Dachau. Der Ort, an dem Sabine Wegele ihrer Arbeit nachgeht, ist für die meisten ein Ort des Grauens. Ein Flecken Erde unweit von München, an dem sich Dinge zugetragen haben, die sich ein heute lebender Mensch wohl nicht mehr annähernd vorstellen kann. Die gebürtige Freyungerin ist seit März 2021 in der Pressestelle der KZ-Gedenkstätte Dachau beschäftigt, ist mit ihrem Team dafür zuständig, dass das, was sich hier vor mehr als 70 Jahren zugetragen hat, nicht in Vergessenheit gerät.
„Wichtig ist immer die sachliche und fachliche Richtigkeit von Formulierungen und Bezeichnungen sowie historischer Begebenheiten“, teilt die 39-Jährige gegenüber dem Onlinemagazin „da Hog’n“ mit. Eine Eigenschaft, die ihrer Meinung nach bei jeder PR gegeben sein sollte – „da sehe ich bei uns keine Ausnahme“. Ein Gespräch über einen nicht alltäglichen Job, der von großer gesellschaftlicher Bedeutung ist – und der trotz der Schwere des Themas auch viel Positives mit sich bringt…
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Frau Wegele: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie in der Pressestelle der KZ-Gedenkstätte Dachau arbeiten?
Für das Thema Nationalsozialismus im Allgemeinen und Konzentrationslager im Speziellen interessiere ich mich schon seit frühester Jugend. Nach dem Geschichte/Sozialkunde-Leistungskurs folgte das Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Vergleichenden Kulturwissenschaft an der Uni Regensburg. Meine Magisterarbeit habe ich im Rahmen einer Werkstudentinnentätigkeit an der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zum Thema „Auf dem Weg in den ,Todesmarsch‘: Das KZ Flossenbürg im Zusammenbruch des Dritten Reichs“ erarbeitet und verfasst.
„Das lässt mich nicht kalt“
Beruflich habe ich mich dann allerdings nach meinem Abschluss erst einmal woanders hin orientiert: Zunächst war ich im Lektorat und der PR- und Öffentlichkeitsarbeit in einem Verlag, danach sieben Jahre in verschiedenen Marketing- und Kommunikations-Agenturen mit Schwerpunkt Content-Marketing tätig. Mit der Stelle in Dachau hat sich der Kreis für mich geschlossen: Nach einer beruflichen Auszeit war mein Ziel, meinen Beruf mit mehr Sinnhaftigkeit zu füllen – bevorzugt natürlich an meinem Wohnort München. Deshalb war die Stellenanzeige an der KZ-Gedenkstätte Dachau für mich wie ein „Bingo – das ist es!“ Ich freue mich immer noch sehr darüber, dass es geklappt hat und fühle mich auch sehr wohl hier.
Das Grundthema, die systematische Vernichtung von Menschenleben, mit dem Sie sich in Ihrem Alltag mal mehr mal weniger bewusst umgeben, sich auseinandersetzen und beschäftigen – was macht das mit einem? Würden Sie sagen, dass das „ein Job wie jeder andere“ ist?
Nein, ich würde nicht sagen, dass das ein Job wie jeder andere ist. Auch nach vielen Jahren der Beschäftigung damit verliert es nicht an Schrecken. Auch jeden Tag durch dieses Tor zu gehen, an diesem Ort zu sein, die Verbrechen, die hier geschehen sind und dieses unendlich große Leid – das lässt mich nicht kalt. Trotzdem ist es eine Art Traumjob für mich: Ich darf mich jeden Tag mit einem Thema beschäftigen, das mich seit Langem interessiert. Zudem ist es von großer gesellschaftlicher Bedeutung, nie aufzuhören darüber zu sprechen und das Wissen darum weiterzugeben und zu vermitteln.
Geben Sie uns bitte einen kurzen Einblick in Ihren Arbeitsalltag.
