Freyung. Was für die Kanzlerkandidaten das so genannte Triell im Fernsehen ist, sind für die Direktkandidaten aus dem Wahlkreis Deggendorf schlichtweg Podiumsdiskussionen. Zu Beginn der heißen Wahlkampfphase war es der Kreisjugendring Freyung-Grafenau (KJR), der Muhanad Al-Halak (FDP), Thomas Erndl (CSU), Rita Hagl-Kehl (SPD) und Matthias Schwinger (Grüne) auf die Bühne des Freyunger Kurhauses bat (die Kandidatin der Linken, Melanie Demmelhuber, hatte kurzfristig abgesagt, AfD-Kandidat Hans Fellner hatte bereits im Vorfeld abgesagt). Wie haben sich die Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien geschlagen? Eine Analyse.
Der eine versucht mit Witz und Charme zu überzeugen. Der zweite betont immer wieder die Errungenschaften aus der vergangenen Legislaturperiode. Die Dame dagegen stichelt gegen die Bayerische Staatsregierung und gibt ihr die Schuld an so manchem Missstand. Und einer redet vergleichsweise wenig – und bleibt als ruhiger Typ in Erinnerung. So könnte ganz kurz und knapp der Eindruck zusammengefasst werden, der beim Zuschauer der Podiumsdiskussion (da Hog’n hatte live via Facebook übertragen) vergangene Woche hängen blieb.
Al-Halak erreicht junge Wähler via TikTok
Mit einem breiten Lächeln antwortet FDP-Kandidat Muhanad Al-Halak auf fast jede Frage von BR-Moderator Martin Gruber. „Ich bin jung, habe Energie und möchte alles geben“, sagt er. Auffällig bei seinen Antworten: Immer wieder betont der 31-Jährige, dass man die Antwort darauf auch im FDP-Wahlprogramm nachlesen könne: „Ich habe es auswendig gelernt“, scherzt er.
Beim Thema Klimapolitik bedeutet das: Er steht hinter der Forderung der FDP, nicht auf Verbote zu setzen, sondern stattdessen Anreize zu schaffen, damit möglichst viele sich umweltfreundlicher und klimaschützender verhalten. „Alles teurer zu machen, damit die Bürger auf Dinge verzichten, die der Umwelt schaden, ist nicht der richtige Ansatz“, ist Al-Halak überzeugt.
In der Corona-Politik habe die FDP schon seit Langem die Abkehr von der Inzidenz als alleiniges Kriterium für Maßnahmen gefordert. Die Regierung habe diesen Weg jedoch viel zu spät eingeschlagen. Al-Halak lehnt es ab, dass der Staat den Impfstatus abfragen darf: „Wir dürfen die Gesellschaft nicht spalten“, sagt er. Er ist sich sicher: Mehr Druck auf Ungeimpfte auszuüben, wird nicht zu einer höheren Impfquote führen. „Wer sich jetzt nicht impfen hat lassen, will das auch in Zukunft wahrscheinlich nicht.“
Im Bereich Infrastruktur und Digitalisierung betont Al-Halak mehrfach: Es gäbe viele Fördermöglichkeiten des Bundes für regionale Projekte, allerdings werden diese in seinen Augen zu wenig genutzt. Denn die bürokratischen Hürden seien zu hoch. „Wir müssen erreichen, dass die Kommunen Förderprogramme stärker in Anspruch nehmen“, lautet sein Credo. In Sachen Bildungspolitik fordert er: „Gleiche Chancen für alle.“ Schulpolitik bundeseinheitlicher zu gestalten, wäre daher in seinem Sinne.
Jüngere Wähler erreicht Al-Halak vor allem über einen sehr modernen Kanal: TikTok. Dort hat er sich bereits über eine halbe Million Likes für seine Videos geholt. Selbstbewusst tritt er darin auf. Genauso wie auf der Bühne. Auf die Frage des Moderators, mit wie viel Prozent er bei der Wahl zufrieden wäre, antwortet er: „Ich hole mir das Direktmandat!“
Thomas Erndl: „Haben fast alles richtig gemacht“
CSU-Direktkandidat Thomas Erndl scheint zufrieden zu sein mit dem, was seine Partei zusammen mit der Schwesterpartei CDU im Bund in den vergangenen Jahren erreicht hat. Er spüre viel Rückhalt in seinem Wahlkreis.
