Freyung-Grafenau. Was war denn da am Wahlabend auf der Facebook-Seite von Martin Behringer kurz nach der Verkündung der Ergebnisse im Wahlkreis 227 los? Eine offensichtlich angesäuerte SPD-Konkurrentin Rita Hagl-Kehl schloss sich nicht den zahlreichen Gratulanten an, die dem Freie-Wähler-Mann ihre Glückwünsche zu seinem durchaus beachtlichen Ergebnis entgegen brachten. „Verschenkte Stimmen, aber das war ja vorher klar! Dafür bekommt ihr jetzt ordentlich Geld aus der Staatskasse, aber das war ja das Ziel der ganzen Aktion“, ätzte die parlamentarische Staatssekretärin im Justizministerium gegen den erstmals bei einer Bundestagswahl angetretenen Thurmannsbanger Bürgermeister per FB-Kommentar.
Die unmittelbare Reaktion Behringers fiel beschwichtigend aus: „Liebe Rita! Ich möchte dir wieder zum Einzug in den Bundestag gratulieren! Alles andere möchte ich jetzt nicht kommentieren, weil es mir nicht um Geld gegangen ist, sondern um unseren Wahlkreis bzw. Heimat und deren Menschen!“ Wir haben bei den beiden Politikern nachgefragt.
„Wir hatten noch nie ein Problem miteinander“
„Sie war mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden, was ich vielleicht verstehen kann, aber hier die Wut an anderen auszulassen, war nicht richtig“, teilt der FW-Kandidat, der mit Hagl-Kehl eigenen Angaben zufolge gemeinsam zur Schule ging, gegenüber dem Hog’n mit – und ergänzt: „Wir hatten noch nie ein Problem miteinander.“ Demokratie sei sehr vielfältig, so Behringer weiter. Ob nun eine Partei die Fünf-Prozent-Hürde schaffe oder nicht, sie habe immer das Recht bei Wahlen anzutreten. „Dass ich mehr Stimmen bekommen habe als sie, dafür kann ich nichts.“
Die Diskussion darüber, ob eine Stimme für eine „kleinere Partei“ eine verschenkte Stimme sei, wie die SPD-Kandidatin ins Feld führt, gibt es schon länger. Insbesondere die Anhänger der „größeren Parteien“ weisen gerne darauf hin – wie zuletzt etwa CSU-Ministerin Michaela Kaniber, die vor der Wahl meinte: „Eine Zweitstimme für die Freien Wähler nutzt nichts, denn sie werden nicht in den Bundestag kommen, aber sie spalten das so wichtige bürgerliche Lager.“
Eine Sichtweise, die die ÖDP, die Volt-Partei sowie die Piraten ebenfalls vor den Wahlen zu einer gemeinsamen Gegenreaktion „gegen das Märchen der verschenkten Stimme“ veranlasste. „Die etablierten Parteien wollen die Wähler davon abhalten, ihre Stimme wirksam für Veränderungen einzusetzen. Veränderung ist aber nicht nur möglich, sondern dringend nötig“, kommentierte der ÖDP-Bundesvorsitzende Christian Rechholz. Und Sebastian Alscher, Vorstandsvorsitzende der Piratenpartei, stellt klar:
„Etliche Studien belegen, dass wir auch ohne Präsenz im Bundestag eine Wirkung auf die Politik in Deutschland entfaltet haben. Um politischen Wandel anzustoßen reicht zunächst bereits ein starkes Wahlergebnis auch unter der 5%-Hürde. Es braucht unbedingt neuen Wind, um den notwendigen Wandel anzustoßen, denn die Parteien im Bundestag haben nicht mehr die nötige visionäre Kraft. Die Bedeutung der Parteien für die Zukunft Deutschlands kann gar nicht ausreichend betont werden. Und wenn Wählerinnen und Wähler diesen Sonntag einer Partei ihre Stimme geben, von der sie sich schon jetzt nicht richtig vertreten fühlen, dann legen sie damit den Grundstein für die eigene Parteienverdrossenheit. Für die Demokratie ist das gefährlich.”
