Freyung-Grafenau/Regen. Die AfD hat – wie schon bei den vergangenen Landtagswahlen in Bayern – auch bei der Bundestagswahl 2021 in vielen Kommunen des Bayerischen Waldes ein überdurchschnittlich hohes Ergebnis erzielt. Im Landkreis Freyung-Grafenau erreichte sie bei den Zweitstimmen 15,08, im Landkreis Regen 15,85 Prozent der Wählerstimmen. Als „AfD-Hochburgen“ entpuppten sich dabei – wieder einmal – die Gemeinden Neuschönau (20,96 Prozent) und Gotteszell (20,07). Wir haben bei den Bürgermeistern Schinabeck und Fleischmann sowie drei weiteren Rathaus-Chefs nachgefragt, warum jene rechtspopulistische Partei gerade in ihren Verwaltungsbezirken derart viel Zustimmung erfährt.
„Mir sind die AfD’ler auch keine Freunde, aber allen Respekt, den muss ich ihnen anerkennen“, kommentierte ein Hog’n-Leser jüngst. „Welche Partei hat die Probleme des kleinen Mannes angesprochen außer die AfD? Die Reform der Rente, damit auch die etwas bekommen, die das Rentensystem stützen. Krankenkasse, Benzinpreise, dass der kleine Mann noch zur Arbeit fahren kann. Wohnungen, Kitas, das Ausbauen der Infrastruktur, die digitale Anbindung, die Asyl-Problematik.“ Die AfD-Spendenaffäre störe ihn dabei „am wenigsten – die anderen Parteien können es halt besser verstecken“. Sein Fazit lautet deshalb: „Wir hatten 16 Jahre bis auf eine kleiner Änderung die selbe Regierung. Dieses und letztes Jahr hatten wir genug Beweise, wie zerfressen unsere Politik von Korruption ist. Die große Frage ist, ob eine Partei besser ist, die sich selbst ohne Regierungsverantwortung schmieren lässt.“
Das sagen die Bürgermeister
Von den Bürgermeistern in Neuschönau, Innernzell (19,26 Prozent), Gotteszell, Prackenbach (19,64 Prozent) Kirchberg im Wald (19,15) und Böbrach (18,28) wollten wir wissen, wie sie das zum wiederholten Male hohe Wahlergebnis für die AfD in ihren Gemeinden werten, welche Ursachen sie hierfür ausmachen können, ob sie irgendwelche Konsequenzen daraus ziehen werden – und wie sie die AfD generell einschätzen.
Schinabeck: „Eine Partei der Unzufriedenen“
Beim Vernehmen des Titels „AfD-Hochburg Neuschönau“ gehe es Alfons Schinabeck nicht gut. „Im Gemeindebereich haben wir ein sehr gutes Miteinander, viele beteiligen sich am öffentlichen Leben. Deshalb ist diese Bezeichnung sehr schade, weil wir das eigentlich gar nicht sind.“ Sehr schwierig ist es aus seiner Sicht, der Ursache für dieses hohe AfD-Ergebnis auf den Grund zu gehen. Seine Gemeinde habe in den vergangenen Jahren von einem starken Wirtschaftswachstum und zahlreichen Fördermitteln profitiert. Die Arbeitslosigkeit sei gering, der Schuldenberg nahezu abgebaut. „Es gibt so viele positive Parameter, dass man den Zuspruch für die AfD nicht erklären kann.“ Er habe bereits nach dem ebenfalls gutem Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen 2018 versucht bei den Bürgern nachzufragen, woher die Unzufriedenheit komme. Als Antwort habe er meist recht „floskelhafte Stammtischparolen“ bekommen: Flüchtlingskrise, Renten etc. „Wir haben momentan keine Flüchtlinge da. Die Renten kann ich nicht beurteilen – aber so schlecht geht es uns ja nicht.“