Zum einen gehört natürlich die klassische Pressearbeit dazu – Pressemitteilungen verfassen, herausgeben, Kontakte pflegen, Anfragen bearbeiten, Filmteams begleiten. Aber auch die digitalen Kommunikationskanäle gehören zu meinen Aufgaben, also die Website, der Newsletter und auch unsere Social-Media-Kanäle, letztere mit Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen aus der Bildungsabteilung. Zudem arbeite ich an der Organisation und Durchführung unserer Veranstaltungen mit und kümmere mich um die interne Koordination, wenn sich hohe Besuche wie beispielsweise von Vertretern und Vertreterinnen aus der Politik ankündigen. Mein Alltag ist sehr abwechslungsreich – als unangenehm habe ich bislang noch keine Aufgabe empfunden.
„Es gibt jede Menge Positives“
„KZ-Gedenkstätte verurteilt ‚Hitlergruß‘-Vorfall aufs Schärfste“ lautete die Headline der Pressemitteilung vom 19. Oktober 2021. Ein Vorfall, den es häufiger gibt?
KZ-Gedenkstätten und -Friedhöfe sind leider nicht selten Ziel rechter Provokationen, eine genaue Zahl an Vorfällen können wir jedoch nicht nennen. Orte wie die KZ-Gedenkstätte Dachau werden leider immer wieder zur Inszenierung genutzt, Vandalismus und Sachbeschädigung kommen häufiger vor – wie beispielsweise durch rechtsradikale Aufkleber oder Schmierereien wie kürzlich am Gedenkort Hebertshausen. Zu tätlichen Übergriffen kommt es nur selten. Vor einiger Zeit hat etwa auch der bekannte Rechtsradikale Nikolai Nerling, der sich selbst als „Volkslehrer“ bezeichnet, versucht, die KZ-Gedenkstätte Dachau als Bühne für seine rechtsextremen Botschaften zu missbrauchen, wogegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte sowie die Schülergruppe, die davon betroffen war, vehement einschritten. Inzwischen ist er rechtskräftig wegen Volksverhetzung verurteilt.
Welche weiteren Inhalte hinsichtlich der KZ-Gedenkstätte werden Ihrerseits grundsätzlich der Öffentlichkeit mitgeteilt? Gibt es etwa auch einmal etwas Positives zu vermelden?
Natürlich ist unser Thema im Kern nicht positiv, aber über unsere Arbeit an der Gedenkstätte gibt es natürlich sehr viel Positives zu berichten. Unsere Bildungsangebote beispielsweise wie Workshops und Seminare, Veranstaltungen wie Zeitzeugengespräche oder die Augmented Reality App „ARt“, die im September erfolgreich gelauncht wurde. Diese App stellt die Geschichte des KZ Dachau mittels Kunstwerken ehemaliger Häftlinge dar. Im Juli konnten wir die Premiere unseres neuen Dokumentarfilms begehen.
Unsere Gedenkstättenleiterin Dr. Gabriele Hammermann wurde dieses Jahr mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. Neue Forschungsergebnisse, neue Ausstellungen oder ein Theaterstück, das wir nächstes Jahr im Kinosaal der Gedenkstätte präsentieren werden, sind ebenfalls positive Nachrichten über die wertvolle Arbeit, die an der Gedenkstätte erfolgreich geleistet wird. Sehr ermutigend und erfreulich ist außerdem die enge Zusammenarbeit und der Austausch mit den Überlebenden und Befreiern. Deren Lebensgeschichten geben Mut und das Gefühl, dass wir hier das Richtige tun. Wie man sieht: Es gibt jede Menge Positives.
Nehmen Sie gewisse Ereignisse, Bilder, Vorfälle „mit nach Hause“? Sprich: Beschäftigen Sie gewisse Dinge auch nach Feierabend? Oder haben Sie einen Weg für sich gefunden, mit dem Sie eine Art Distanz zwischen Beruf und Privatleben aufbauen können?
Der lange Arbeitsweg einmal quer durch die Stadt hilft sehr, die Arbeit nicht zu sehr mit nach Hause zu nehmen. Es gelingt mir auch mittlerweile ganz gut, mich nach Feierabend bewusst gedanklich davon zu distanzieren. Aber klar, nach intensiven langen Arbeitstagen oder – wie neulich nach einem sehr bewegenden und interessanten Vortrag zum Thema „Wehrmachtsangehörige in KZ-Wachmannschaften“ – fällt das Abstandnehmen schwerer. Meine Hobbys sind aber da ein sehr guter Ausgleich, ich bin viel in den Bergen unterwegs und gehe klettern. Da bekommt der Kopf die Pause, die er braucht.