Ihm gehe es in Sachen Ausbau Erneuerbarer Energien etwas zu langsam voran – was ihm zufolge vor allem am Widerstand von Bürgerinitiativen (zum Beispiel gegen neue Stromtrassen) liegt. „In Bayern brauchen wir den Strom aus Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee, damit die Energiewende gelingen kann“, sagt er. Er persönlich sei der Meinung, dass der Kohleausstieg schon vor 2038 funktionieren werde, da die Kohleverstromung zunehmend teurer und damit unattraktiver werde.
In der Corona-Politik habe man „fast alles richtig gemacht“, sagt Erndl. Kein anderes Land habe so viel Geld in die Hand genommen, um Wirtschaft und Bürger in der Coronakrise zu unterstützen. „Der Schlüssel zur Überwindung der Pandemie ist am Ende eine möglichst hohe Impfquote“, ist er sich sicher. Die Impfung sei eine hohe Errungenschaft und könne die Bevölkerung vor weiteren größeren Wellen schützen. Es sei falsch, das Thema ideologisch zu sehr aufzuladen – ein pragmatischer Weg sei wichtig.
In Sachen Infrastruktur nützt es nichts, so Erndl, mehr Busse leer durch die Gegend fahren zu lassen. Klüger sei es im ländlichen Raum, auf das Rufbus-System zu setzen. Ein S-Bahn-Netz in ganz Niederbayern, wie es sich die Grünen durchaus vorstellen könnten, brauche man dagegen nicht, behauptet Erndl. Und man dürfe in Sachen Pkw auch nicht schwarz-weiß denken: „Wir brauchen auch in Zukunft das Auto.“
In Sachen Digitalisierung habe man in den vergangenen Jahren einen großen Schritt nach vorn gemacht, findet der amtierende Bundestagsabgeordnete. Das müsse anerkannt werden. In 98 Prozent der Schulen habe der Distanzunterricht gut funktioniert, wie er in Gesprächen an Schulen erfahren haben will. „Die Hardware-Ausstattung dort ist gut“, beurteilt der CSU-Politiker. Nun müsse man die Anwendung weiter voranbringen. Insgesamt lobt Erndl das bayerische Bildungssystem: „Andere Länder können sich da was von uns abschauen.“ Auch G8 sei keine Fehlentscheidung gewesen: „Man hätte es durchziehen müssen. In anderen Bundesländern funktioniert es auch.“
Rita Hagl-Kehl: Freistaat Bayern verzögert viele Entwicklungen
Wie Thomas Erndl saß auch SPD-Frau Rita Hagl-Kehl bereits in der sich zu Ende neigenden Legislaturperiode im deutschen Parlament. Auch sie kontert Kritik an der Großen Koalition. Allerdings liegt es ihr zufolge oft an den Bundesländern, wenn es etwa in Sachen Digitalisierung und Erneuerbare Energien nicht schnell genug voran geht. Die Bayerische Staatsregierung beispielsweise verhindere mit der 10H-Regelung den Bau von Windkraftanlagen, der Digitalpakt sei durch den Förderalismus verschleppt worden.
In Sachen Infrastruktur und Verkehr sieht Hagl-Kehl ebenfalls Fehler bei der Landesregierung: „Der Bund verteilt an die Länder die Mittel – und Bayern gibt sie an die Regionen München und Nürnberg weiter“, kritisiert die SPD-Politikerin. Man müsse beim Freistaat die Schrauben anziehen, damit zukünftig auch in den ländlichen Regionen mehr passiere. Als Beispiel nennt sie die Bahnverbindung Plattling-München: Viel zu lange seien die Kosten für den Ausbau gar nicht erst berechnet worden im Bayerischen Verkehrsministerium. Bundesweit hinterließen drei Wahlperioden mit CSU-geführtem Verkehrsministerium ebenfalls Spuren.
Unter den Einschränkungen während der Coronakrise habe ihrer Meinung nach vor allem die junge Generation gelitten. Deshalb sei nun wichtig, Schulen offen zu halten und alles zu tun, damit niemand auf der Strecke bleibt: „Sonst schaffen wir uns selbst ein riesiges Zukunftsproblem.“
Dies gilt für sie auch in Sachen Ausbildungssystem: Hagl-Kehl würde gerne das Bafög erhöhen und eine Mindestausbildungsvergütung einführen. Denn nicht jeder könne es sich aktuell leisten, dass sein Kind eine Ausbildung im Handwerk mache – weil Auszubildende dort so wenig verdienten, dass sie von den Eltern Unterstützung bräuchten.
Matthias Schwinger setzt auf Mix aus Fortbewegungsmitteln
Während Hagl-Kehl zu jedem Thema in der Diskussion klare Standpunkte vertritt, gelingt es dem Direktkandidaten der Grünen, Matthias Schwinger, nicht immer, das Wort zu ergreifen und sich klar zu positionieren. Von allen Kandidaten auf dem Podium ist er der ruhigste.
Klar wird im Laufe der Diskussion: In Sachen Digitalisierung, Infrastruktur und Verkehr sieht er das meiste Verbesserungspotenzial. Digitalisierung der Schulen könne nur gelingen, wenn in wenigen Jahren die Technik bereits wieder erneuert werde und an jeder Schule auch ein Experte vor Ort sei, der sich nicht nur ehrenamtlich und nebenbei um Computer und Tablets kümmere. Bei der Bildungspolitik ist es Schwinger ein Anliegen, nicht immer nur von Gymnasiasten zu sprechen, sondern auch Mittel- und Realschüler im Blick zu haben.
Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten kann sich der Grünen-Kandidat durchaus vorstellen, das Schienennetz in Niederbayern in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wieder stark auszubauen und eine Art S-Bahnnetz zu schaffen.
Wichtig für ihn: „Mobilität muss bezahlbar sein!“ Schwinger selbst teilt sich ein Auto mit seiner Freundin, zur Podiumsdiskussion reiste er mit dem Bus von Deggendorf nach Freyung. „17,50 Euro hat das gekostet“, rechnet er vor. Und es hapere nicht nur am Preis des ÖPNV: Wer mit dem Fahrrad zum Deggendorfer Bahnhof komme, finde dort keine Abstellmöglichkeiten. „Da muss es genügend Parkplätze auch für Räder geben“, fordert der Grünen-Kandidat. Denn die Mobilität der Zukunft stellt für ihn eine Verbindung aus verschiedenen Verkehrsmitteln dar. Diese funktioniere nur dann, wenn man über Landkreisgrenzen hinweg Zusammenschlüsse finde, regional zusammenarbeite.
Wahlalter auf 16 senken?
Im Hinblick auf ein Thema, das junge Zuschauer – also die Hauptzielgruppe der vom Kreisjugendring veranstalteten Diskussion – stark interessieren dürfte, waren sich übrigens fast alle einig: Rita Hagl-Kehl fordert genauso wie Matthias Schwinger und Muhanad Al-Halak, dass das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden soll.
„Ich selbst hatte mit 16 bereits eine klare politische Meinung“, sagt Al-Halak. Hagl-Kehl versteht nicht, warum man nicht mit 16 wählen soll, wenn man bereits mit 14 in eine Partei eintreten kann. Sowohl die SPD-Kandidatin als auch der FDP-Kandidat betonen, dass sie die Forderung der Jugend unterstützen, obwohl ihre Parteien weniger davon profitieren würden als die Grünen. Matthias Schwinger kontert: „Wenn nur wir Grünen etwas von der Senkung des Wahlalters hätten, dann müssen die anderen Parteien eben etwas an ihrem Wahlprogramm ändern, um die Jugend auch von sich zu überzeugen!“
Einer dagegen möchte es gern dabei belassen, dass das Wahlalter dem Alter entspricht, mit dem man voll geschäftsfähig wird: Thomas Erndl spricht sich gegen die Wahl ab 16 aus. Auch in diesem Punkt bleibt er seiner Linie während der gesamten Diskussion treu: Es ist gut so, wie es ist – und es soll so bleiben.
Übrigens: Schon jetzt dürfen Jugendliche unter 18 wählen: Bei der U18-Wahl des Kreisjugendrings. Sie findet am Mittwoch (15.09.) in der Mehrzweckhalle Grafenau, am Donnerstag (16.09.) in der TSV Turnhalle in Waldkirchen und am Freitag (17.09.) im Mehrgenerationenhaus in Freyung statt (Grafenau und Waldkirchen jeweils 8 bis 15 Uhr, Freyung 14 bis 18 Uhr). Die Ergebnisse sind zwar nicht relevant für die „richtige“ Bundestagswahl, sie zeigen jedoch, wie die politische Stimmung unter den Jugendlichen im Landkreis derzeit aussieht.
Sabine Simon