München/Bayerischer Wald. Die Amtszeit des 18. Bayerischen Landtages zu verkürzen, Neuwahlen zu erzwingen – das ist das Ziel der Initiative „Landtag abberufen“, die vor allem die Corona-Politik der Söder-Regierung kritisiert. Ein entsprechendes Volksbegehren wurde durch das „Bündnis Landtag abberufen“, dessen Mitglieder der sog. Querdenker-Szene zuzuordnen sind und teils vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet werden, auf den Weg gebracht.
Bis einschließlich Mittwoch, 27. Oktober, konnte man sich hierzu in seiner jeweiligen Heimatgemeinde eintragen. Das offizielle Ergebnis steht noch nicht fest. Erste Tendenzen weisen jedoch darauf hin, dass das notwendige Quorum nicht erreicht werden konnte. Mindestens eine Million Menschen in Bayern müssten ihre Unterschrift abgeben, damit es zu einem Volksentscheid kommt. Im Rahmen einer Umfrage hat sich das Onlinemagazin da Hog’n bei den für den Woid zuständigen Landtagsabgeordneten umgehört und nachgefragt, was sie von der umstrittenen Initiative, die von der bayerischen AfD unterstützt wird, halten.
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„Corona eine zu große Gefahr, als dass man tatenlos zusehen dürfte“
Toni Schuberl (Grüne): „Als Abgeordneter, der mit viel Leidenschaft seine Arbeit macht, kann ich es nicht unwidersprochen lassen, wenn in der Öffentlichkeit durch die Initiative ‚Landtag abberufen‘ ein derart schräges Bild unseres Parlaments gezeichnet wird.
Es ist seit eineinhalb Jahren wohl kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht mit dem Thema Corona befasst habe. Wir haben in unserer grünen Landtagsfraktion mit hochrangigen Expertinnen und Experten diskutiert, darunter waren Virologen, Psychologen und Intensivmediziner. Andreas Krahl, ein Kollege von mir und im Übrigen ein gebürtiger Freyunger, war vor seinem Einzug in den Landtag Fachkrankenpfleger für Intensivmedizin. Während der zweiten Welle ist er auf eine Intensivstation zurückgegangen, um dort beim größten Ansturm auszuhelfen.
Er weiß, wie es auf den Intensivstationen zuging. Unsere gesundheitspolitische Sprecherin Christina Haubrich ist Krankenschwester und Heilpraktikerin. Wir hatten täglich Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern aus allen Bereichen, von der Gastronomie über den Einzelhandel, aus dem Schul- und Kindergartenbereich bis hin zu den Arbeitern in Kurzarbeit.
Ich habe unzählige Debatten mit Corona-Skeptikern geführt und mir deren Links und YouTube-Videos angesehen. Dies alles gilt wohl für die allermeisten der 205 Abgeordneten des Bayerischen Landtags, die aus allen politischen Lagern und gesellschaftlichen Schichten kommen. Auch im Landtag verging kaum eine Sitzung, weder im Plenum noch in den unterschiedlichsten Fachausschüssen, in denen nicht über Corona in den unterschiedlichsten Themenfeldern debattiert worden ist. Die Abgeordneten wissen Bescheid und treffen unsere Entscheidungen auf einer breiten Faktengrundlage.
„Auch wir haben die One-Man-Show Söders scharf kritisiert“
Und diese Fakten haben für uns als Abgeordnete der demokratischen Fraktionen klar ergeben, dass Corona eine zu große Gefahr ist, als dass man tatenlos zusehen dürfte. Uns ist aber auch klar gewesen, dass jede Maßnahme zur Rettung von Menschenleben ihrerseits wiederum große Schäden und Leid verursacht. Das ist die große und schwierige Verantwortung, die Vor- und Nachteile umfassend abzuwägen, zu beschließen, Fehler wieder zu korrigieren, auf neue Entwicklungen zu reagieren und irgendwie das Land durch die Krise zu führen.
Wir haben kritisiert, Gegenvorschläge eingebracht, aufgezeigt, wo die Maßnahmen zu krass sind und über das Ziel hinausschießen – etwa wurde deutlich gemacht, dass das Isolieren von Alten in den Altenheimen menschenunwürdig ist, woraufhin das beendet wurde. Und wir haben die One-Man-Show Söders scharf kritisiert, die Hinterzimmer-Entscheidungen angegriffen und eine saubere gesetzliche Grundlage verlangt. Unzählige Anfragen wurden gestellt, Pressearbeit gemacht, es wurden sogar Klagen eingereicht. Es gab Nachforschungen, wer sich bereichert haben könnte – und jetzt wurde ein Untersuchungsausschuss einberufen. Es wurde alles getan, was eine Opposition zu tun hat. Aber wir haben nicht die Gefährlichkeit des Virus geleugnet.
Die Initiative ‚Landtag abberufen‘ hätte auch einen Gesetzentwurf durch ein Volksbegehren einreichen können, mit dem das Volk die Corona-Maßnahmen aufheben oder teilweise aufheben oder verändern oder andere Maßnahmen beschließen könnte. Das tat sie aber nicht, sie wollte stattdessen den Landtag als Ganzes abberufen ohne eigene Vorschläge. Dies ist destruktiv und diente nur der Beschädigung unserer Volksvertretung und unserer Demokratie, indem man ihr pauschal die Funktionsfähigkeit und Legitimation abspricht.“
„Protagonisten kommunizieren ein Zerrbild der Realität“
Alexander Muthmann (FDP): „Ich halte es für ausgeschlossen, dass es die Initiative schafft, das in der Bayerischen Verfassung vorgesehene Verfahren auszulösen. Das liegt nach meiner Überzeugung vor allem daran, dass die Motive des Bündnisses höchst zweifelhaft sind und die Protagonisten ein Zerrbild der Realität kommunizieren.