„Dass sie nicht einziehen, war im Vorhinein klar“
Und die Sache mit dem Geld? Jede Stimme ist dem Parteiengesetz zur Parteienfinanzierung zufolge bares Geld wert – zumindest ab einem Anteil der gültigen Stimmen von 0,5 Prozent bei Europa- und Bundestagswahlen bzw. 1,0 Prozent bei Landtagswahlen. Dies macht aktuell etwa 86 Cent pro Stimme aus. „Je mehr Stimmen, desto mehr Geld“, bestätigt auch Martin Behringer – und betont: „Wo wir als Freie Wähler nichts bekommen, ist die generelle Parteienfinanzierung, da wir keine Partei sind, sondern ein Verein.“ Sprich: In Sachen Wahlkampfkostenerstattung (etwa für Ausgaben in Sachen Wahlplakate etc.) könne er nichts geltend machen. „Ich habe meinen Wahlkampf komplett selbst bezahlt“, so Behringer. Bis auf einen 1.000-Euro-Gutschein, den er seitens der Freien Wähler Bayern bekommen habe, sei alles aus seiner Privat-Kasse geflossen. Er spricht dabei von rund 5.000 Euro, die er in seinen Wahlkampf investiert habe. Eine Summe, die er in die Vereinskasse des Kreisverbands der Freien Wähler bezahle, um eine Spendenquittung zu erhalten. „Verschenkt“ habe er somit letztlich im Wahlrahmen um die 3.000 Euro – „Unkosten, die ich von Anfang an auf dem Schirm hatte“.
Dass sich der staatliche Zuschuss am Erfolg der Parteien bei den Wahlen orientiert, ist Rita Hagl-Kehl freilich nicht unbekannt. „Außerdem gibt es die Sonderregelung, dass kleinere Parteien einen höheren Zuschuss pro Stimme bekommen – 1,05 Euro statt 0,86 Euro pro Stimme – damit diese nicht benachteiligt sind“, teilt sie auf Hog’n-Anfrage mit. „Im Fall der Freien Wähler ergibt sich damit eine Summe von 1.183.529 Euro auf Bundesebene, wovon die bayerischen Freien Wähler 595.031,85 Euro erhalten“, rechnet die in Zenting beheimatete Politikerin vor.
„Vorwürfe“ wolle sie gegen die Freien Wähler nicht erheben, „da in unserer Demokratie jeder Bürger und jede Partei das Recht hat, zu kandidieren bzw. eine Partei zu gründen. Dies entspreche der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber: „Dass die Freien Wähler nicht in den Bundestag einziehen werden, war im Vorhinein klar, da sie nicht in allen Bundesländern präsent sind und damit auch nicht die 5-Prozent-Hürde schaffen konnten.“ Auf Bundesebene erreichten sie 2,4 Prozent der Gesamtstimmen. „Ich finde es schade, dass man dies den Wählerinnen und Wählern nicht vorher ehrlich kommuniziert hat“, so Hagl-Kehl.
„Frage, ob ich neidisch bin, erübrigt sich von selbst“
Genau auf jenen Sachverhalt habe sich ihr Kommentar der „verschenkten Stimmen“ bezogen. „Gleichzeitig beschweren sich viele Bürgerinnen und Bürger über die Größe des Deutschen Bundestages. Normalerweise hätte der Deutsche Bundestag 598 Sitze. Erreicht allerdings eine Partei mehr Direktmandate, als ihr durch das Zweitstimmenergebnis zustünde, würde sich dieses verschieben. Dann spricht man von Überhangmandaten, da man direkt gewählten Abgeordneten einen Sitz im Bundestag gewähren muss.“
Und weiter teilt sie mit: „Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen diese allerdings ausgeglichen werden, um eben das prozentuale Verhältnis der Parteien wiederherzustellen. Da in diesem Jahr viele Zweitstimmen an andere Parteien gingen, aber die CSU alle Direktmandate erhielt, wurden natürlich auch viele Ausgleichsmandate vergeben, z.B. auch an uns oder die FDP oder die Grünen. Bei der Reform des Wahlrechts im letzten Jahr weigerte sich natürlich insbesondere die CSU die Überhangmandate zu kürzen, aber es gelang uns wenigstens die Ausgleichsmandate zu begrenzen bzw. eine bundesweite Verrechnung herbeizuführen, sodass der neue Bundestag aus 735 Sitzen besteht und nicht aus über 900. Die Stimmen, die die Freien Wähler erhalten haben, gehen somit wieder an die anderen Parteien, was mit Sicherheit nicht im Sinne der Wählerinnen und Wähler war.“
Sie habe immer klar kommuniziert, dass ihr Sitz im Deutschen Bundestag sehr sicher sei, „da ich auf der Landesliste der SPD mit Platz 6 abgesichert war, und hauptsächlich dafür kämpfe, dass die SPD ein gutes Ergebnis erhält, damit Olaf Scholz Kanzler wird“. Als Vorsitzende der Niederbayern-SPD sei es für sie persönlich wichtig gewesen, „dass wir mindestens 17 Mandate in Bayern erhalten, damit wir zwei niederbayerische SPD-Abgeordnete bekommen“. Darauf habe sich ihre Aktivität im Wahlkampf bezogen. „Als gewählte Abgeordnete erübrigt sich wohl auch die Frage, ob ich auf Martin Behringer neidisch bin, von selbst.“
Stephan Hörhammer
Ich teile die Ansicht von Rita Hagl-Kehl zum Thema Kleinparteien und absehbar mässigem Wahlerfolg überregional!
Und machte sie auch in meinem Bekanntenkreis vor der Wahl publik. Zuvor, ich schätze Martin Behringer von den FW als integren Kommunalpolitiker, der mit Herz und Hirn für die Region einsteht und da bisher absolut sauber und neutral rüberkommt, sich wenig von Parteibonzen, „honorigen örtlichen Wirtschaftsbossen“ und Hinterzimmerpolitik einnehmen lässt! Und ich hätte es ihm als Dank an seine jahrelange erfolgreiche und von Kontinuität geprägte Politik gegönnt, ein Mandat im Bundestag zu erlangen. Er hätte da sicher eine gute Politik auch für uns in Bayern gemacht, wie auch Rita Hagl-Kehl es tut. Aber es lässt sich schon auch an den zehn Finger abzählen, dass unsere Gesellschaft noch nicht so mutig und weitsichtig ist, das Ruder mit allen Risiken für eine Zeit an solche aufstrebende Jungpolitiker, grad im konservativen Niederbayern, abzugeben. Dann lieber das altvertraute, bekannte, mit überschaubaren Veränderungen nur. Und auf dieser lauen Suppe dümpelt die CSU in Bayern daher und feiert sich auch noch dafür als „deutlicher Sieger, der seine Hausaufgaben, zumindest in Bayern, gemacht hätte“. Und die zahlenmässig etwas wenigeren Wähler, die eine echte Veränderung wollen, neu aufstrebenden Politkern eine Chance geben, sind eben dann zu wenige mit Mut und es gelingt ihnen nicht, einen Martin Behringer in Mandat zu hieven. Und ja, diese Stimmen fehlen dann einer Partei wie zum Beispiel der SPD, sich noch deutlicher von der Union abzuheben, die auch die eindeutige Prokapitalhaltung der FDP in die Schranken weisen könnte, die es wirklich im Kreuz hätte, ein Gegengewicht zur Union zu bilden und die es auch auf ihren Fahnen hat, sozial gerechtere Politik zu machen, endlich die Wohlhabenden oberen Zehntausend der Republik an ihre Bürgerpflicht und sozialgesellschaftliche Verantwortung zu erinnern in einem Land, das es ihnen ermöglicht hat, diesen Wohlstand anzuhäufen. Das Ergebnis ist nun eben die knappe pronzentuale Unterscheidung in den Parteien, weil ein gewisser Stimmanteil an, leider noch, aussichtslose Mitbwerber vergeben wurde. So kann nun eine 11-Prozentpartei, die sonst an der 5-Prozenthürde regelmäßig entlangschrammt, sich zum Königsmacher aufspielen und wichtig tun! Es ist mir sowieso ein Rätsel, wie ein junger, bis vor wenigen Jahren in der Region gänzlich kommunalpolitisch unbekannter Mann der FDP so durchstarten kann in kürzester Zeit über Stadtrat, Kreisrat, Bundestag, gestützt durch sein seriöses Auftreten, gepflegter Ausdrucksweise, ehrlich wirkendem Fleiss, das auch dahintersteckende Kapital seiner Gönner aus der Wirtschaft wohl, aber bisher in keinster Weise auffiel durch sein politisches Wirken, seine politischen Erfolge (gibt es die?) seine Erfolge für die Bürger in Stadt und Landkreis? Das soll kein Vorwurf sein, nur ehrliches Hinterfragen seiner erbrachten Leistungen und Verdienste, die ich bisher nicht sehe. Wohingegen ein Martin Behringer, der es wohlgemerkt nicht in den Bundestag schaffte, hier eine ganze Latte an Leistungen und Sachverstand vorweisen könnte! Verschenkte Stimmen eben!