„Wir steuern auf die Zeit ohne Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu“
Ist eine „neutrale PR“ für eine KZ-Gedenkstätte generell möglich? Oder ist das Thema von Haus aus derart emotionalisiert und somit eine weitestgehend sachliche Pressemitteilung gar nicht erst denkbar?
Generell versucht die Gedenkstättenarbeit, Wissen sehr sachlich zu vermitteln, Mitteilungen demnach auch entsprechend zu formulieren. Emotionalität wird weitestgehend vermieden, beispielsweise auch bei Rundgängen über das Gelände. Historisches Bildmaterial bedarf immer einer Kontextualisierung. Die Fakten an sich sind ohnehin bereits grausam genug, da bedarf es keiner zusätzlichen Emotionalisierung. Wichtig ist eine stets akkurate Darstellung der historischen Fakten.
Was denken Sie: Warum ist Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für eine KZ-Gedenkstätte heute wichtiger denn je?
Wir steuern auf die Zeit ohne Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu – bald ist niemand mehr da, der selbst von den Verbrechen und der Grausamkeit damals berichten könnte. Das macht es vor allem für die jüngeren Generationen schwieriger und ist für die Gesellschaft eine große Herausforderung, um auch künftig dem „Nie-wieder“-Versprechen gerecht zu werden. Und uns als KZ-Gedenkstätte kommt dabei natürlich eine bedeutende Rolle zu, weil der Ort erhalten bleibt, an dem diese Dinge geschehen sind. Die wichtige Aufgabe unserer Pressearbeit ist es, das Thema weiterhin ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und auch junge Menschen dafür zu interessieren und zu sensibilisieren.
Gibt es Gradmesser dafür, wie „effektiv“ die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einer KZ-Gedenkstätte ist? Oder anders gefragt: Woran können Sie erkennen, dass Ihre Arbeit sinnvoll ist?
Zum einen ist natürlich ein wichtiger Gradmesser, wie viel und in welcher Art unsere Themen von der Presse aufgegriffen werden. Das monitoren, dokumentieren und werten wir regelmäßig aus. Quantitativ können wir das auch gut am Zuspruch für unsere Angebote ablesen: Wie viele Teilnehmende haben wir bei Veranstaltungen, wie gut werden die öffentlichen Rundgänge, die Themenrundgänge, die weiteren Angebote der Bildungsabteilung gebucht? Die Resonanz in den digitalen Medien ist ebenfalls von Bedeutung – und allgemein können wir nach wie vor ein großes und breites Interesse an der Gedenkstätte und unseren Themen ausmachen. Das wollen wir natürlich weiter ausbauen und intensivieren.
„Dürfen nicht müde werden, dem entgegenzutreten“
Blicken wir abschließend nach vorne: Was wünschen Sie sich persönlich für Ihre Arbeit als Mitglied der Stelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der KZ-Gedenkstätte Dachau?
Wir hatten vor Kurzem eine Presseanfrage für ein Interview mit einer Kollegin, die ein Buch zum Thema Antisemitismus veröffentlicht hat, das allerdings schon im März. Die Anfrage wurde dann deswegen zurückgezogen, weil es im Moment nach Sicht des Mediums „keinen aktuellen Anlass“ gab, um über Antisemitismus zu berichten. Das wünsche ich mir, dass wir diese Einstellung hinter uns lassen und stets im Bewusstsein haben, dass das ein aktuelles Thema ist, über das wir auch konsequent sprechen müssen. Weil es ein Problem unserer Gesellschaft ist und wir nicht müde werden dürfen, dem entgegenzutreten.
Generell wünsche ich mir, dass diese Themen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht verharmlost und relativiert werden. Darin sehe ich auch eine der größten Herausforderungen für uns als Gedenkstätte, aber eben auch für mich und meine Arbeit: das Wissen um die Verbrechen des Nationalsozialismus auch den jüngeren Generationen zu vermitteln und weiterzugeben, die keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr kennen.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unsere Fragen genommen haben.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer