Niederbayern. Dem Klischee zufolge ist der Niederbayer eher zurückhaltend – und was das Selbstbewusstsein angeht etwa deutlich hinter dem Oberlandler einzuordnen. Doch dass auch der Bayerische Wald, der Gäuboden oder das Rottal einiges zu bieten haben, ist inzwischen hinlänglich bekannt. In punkto Kulinarik sieht das Amt für Ländliche Entwicklung (ALE) noch Nachholbedarf – vor allem die interne und externe PR bettreffend. Deshalb wurde vom ALE das Projekt „Genussregion Niederbayern“ ins Leben gerufen. Was sich genau dahinter verbirgt, erklärt Projektleiter Lukas Dillinger (28), ein gebürtiger Hinterschmidinger, im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n.
Herr Dillinger, was macht aus Ihrer Sicht den typisch niederbayerischen Genuss aus?
Wir haben in Niederbayern kein wirkliches Spezialitäten-Dasein. Das niederbayerische Schwarzgeräucherte kann man hier definitiv aber herausstellen: Früher bestimmten eher Kartoffelgerichte den Speiseplan. Geschlachtet wurde ja zumeist im Winter – aufgrund fehlender Kühlmöglichkeiten im Sommer. Um das Fleisch haltbar zu machen, wurde es erst gepökelt und dann geräuchert, niederbayerisch: geselcht. So entstand das bei uns altbekannte Geselchte.
Genussregion Niederbayern: Das Potenzial ist groß
Die bayerische Küche mag in manchen Regionen spezifischer sein – und doch ist sie überall in ähnlicher Art und Weise zu finden. Das beste Beispiel hierfür ist der Schweinebraten. Überall bekannt, überall gern gegessen. Ich denke dennoch, dass wir mehr können als nur Schweinebraten. Niederbayern profitiert stark von seiner Vielfalt im Bereich Lebensmittel, welche regional erzeugt und verarbeitet werden. Und das findet sich auf den Tellern der Gastronomie immer gerne wieder. Einfach mal einen Blick auf die Speisekarten regional und lokal arbeitender Gastronomie-Betriebe werfen – das spiegelt dann meistens die Vielfalt, das Handwerk und die Interaktion mit den Produzenten und Erzeugern der Region wider.
Zuletzt will ich hier noch das Pichelsteiner erwähnen. Ein schmackhafter Gemüseeintopf mit Fleischeinlage, der gerne in Schichten im Kochtopf zubereitet wird. Das gibt es nur bei uns in Niederbayern. Und ich denke, dass die Schichten in diesem Eintopf für sich sprechen. Niederbayern muss man kulinarisch zu entdecken wissen. Aber wenn man genauer hinschaut, eröffnet sich jedem von uns eine vielschichtige kulinarische Vielfalt. Dafür steht im Übrigen auch die Genussregion Niederbayern: Die Vielfalt Niederbayerns entdecken und auch ein wenig die Esskultur bei uns weiterentwickeln bzw. wiederentdecken – das Potenzial ist groß.
Warum ist es vonnöten, mit der Genussregion Niederbayern eben regionale Lebensmittel zu betonen?
Ein Viertel aller Treibhausgasemissionen weltweit werden vom Lebensmittelsektor verursacht. Von den Lebensmitteln, die tagtäglich auf der Welt weggeschmissen werden ganz zu schweigen. Wer regional einkauft und konsumiert, kann einen positiven Einfluss auf diese Probleme und somit auch auf den Klimawandel bewirken. Saisonale, frische Erzeugnisse direkt aus der eigenen Region sollten zu unserer aller Philosophie werden. Das ist gut für uns, gut für die Menschen, die sich tagtäglich für hochqualitative Lebensmittel einsetzen – und natürlich gut für den Planeten. Wir brauchen wieder mehr Bezug zu regionalen Produkten, mehr Wertschätzung für Mensch und Natur und schließlich mehr Wertschöpfung für die Betriebe, damit sie uns lange erhalten bleiben und uns versorgen können. Getreu dem Motto: aus der Region für die Region.
Eine spannende Vielfalt, die es zu entdecken gilt
Anders gefragt: Haben die niederbayerischen Lebensmittel ein Imageproblem?
Ich denke nicht. Sie sollten nur wieder mehr Beachtung finden. Wir finden eine spannende Vielfalt in Niederbayern vor – es gilt deren Wertigkeit zu betonen. Wir wollen gemeinsam mit Gastronomie-Betrieben und der Kochzunft diese Lebensmittel und die Menschen dahinter herausstellen, deren Geschichten erzählen und Netzwerke aufbauen. Damit wir die Vielfalt auf den Tellern der Gastronomie zeigen und weiter ausbauen können.
Erklären Sie uns bitte ganz allgemein die Genussregion Niederbayern etwas genauer.
Die Genussregion Niederbayern wurde im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht und ist ein gemeinsames Projekt des Amtes für Ländliche Entwicklung Niederbayern und des Bezirks Niederbayern und bearbeitet folgende Themenschwerpunkte: (1) Regionale Lebensmittelversorgung und –vermarktung, (2) Netzwerkbildung, (3) Nachhaltigkeits-Engagement sowie (4) Bewusstseins- und Ernährungsbildung.
Der Auftakt wird wild
Ziel ist es, die vielfältigen Genüsse unserer Heimat zu feiern – und das mit Verantwortung. Dazu sind mehr Wertschöpfung und Wertschätzung entlang der gesamten Lieferkette für Lebensmittel nötig. Unter diesem Credo wollen wir Begegnungen ermöglichen und Begeisterung für eine Region wecken, die mehr zu bieten hat – die vertraut ist, aber eben auch ganz anders. Unsere Mission besteht aus fünf Punkten, die immer mit unseren Aktionen zur Geltung kommen sollen:
- Gute, regional-heimische Lebensmittel in den Mittelpunkt bringen.
- Die Menschen in Niederbayern für Lebens- und Genussmittel aus der Region begeistern.
- Schaffung von Begegnungen der Akteure entlang der Lieferkette für Lebensmittel.
- Entdeckung der Vielfalt und Herkunft der Lebens- und Genussmittel in Niederbayern.
- Genuss mit Verantwortung.
Oberfranken als Vorbild
Welche Aktionen sind konkret geplant?
Wir starten mit der Genussregion sogenannte Roadshows, um die Vielfalt in Niederbayern zu entdecken. Im September geht es mit der Wald.Wild.Wirtshaus-Tour los – eine ernährungsbildende Eventreihe der Genussregion Niederbayern: Vier Abende, vier ganz besondere Menüs und vier Wirtshäuer. Mit der innovativen Komponente der Ernährungsbildung für Endkonsumenten/innen. Ausgehend von der Fragestellung: Wie bringt man die Menschen einer Region dazu, dass sie über ihr Konsumverhalten nachdenken und ihre Landschaft als essbar wahrnehmen? Mehr Infos gibt es unter wald-wild-wirthaus.de. Im nächsten Jahr widmen wir uns unter ähnlichem Rahmen dann der Thematik Wildkräuter im Bayerischen Wald sowie dem Thema Fisch in ganz Niederbayern.
Gibt es Vorbilder in Sachen Betonung der regionalen Erzeugnisse?
Vorbilder gibt es viele. Während meines Studiums an der Universität für gastronomische Wissenschaften war ich dafür viel in der Welt des Essens unterwegs. Nun gilt es die interessantesten Ansätze regional-spezifisch nach Niederbayern zu holen und unser Lebensmittelsystem dahingehend weiter zu entwickeln. Wir kooperieren dahingehend in Bayern zum Beispiel mit der Genussakademie Bayern, um Weiterbildungsformate anzubieten. Außerdem haben wir die Genussregion Oberfranken besucht oder uns das Tourismuskonzept in (Wein-)Franken näher angesehen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir im nächsten Jahr bei unseren Nachbarn in Österreich, im Mühl- oder Mostviertel, vorbeischauen. Wir brauchen eine gewisse regionale Nähe, um unser Partnernetzwerk weiter auszubauen. Regionen, die seit Jahrzehnten sehr gute Arbeit in der Regionalvermarktung machen, sind natürlich Südtirol oder das Vulkanland in der Steiermark. Da sollte man aber nicht unerwähnt lassen, dass diese Netzwerkarbeit und Regionalentwicklung wirklich lange gedauert hat. Kulinarisch sind wir in Niederbayern hier erst am Anfang.
Ausgetrampelte Pfade verlassen
Abschließend der Blick in die Zukunft: Wie kann bzw. soll sich die Genussregion Niederbayern entwickeln?
Niederbayern wird als Arbeits-, Lebens- und Kulturraum immer interessanter. Wir haben viel zu bieten, man muss nur manchmal erst genauer hinschauen. Es soll ein lebendiges Lebensmittelsystem entstehen, wo die Menschen aus der Region alle an einem Strang ziehen und gemeinsam niederbayerische Kulinarik leben und teilen. Gastronomiebetriebe sollen stärker mit der vorgelagerten Lieferkette zusammenarbeiten, damit noch mehr Lebensmittel aus der Region auf die Teller der Menschen finden. Wir wollen außerdem die Digitalisierung in diesem Bereich vorantreiben und somit auch jüngere Zielgruppen auf diese Thematik aufmerksam machen. Verändern müssen wir uns so oder so, weil ausgetrampelte Pfade und konservative Verhaltensweisen unseren Planeten nicht retten werden. Tun wir dies also vorwärtsgewandt, gemeinschaftlich und mit neuen Ideen und Ansätzen.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer