Freyung-Grafenau. „Die ganze Wirtschaft brennt“, stellt Michael Krammer vom gleichnamigen Freyunger Autohaus lapidar fest. Entsprechende Berichte regionaler und überregionaler Medien bestätigen die Worte des Obermeisters der Kfz-Innung Niederbayern. Und auch das Onlinemagazin da Hog’n berichtete bereits über den weiter anhaltenden Materialmangel: Zimmerer Michael Stockinger blickte bereits im Juni auf die besorgniserregende Entwicklung in der Holzbranche. Doch das ist längst nicht die einzige Sparte, die unter der aktuellen Situation, die von Lieferengpässen dominiert wird, ächzt. Auch und vor allem die in Deutschland so prägende Autoindustrie schlägt Teile- und Endprodukte-Alarm.
„Egal, welcher Hersteller, egal, ob fertige Autos oder Ersatzteile – jeder hat derzeit zu kämpfen“, gewährt Michael Krammer einen alles andere als erfreulichen Einblick in die Lieferketten des Automobil-Sektors. Lieferzeiten von mehr als einem Jahr für Neuwagen stellten inzwischen eher Normalität als die Ausnahme dar. Ersatzteile lassen lange auf sich warten, sodass selbst einfachste Reparaturen zu einer Ewigkeitsbaustelle werden können. Und auch wenn Krammer insgesamt feststellt, „dass es gerade noch geht“, ist dem umtriebigen Firmenchef vor der näheren Zukunft bange. Eine Entspannung der Lage ist nämlich (noch) nicht in Sicht.
Vorausschauendes Planen verbunden mit finanziellem Risiko
Ähnliches berichtet auch Hannes Falk, Mitglied der Geschäftsführung der TOHA Automobil-Vertriebs GmbH. Der ansonsten mit Fahrzeugen aller Art prall gefühlte Betriebshof des europaweit agierenden Händlers an der B12 bei Heldengut hat sich gelichtet. Nichtsdestotrotz ist TOHA weiterhin voll lieferfähig. „Dass wir weniger Autos vor Ort haben, liegt vor allem daran, dass die Händler aufgrund der aktuellen Entwicklung vermehrt auf uns zurückkommen, wenn sie Autos brauchen“, berichtet Falk. „Unsere direkten Endkunden können wir weiter ohne Probleme bedienen. Das liegt daran, dass wir vorgesorgt und bereits vor längerer Zeit groß eingekauft haben. Das liegt aber auch daran, dass wir unserer Firmenphilosophie entsprechend europaweit Fahrzeuge ordern.“
Trotz dieses glücklichen Umstands blickt auch Hannes Falk mit besorgniserregtem Blick in die nähere Zukunft der Autobranche. „Ein schnelles Ende der derzeit vorherrschenden Mangelwirtschaft ist leider nicht in Sicht. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Situation anzunehmen und so vorausschauend wie möglich zu planen. Dass das mit einem gewissen finanziellen Risiko verbunden ist, steht fest.“ Soweit die individuelle Sicht auf die Lieferengpässe in punkto Fahrzeuge. Daniel Rother, Branchenbetreuer Industrie bei der IHK Niederbayern, wirft im Hog’n-Kurzinterview einen kollektiveren Blick auf die aktuelle Lage.
Ist der Materialmangel auch bereits bei den Mitgliedern der IHK Niederbayern angekommen?
Gerade die Industrie hat sich in der Corona-Krise sehr widerstandsfähig gezeigt und sich als eine wichtige Stütze der Konjunktur erwiesen. Deswegen haben wir bereits vor einigen Monaten ein Anziehen von Nachfrage und Bedarf auf den Weltmärkten bei Materialien und Rohstoffen gesehen. Der Rohstoff- und Materialmangel ist in der niederbayerischen Wirtschaft nicht erst jetzt angekommen, er ist schon längst da.
Die Gemengelage macht es der Wirtschaft zunehmend schwierig
Welche Bauteile fehlen derzeit?
Fehlende Halbleiter sind ein bekanntes Problem, vor dem Unternehmen aus unterschiedlichsten Bereichen stehen. Andere Beispiele aus den Betrieben belegen aber die ganze Bandbreite des Themas. Kunststoffverarbeitende Betriebe berichten, dass ihnen der Grundstoff für ihre Produkte ausgeht. Im Metallbereich steigen die Unsicherheiten bei der Beschaffung von Stahl, Aluminium oder Gusskomponenten und ebenso bei Betriebsstoffen wie technischen Ölen oder etwa der Verpackung. In der Bauindustrie sind längst nicht nur Baustahl oder Bauholz knapp, mittlerweile wird etwa auch der Mangel an Dämmstoffen zum Hindernis. Die Liste ließe sich fortführen.
Wie dramatisch ist die Lage generell?
Gerade die niederbayerische Wirtschaft hat sich immer als sehr flexibel gezeigt, die Unternehmen können sich schnell anpassen und auf Herausforderungen wie eben etwa den Material- und Rohstoffmangel reagieren. Was für die Wirtschaft aber zählt, ist das Gesamtbild. Wenn nun weitere Risiken hinzutreten, die uns die Unternehmen in Umfragen genannt haben, also insbesondere der Fachkräftemangel, extreme Preissteigerungen bei Energie- oder Transportkosten, steigende Arbeitskosten, Unsicherheiten bei der Inlandsnachfrage oder ganz allgemein die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, dann wird es für eine mittelständisch orientierte Wirtschaft, die gerade erst den Weg aus der Corona-Krise hinaus geht, zunehmend schwierig.
Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie?
Worin liegen die Gründe für die Lieferengpässe bzw. den Materialmangel?
Die Thematik ist komplex und sicherlich gibt es nicht den einen Grund, den man dann auch schnell abstellen könnte. Es geht um international verwobene Liefer-, Produktions- und Beschaffungsprozesse. Ein wichtiger Grund ist zweifellos, dass Nachfrage und Bedarf an den Weltmärkten zuletzt stärker angezogen haben, als von vielen erwartet. Gleichzeitig sorgt die Pandemie weiterhin für Einschränkungen – und das weltweit. Auch die gestiegene Unsicherheit aufgrund internationaler Handelsbeschränkungen, der Klimapolitik, oder des demografischen und gesellschaftlichen Wandels können sich negativ auf die Wirtschaft auswirken.
Droht Kurzarbeit für die Mitarbeiter?
Je nach Betroffenheit beziehungsweise Ausrichtung eines Unternehmens dürften die Auswirkungen sehr individuell sein. Und ein Unternehmer bleibt ja nicht passiv und nimmt die gegebenen Probleme hin, sondern er reagiert aktiv darauf und bemüht sich um Lösungen und Auswege. Eine generelle Aussage ist daher nicht möglich.
Wann ist wieder mit einer „normalen“ Produktion zu rechnen?
Es ist gerade einiges im Umbruch und Corona wirkte auf vieles wie ein Beschleuniger oder Verstärker, beispielsweise auf die Digitalisierung. Die Wirtschaft war aber noch nie ein Fan des Weiter-so. Was heute normal ist, muss es morgen schon nicht mehr sein – und das ist für die Wirtschaft so lange kein Problem, wie man ihr die unternehmerische Freiheit lässt, auf diese Veränderungen auch flexibel und eigenverantwortlich zu reagieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Helmut Weigerstorfer