Als Ursache für den hohen AfD-Wähleranteil könne Schinabeck sich die derzeitige Corona-Lage vorstellen: „Menschen, die all die Bestimmungen nicht wollen, die gewisse Dinge leugnen, wählen vielleicht auch in diese Richtung.“ Er möchte bei künftigen Dorfversammlungen der Sache weiter auf den Grund gehen, möchte weiter nachbohren. Die AfD ist aus seiner Sicht eine „Partei der Unzufriedenen, aber keine Partei der Lösungen“. Gemeindeintern wolle er weiterhin mit allen Bürgern im Dialog bleiben, wolle weiterhin faktenorientierte Sachpolitik betreiben. Gefahrpotenzial sieht er in den Sozialen Medien: „Hier kann sich jeder als Fachmann ausgeben und es wir einem geglaubt – und der Fachmann wird für das, was er sagt, kritisiert, weil man’s gar nicht hören will.“
Mit dem Abschneiden der Unionsparteien ist er als CSU-Bürgermeister freilich nicht zufrieden. Armin Laschet sei kein „Kandidat des Volkes“ gewesen. Die Freien Wähler hatten Schinabeck zufolge mit seinem Thurmannsbanger Amtskollegen Martin Behringer einen fähigen Gegenkandidaten für CSU-Mann Erndl ins Rennen geschickt – „eine Konkurrenz, bei der sich der eigene Kandidat durchaus schwer tut“.
Kern: „Unbegreiflich, unerklärlich“
Von einer „AfD-Hochburg“ spricht selbst Innernzells Bürgermeister Josef Kern. Er lächelt dabei etwas verlegen. Für ihn sei es „unbegreiflich“, wie dieses hohe Ergebnis für die rechtspopulistische Partei in seiner Gemeinde zustande gekommen ist. „Unsere Gemeindebürger haben noch nie einen Asylanten gesehen“, sagt er. Er vermutet jedoch einen Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik von (Ex-)Kanzlerin Angela Merkel. Den Innernzeller Bürgern gehe es generell nicht schlecht, die Atmosphäre innerhalb der Kommune sei generell sehr ruhig und konfliktfrei. Rechte Tendenzen könne er nicht ausmachen. „Sie sagen, dass es nicht an der Gemeindepolitik liege, sondern an der großen Politik.“ Er sei davon ausgegangen, dass es sich beim AfD-Zuspruch bei den vergangenen Wahlen um „ein Zwischenspiel“ handele, um einen „Denkzettel“ für die etablierten Parteien. Doch davon könne nicht mehr die Rede sein. Kern sei daher enttäuscht darüber, dass nun das dritte Mal in Folge der Anteil der AfD-Wähler überdurchschnittlich hoch ausgefallen ist.
Doch so richtig erklären könne er sich das Wählerverhalten nicht. Irgendwelche Schlussfolgerungen daraus will er nicht ziehen. „Das sind mündige Bürger, der Wähler entscheidet selbst“, betont er – und ergänzt sogleich: „Es gibt mehr Wahlmöglichkeiten – ich muss nicht die AfD wählen.“ Demokratische Parteien hätten „einfach Vorrang“, so der CSU-Ortsvorsitzende.
Das schlechte Abschneiden seiner Partei hängt ihm zufolge mit dem „Laschet-Effekt“ zusammen. Er sei der verkehrte Kandidat gewesen. „Dümmer kann man sich nicht stellen“, kritisiert er den Wahlkampf der Union. Mehr Einheit hätte er sich gewünscht, keinen „gegenseitigen Hick-Hack-Kampf“. Für Josef Kern steht abschließend fest: „Die AfD ist für mich keine Zukunft.“ Schon allein aufgrund des Personals.
