, sondern Taten“
„Das Papier – und auch die Pressemitteilung von Herrn Eibl mit dem Konzeptvorschlag – lesen sich sehr schön. Nur braucht es seit Jahren keine Papiere und Reden mehr, sondern Taten“, teilt Prof. Dr. Thomas Schempf, Geschäftsführer der Ilztalbahn GmbH, auf Hog’n-Nachfrage mit. „Und da ist bislang nichts passiert, um das 1.000er-Kriterium bei Streckenreaktivierungen als Fallbeil abzuschaffen und durch ein differenzierteres System abzulösen.“
Schempf verweist auf den Abschlussbericht einer Enquetekommission des Bayerischen Landtags zum Titel „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ aus dem Jahr 2018, in dem die wesentlichen Punkte von Eibls Pressemitteilung bereits als Auftrag an den Landtag formuliert worden seien. Wie ein „Ampelsystem“ bei Reaktivierungen aussehen könnte, sei ihm Positionspapier der Nicht-bundeseigenen Eisenbahnen (NE-Bahnen) in Bayern unter Punkt zwei zu finden, so Schempf.
Wenn, wie es in Eibls Pressemitteilung heißt, „die Reaktivierung von stillgelegten Bahnen seit Langem ein zentrales und wichtiges Thema für Manfred Eibl und die Freien Wähler“ sei, so stellt sich für den ITB-Geschäftsführer die Frage, warum er, Eibl, und weitere Mitglieder der Kreistagsfraktion der Freien Wähler im Jahr 2019 im Kreistag von Freyung-Grafenau gegen die Potenzialanalyse für die Ilztalbahn gestimmt hatten. „So zentral, wichtig und ernst scheint es Herrn Eibl da mit der Reaktivierung der Bahnlinie vor seiner Haustür nicht zu sein“, mutmaßt Schempf weiter. Im Sommer und Herbst 2020 habe es zudem mehrere Anträge der Fraktion der Grünen und der FDP im Bayerischen Landtag bezüglich einer Förderung des Schienenverkehrs und der Erleichterung von Streckenreaktivierungen gegeben, die von der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt worden seien.
„Ich bin gespannt, ob sich die praktische Politik von Herrn Eibl und den Regierungsfraktionen endlich ändert oder ob es bei Lippenbekenntnissen bzw. schön bedrucktem Papier bleibt. Wenn sich tatsächlich etwas ändern sollte im Sinne einer nachhaltigeren Mobilitätspolitik, begrüße ich das sehr. Jetzt muss aber geliefert werden – und zwar zügig“, formuliert der Geschäftsführer in aller Deutlichkeit.
Schuberl: „Initiative muss noch konkreter ausgearbeitet werden“
„Ich freue mich, dass zumindest Teile von Freien Wählern und CSU endlich zur Vernunft kommen“, äußerst sich Grünen Landtagsabgeordneter Toni Schuberl zu Eibls Konzeptpapier. Er und seine Mitstreiter hätten sich „jahrelang den Mund fusselig“ geredet, dass das 1.000er-Kriterium für den ländlichen Raum nicht passend sei, dass man Tourismus und Demographie mit berücksichtigen müsse, dass man die Zubringerleistung der Nebenstrecken für die Hauptstrecken mit einberechnen müsse. „Ich habe aber noch Zweifel, dass wirklich die ganze CSU und auch die Verkehrsministerin hinter diesen Vorschlägen steht und vor allem auch die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt.“
Schuberl weiter: „Nimmt man das Papier ernst, zum Beispiel, in dem man die Zubringerleistung von Gotteszell-Viechtach für die Hauptstrecke der Waldbahn mit einberechnet, wäre das 1.000er-Kriterium längst erfüllt.“ Der Grünen-Abgeordnete stellt sich daher die Frage: „Warum hat die Verkehrsministerin dann am Montag nicht sofort den Regelbetrieb verkündet oder zumindest in Aussicht gestellt? Ich finde diese Initiative gut und unterstütze sie gern. Sie muss aber noch konkreter ausgearbeitet, mit Geld hinterlegt und dann vor allem auch umgesetzt werden.“
Stephan Hörhammer
Wenn ich mir das Papier von MdL Eibl so durchlese, denke ich mir spontan aber doch eher – das „Neue“ in diesem Eibl/Baumgartner-Konzept ist vielleicht die erwähnte 10% Spielraumgrenze für das sog. „1.000-er Kriterium“.
Und der Rest ist aus meiner Sicht ein Wiederholen jahrelanger GRÜNER Forderungen – leicht umformuliert. Fast bin ich kurzzeitig eher sauer gewesen über das plumpe „auf den fahrenden Forderungs-Zug springen“, dass Eibl da versucht. Weil seine Forderungen sind ja Dauerforderungen von ProBahn/VCD/Zig verschiedenen Verkehrsinitiativen/ITB/Go-Vit/Grünen/ödp…
Aber wenn die FW anfangen, sich hier abzusetzen von ihrem Koalitionspartner – warum nicht? Dann sollten sie aber auch so ehrlich sein, die (jahrzehntelange) ÖPNV-Verkehrspolitik ihres Koalitionspartners als gescheitert zu bezeichnen. Nichts andres ist sie nämlich, auf jeden Fall „in den ländlichen Gebieten“.
Wenn der CSU-Vertreter MdB Thomas Erndl mehrfach behauptet, die von MdL Schuberl vorgeschlagene „S-Bahn Niederbayern“ wäre ein Hirngespinst und Träumerei (so z.B. bei der KJR-Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl im Freyunger Kurhaus mit Hr. Gruber/BR als Moderator), oder im Kontext von Straßenneubaueröffnungen (siehe beigefügtes pdf), finde ich, sind die auf einem anderen Stern, aber nicht in der Realität einer Klimaveränderung. Erndl sagte da mehrfach, ein ÖPNV sei immer strassengebunden. So ein Krampf.
Und das niederbayerische Ingenieure und Verkehrsplaner auch einen vertakteten Verkehrsverbund aller Verkehrsträger entwickeln könnten, und nicht nur „Autos bauen“, kann ich mir gut vorstellen. Ein*e Verkehrsminister*in, egal ob Bund oder Bayern, sollte als Förderung, Forderung, politische verantwortliche Anregung sowas im Kreuz haben für eine zukunftsorientierte (nieder-)bayerische Mobilität. Und nicht nur „Bavaria one“ für’s weiß-blaue Weltall-Träumen.
Ist das zuviel verlangt??