Altreichenau. „Neben meinen Pferden könnte der Blitz einschlagen – sie würden trotzdem ruhig bleiben“, sagt Andrea Klotsch. Die Reittherapeutin ist begeistert vom Charakter ihrer vier Westernpferde: „Sie regen sich nicht auf, sind nicht schreckhaft. Sie sind sensibel und vorsichtig.“ Und genau das macht sie so geeignet für die Art von Reitunterricht, die die 38-Jährige auf ihrer Reitanlage in Branntweinhäuser bei Altreichenau anbietet.
„Herzenspferde“ hat Andrea Klotsch ihr Kursangebot getauft. Es unterscheidet sich grundlegend von klassischem Reitunterricht im englischen Reitstil: Dort lenkt und kontrolliert der Reiter sein Pferd über den Zügel, der mit dem Gebiss im Pferdemaul verbunden ist. Beim Westernreiten dagegen arbeitet der Reiter mit langen Zügeln. „Ein Gebiss gibt es bei uns nicht“, erklärt Andrea Klotsch. Ihr kommt es viel mehr auf die enge Kommunikation zwischen Reiter und Pferden über Zuruf oder Schenkeldruck an. „Das Pferd soll immer freiwillig mitmachen – ohne Zwang oder Befehlston“, sagt sie. „Westernreiter wollen mit dem Pferd gemeinsam etwas erleben, sich mit ihm gemeinsam Dinge erarbeiten.“
Pferde müssen bei ihr nicht „funktionieren“
Wenn ein Kind bei ihr zum ersten Mal auf ein Pferd steigt, dann sitzt es zunächst nicht auf einem Sattel, sondern auf einer Decke. Zum Festhalten gibt es Ledergriffe, keine Zügel. Andrea Klotsch führt das Pferd an der langen Leine oder voltigiert es dann.
„Ein Pferd stellt sich auf den Menschen ein“, sagt die 38-Jährige. „Aber dieses Verhalten wird Pferden zu oft abtrainiert.“ Ihre Tiere müssen nicht immer ‚funktionieren‘: „Sie dürfen mir auch mal zu verstehen geben: Ich will gerade nicht“, erklärt die Reittherapeutin. „Wenn ich an die Koppel komme und ihre Namen rufe, kommen sie immer.“ Dies zeige, dass sie gerne mit ihr zusammenarbeiten, dass sie sich auf Reitstunden und Ausritte freuen. „Wenn sie nicht wollten, könnte ich sie gar nicht einfangen.“
Das Konzept, wie sie ihre vier Pferde hält, hat sie selbst erstellt und genau durchdacht: Es gibt eine Unterstellmöglichkeit, aber keinen festen Stall. „Ein Pferd ist ein Lauf- und Herdentier“, weiß sie, „es will sich immer bewegen“. Den offenen Unterstand würden ihre Westernpferde hauptsächlich im Sommer bei großer Hitze nutzen. Wichtig ist ihr auch: Ihren Pferden steht den ganzen Tag über Futter zur Verfügung. „Pferde sind Dauerfresser. Wenn sie Hunger haben, werden sie grantig.“ Andrea Klotsch macht es ihren Rössern aber nicht immer leicht, an das Futter zu kommen: Sie entwirft so genannte Trails auf dem Gelände – also weite Wege zwischen Unterstand, Futter und anderen interessanten Stellen auf der Koppel – um immer einen Bewegungsanreiz für die Tiere zu schaffen.
Fasziniert vom einzigartigen Charakter der Westernpferde
Ein Pferdenarr war sie bereits als kleines Mädchen. Die Möglichkeit zu reiten, hatte sie damals allerdings nicht. „Ich habe gespielt, dass ich selbst ein Springpferd bin“, erzählt sie lachend. Mit 14 suchte sie sich dann einen Ferienjob – mit dem einzigen Ziel: Geld verdienen, um sich eine Reitbeteiligung kaufen zu können. Die Besitzerin des Pferdes, das sie von da an reiten durfte, gab ihr Unterricht.
„Bald danach habe ich jedes Pferd in der Umgebung geritten, das sonst keiner reiten wollte“, erinnert sich Andrea Klotsch. Die Faszination dafür hat bis heute nicht nachgelassen. Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung zur Erzieherin: „Als ich ausgelernt hatte, habe ich ein halbes Jahr lang gearbeitet und gespart, um mir dann sofort mein erstes eigenes Pferd zu kaufen“, blickt sie zurück.