Fleischmann: „Hoher Anteil an Protestwählern“
„Leider haben wir immer schon eine prozentual höheren Anteil an AfD-Wählern als andere Kommunen“, teilt Georg Fleischmann (CSU) auf Hog’n-Nachfrage mit. Der Gotteszeller Rathaus-Chef findet das Ergebnis der AfD „persönlich nicht gut“. Der Grund: „Weil ich eine andere Gesinnung habe.“ Er wisse aufgrund des Wahlgeheimnisses freilich nicht, wer in seiner Gemeinde die Rechtspopulisten gewählt hat. Er findet aber: „Es gibt genügend andere demokratische Parteien, die man wählen kann.“ Und konkretisiert: Andere Parteien, die „mehr demokratisch“ sind als die AfD. Den großen Zuspruch innerhalb der Gotteszeller Bürgerschaft erklärt er sich damit, dass es sich um eine Bundestagswahl gehandelt habe. „Mit der Ortspolitik hat das nichts zu tun. Wir merken hier nichts von Unzufriedenheit im Ort.“ Er vermutet einen hohen Anteil an „Protest-Wählern“ unter den 20,07 Prozent, „die mit der Regierung nicht einverstanden waren“.
Eckl: „Ich mach da jetzt kein Fass auf“
„Ich war in der Wahlkabine nicht dabei“, äußerst sich Andreas Eckl (Freie Wähler) gegenüber dem Hog’n. „Wir haben mündige Bürger, jeder kann wählen was er mag – das kann und will ich nicht beeinflussen“, gibt sich der Prackenbacher Rathaus-Chef pragmatisch. Wie das hohe AfD-Ergebnis in seiner Gemeinde zustande gekommen ist, könne er sich nicht genau erklären. „Warum der Prozentsatz ausgerechnet bei uns immer etwas höher ist als in den anderen Gemeinden, weiß ich nicht“, gibt Eckl offen zu – und ergänzt: „Das Thema ist bei uns in der Gemeinde gar kein Thema. Manche Bürger bekennen sich dazu, manche bekennen sich nicht öffentlich dazu. Aber für mich ist das kein Problem – es betrifft die Gemeindepolitik nicht.“
Mit dem Ergebnis müsse man sich arrangieren. Es sei nun Aufgabe der beteiligten Parteien herauszufinden, warum dieses Ergebnis so zustande gekommen ist. „Aber ich mach da jetzt kein Fass auf, weil es mich in der Gemeindepolitik überhaupt nicht stört und weil es überhaupt kein Problem ist.“ Stammtischparolen gebe es immer wieder mal zu hören, aber dass Prackenbach besonders rechts gesinnt sei, ist Eckl nicht bekannt. In seiner Gemeinde gebe es keine politischen Vertreter der AfD, im Kreistag pflege er einen normalen Umgang mit ihnen – „weil das teilweise ja auch keine unrechten Leute sind“. Er behandele sie als politische Kollegen. „Wir haben diese Ansicht von gewissen Themen, sie haben jene – aber am Ende des Tages muss man schauen, wie’s für den Landkreis, wie für Deutschland vorwärts geht.“ Aus moralischer Sicht möchte er niemanden verurteilen, nur weil er bei der AfD ist. Genauso wenig wie er irgendwelche Probleme habe mit Menschen anderer Kultur oder Religionszugehörigkeit. Dem Titel „AfD-Hochburg Prackenbach“ will er kein Gewicht beimessen: „Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.“
Muhr: „Ich bin kein Politiker“
Robert Muhr (SPD/Freie Wählergemeinschaft), Bürgermeister von Kirchberg im Wald, scheint unsere Anfrage etwas sauer aufzustoßen. „Nachdem es sich um Ergebnisse der Bundestagswahl handelt und diese mit der Kommune vor Ort absolut nichts zu tun hat, werde ich das Wahlverhalten der Kirchberger Bürgerinnen und Bürger nicht kommentieren“, teilt er dem Hog’n gegenüber mit – und fügt hinzu: „Im übrigen bin ich kein Politiker, sondern hauptamtlicher Bürgermeister. Zur Beantwortung Ihrer Fragen wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an die im Bundestag vertretenen Parteien und deren regionale Mitglieder des Bundestages.“ Die Frage nach den Gründen für den hohen AfD-Stimmenanteil in seiner Gemeinde lässt er demnach unbeantwortet. Ebenso will er weder eine Bewertung dazu abgeben, noch möchte er sich dazu äußern, wie er die „Alternative für Deutschland“ in politischer Hinsicht generell einschätzt.