Und die Menschen durchschauen das. Der Landtag ist von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern als Herzkammer der Demokratie legitimiert und arbeitet unermüdlich für das Wohle des Freistaats. Forderungen nach einer Abberufung sind ein Angriff auf den Wählerwillen. Das Verunglimpfen von Politik und Parteien als ‚Diktatur‘ ist nicht hinnehmbar und ohne jegliche Grundlage. Im Übrigen steht es in unserem Staat Gott sei Dank jedem frei, sich politisch zu engagieren und um Mehrheiten zu werben – unter der verfassungsrechtlichen Garantie freier Meinungsäußerung und im Rahmen demokratisch legitimierter und geschützter Institutionen.“
„Einen Grund für die Abberufung gibt es nicht“
Manfred Eibl (Freie Wähler): „Querdenker und andere Radikale missbrauchen mit dem Volksbegehren zur Abberufung des Landtags ein Instrument der Bayerischen Verfassung.
Im Landtag wird über die richtige Politik für Bayern gestritten, das ist gelebter Parlamentarismus. Einen Grund für eine Abberufung des Landtags gibt es nicht. Der Landtag ist voll funktionsfähig und kümmert sich um die Belange der Bürgerinnen und Bürger. Bayern braucht stabile Verhältnisse und kein destruktives Volksbegehren zur Durchsetzung von Neuwahlen.“
„Eine parlamentarische Diskussion gab es nie“
Ralf Stadler (AfD): „Die Absichten der Initiatoren sind klar und auch nachvollziehbar. Wahrscheinlich werden die Unterschriften nicht ausreichen, um den Landtag ‚abzuberufen‘. Der Unmut im Volk bleibt. Die Regierung Söder regiert seit mehr als eineinhalb Jahren per Verordnungen durch. Eine ‚Debatte‘ gab es darüber zu keinem Zeitpunkt im Bayerischen Landtag, denn die bereits vorab beschlossenen Verordnungen wurden den Abgeordneten lediglich präsentiert und von der Regierungsmehrheit durchgewunken.
Eine parlamentarische Diskussion, wie sie im Vorfeld von Regierungsinitiativen eigentlich üblich ist, gab es nie. Die Kritik eines Teils der Bevölkerung, die wir als AfD-Fraktion seit Beginn der unverhältnismäßigen Corona-Maßnahmen im Landtag vorgebracht haben, ist durchaus berechtigt. Die Bürger haben das Recht, überzogene und gegen das Grundrecht verstoßende Regierungsentscheidungen zu kritisieren und, als demokratischer Souverän, auch Volksbegehren zu nutzen. Die Zeiten sind vorbei, als die Kritik an der CSU-Politik als Majestätsbeleidigung galt.“
„Es würde sich nichts ändern“
Max Gibis (CSU): „Grundsätzlich bin ich ein Verfechter von direkter Demokratie und somit auch von Volksbegehren und Bürgerentscheiden. Vor allem bei regionalen Themen hat sich dieses Instrument schon des Öfteren bewährt. Zum nun aktuellen Volksbegehren ‚Landtag abberufen‘ stellte sich mir allerdings von Beginn an die Frage, was die Initiatoren damit eigentlich erreichen wollen?
Was wäre passiert, wenn das Volksbegehren erfolgreich gewesen wäre? Dann wäre es wahrscheinlich zu einem Volksentscheid gekommen, da sich der Landtag höchstwahrscheinlich nicht selber aufgelöst hätte. Und wenn dann dieser Volksentscheid auch erfolgreich gewesen wäre, dann wäre es ganz einfach zu Neuwahlen gekommen. Es wäre dann eine Landtagswahl gewesen, die nur ein Jahr früher stattgefunden hätte, als geplant. Wer das Wahlsystem kennt, der weiß, dass sich zum allergrößten Teil diejenigen wieder beworben hätten, die auch jetzt ein Landtagsmandat haben.
Sicherlich wäre es zu Verschiebungen bei den Ergebnissen gekommen, aber an der Besetzung des Landtags hätte sich nichts Wesentliches geändert. Die Initiatoren des Volksbegehrens wenden sich ja hauptsächlich gegen die Corona-Politik in Bayern. Allerdings haben alle Fraktionen im Landtag diese Corona-Politik im Großen und Ganzen mitgetragen – außer der AfD. Es hätte sich somit in Endeffekt fast nichts geändert! Anmerken muss man auch, dass es nicht nur in Bayern Corona-Maßnahmen gab. Alle anderen Bundesländer haben die Gleichen Maßnahmen ergreifen müssen. Und die Maßnahmen in anderen Ländern waren ja oft noch einschneidender als in Bayern.“
MdL Christian Flisek (SPD) hat bis dato nicht auf die Hog’n-Anfrage nach einer Stellungnahme zum Thema reagiert.
Umfrage: Helmut Weigerstorfer
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Nachtrag: Inzwischen steht das Ergebnis des Volksbegehrens fest (einfach klicken)