„Ursprünglich waren spanische Pferde mein Traum“, erzählt sie. Bei ihrer Trainerin lernte sie dann aber Westernpferde kennen. „Es war erstmal seltsam, eine ganz andere Art zu reiten“, berichtet die erfahrene Reitlehrerin. Sie merkte schnell, welch einzigartigen Charakter Westernpferde haben: ruhig, nicht schreckhaft, sehr sensibel. „Wenn mein Pferd Floren sieht, dass ein Mensch traurig ist und weint, kommt sie zu ihm und legt vorsichtig ihren Kopf an seine Brust.“
Möglichst vielen Menschen Ausritte ermöglichen
Ihr allererstes Pferd hieß Lena. Sie war ein erst vier Stunden altes Fohlen. „Sie konnte natürlich noch gar nichts, erst nach drei Jahren war reiten mit ihr möglich“, sagt Andrea Klotsch, die bereits damals wusste, dass sie Reittherapeutin werden will und dafür möglichst bald ein Pferd benötigt, auf dem sie Reitunterricht anbieten kann. Im Internet entdeckte sie eine Anzeige: Die fünfjährige Stute Floren stand zum Verkauf. „Zwei Wochen später habe ich sie zu mir geholt“, erinnert sie sich. „Ihr weicher Gesichtsausdruck hat mir sofort gefallen.“
Einundzwanzig Jahre ist das schwarzweiße Westernpferd mittlerweile alt – und lebt nach wie vor auf dem Hof in Branntweinhäuser. Genau wie Lena. Beide haben in ihrem Leben je ein Fohlen geboren: Starlight und Raven. Auf allen vier Pferden trainieren regelmäßig Reitschüler und Reitschülerinnen.
Zum Unterricht kommen Vierjährige genauso wie 75-Jährige. Das Besondere: Wer bei Andrea Klotsch Reitstunden nimmt und auf dem Reitplatz die Basics gelernt hat, darf ziemlich schnell raus ins Gelände: „Ich will möglichst vielen Menschen Ausritte ermöglichen“, sagt sie. „Ganz einfach auch aus dem Grund, weil viele einen Ausritt mit Freiheit verbinden.“
Aktion Herzenspferde: Andrea Klotsch hilft auch kostenlos
Die „Herzenspferde“ sind aber auch für alle diejenigen da, die mit gesundheitlichen oder psychischen Problemen zur 38-Jährigen kommen. „Anlass für eine Reittherapie kann von einer Behinderung über Schmerzen bis hin zu sozialen Ängsten eigentlich alles sein“, weiß sie. „Die Pferde helfen dem Menschen, sich als Person weiterzuentwickeln.“ Wichtig sei dabei, den Tieren seine Gefühle zu zeigen: „Auch wenn man Angst vor dem Pferd hat, darf man das zeigen. Mit ihnen muss man ehrlich umgehen, sonst merken sie, dass etwas nicht stimmt.“
Viele Menschen könnten sich in der Nähe der Pferde entspannen, loslassen und selbst zur Ruhe kommen. „Dazu kommt, dass Pferde bei Kindern nie mit dem Stempel ‚Therapie‘ belegt sind“, erklärt Andrea Klotsch weiter. Für Mädchen und Buben bedeute das Reiten Spaß und Abwechslung – im Gegensatz zu anderen, klassischen Therapien. „Schüchterne und zurückhaltende Kinder tauen auf“, informiert die Reittherapeutin, die gerade ein berufsbegleitendes Studium zur Heilpädagogin absolviert.
Dieses besondere Erlebnis mit Pferden möchte Andrea Klotsch gerne auch denjenigen ermöglichen, die sich Reitunterricht oder eine -therapie nicht leisten können: „Ich biete es gerne auch mal kostenlos an, dass Leute zu mir kommen, Zeit mit den Pferden verbringen oder reiten dürfen“, sagt sie. Wer jemanden kennt – egal ob Kind oder Erwachsenen –, dem er eine kleine Auszeit mit den Herzenspferden ermöglichen möchte, darf sich daher gern bei ihr melden.
Sabine Simon