Schönberger: „Weder kleinzureden noch zu relativieren“
Gerd Schönberger, CSU-Bürgermeister der Gemeinde Böbrach: „Das Ergebnis ist sehr besorgniserregend und muss ernst genommen werden. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die AfD generell in den ostbayerischen Wahlkreisen bessere Werte als im Rest des Freistaats erreicht. Ursächlich dürfte hierbei sein, dass die meisten Spitzenpolitiker der Partei aus dieser Region kommen. Tatsächlich liegt das Ergebnis der AFD (Zweitstimmen) in Böbrach bei der Bundestagswahl 2017 um 1,98 % und bei der aktuellen Wahl um 2,43 % über dem Landkreisdurchschnitt. Diese Tatsache ist weder kleinzureden noch zu relativieren.
Der AfD ist es seit längerer Zeit gelungen, Ängste, Sorgen und Unzufriedenheit in der Bevölkerung auf ihre Mühlen zu lenken mit einer Ambivalenz zwischen Bürgerlichkeit und Radikalismus. Statistische Umfragen zeigen, dass sich die meisten AfD-Stimmen unter den Arbeitern und der Mittelschicht befinden. Das sind diejenigen, die am meisten darauf angewiesen sind, dass das öffentliche Leben funktioniert. Hier kann auch die kommunalpolitische Familie – wie bisher – stets Bemühungen anstreben
- dass auch auf dem Land der Bus fährt, weil nicht jeder in der Familie ein Auto besitzt.
- dass die öffentliche Einrichtungen vorhanden und gut ausgestattet sind
- dass bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist
Insofern muss es die Aufgabe jedes Politikers sein, den Bürgerinnen und Bürgern in Worten und Taten zu vermitteln, dass Ihr Staat oder Ihre Gemeinde/ Landkreis sie nicht im Stich lässt.“
Umfrage: Stephan Hörhammer
Anmerkung d. Red.: Keine Reaktionen auf unsere Anfrage haben wir von den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen aus den Gemeinden Haidmühle (19,7 Prozent), Eppenschlag (19,12), Kirchdorf im Wald (19,36), Achslach (18,75) und Rinchnach (19,16) erhalten. Die Bürgermeisterin letzterer Gemeinde, Simone Hilz, bemerkte dazu lediglich: „Für dieses Interview stehe ich nicht zur Verfügung.“
vielleicht weil sie gemerkt haben, das sie von den bisherigen Parteien CSU, SPD nur verarscht werden, siehe kürzlich zu lesenden Artikel:
„Von wegen „weiß-blaues Paradies“: Gefahr der Altersarmut in Bayern am höchsten
Bayern rühmt sich als eines der wohlhabenderen Länder in Deutschland. Doch bei der Altersarmut schneidet das Bundesland im deutschlandweiten Vergleich am schlechtesten ab.“
Quelle:
https://www.merkur.de/politik/bayern-altersarmut-deutschland-vergleich-letzter-platz-armut-gefahr-rentner-91030673.html
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…Unter den EU-Mitgliedsstaaten gibt es gravierende Unterschiede bei der Absicherung nach Beendigung des Arbeitslebens. Vor Wochen hatte Prof. Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg in der Bild über den Verdacht gesprochen, dass Länder wie Italien oder Frankreich ihre wesentlich üppigeren Renten auch mit deutschen Hilfsgeldern aufrechterhalten.
Quelle:
https://www.merkur.de/wirtschaft/rente-deutschland-vergleich-italien-frankreich-ausland-bedingungen-90797426.html