Mauth/Freyung. Wenn man sich mit der Biografie eines Menschen beschäftigt, sich in die Aufzeichnungen über sein Leben „hineinfuxt“, dann wird dieser Mensch plötzlich nahbar. Man baut eine persönliche Beziehung zu ihm auf, entwickelt Mitgefühl, Anteilnahme, Empathie. So ergangen ist es auch dem Freyunger Heimatkundler Max Raab, der sich intensiv mit dem Phänomen Franz Staller auseinandergesetzt hat, dabei mit Zeitzeugen sprach und die wertvollen Aufzeichnungen Inge Poxleitners über des Schaffen und Wirken des Mauther Kunstmalers studierte.
Ein weiterer Mauther Bürger und Zeitgenosse, der Franz Staller noch persönlich erlebt hatte, ist Sepp Beer. Der Seniorchef der gleichnamigen Metzgerei im Ort ist noch heute im Besitz einiger Bilder des 1956 verstorbenen Malers. „Er hat gemeint, ich könne jederzeit vorbeikommen, um sie mir anzusehen“, berichtet Max Raab. Bei seinem Besuch teilte Sepp Beer ihm folgendes mit:
Gut an die 15 sind es
„Der Staller war unser direkter Nachbar auf der anderen Straßenseite. Unsere Familie lebte damals weiter unten im Dorf, im Domani-Haus, so sagt man heute dazu. Ich bin Jahrgang 1941 und hab ihn daher noch gekannt. Es gibt nicht mehr viele in Mauth, die ihn noch gesehen haben. Die Leute wissen nichts mehr von ihm.
Tagsüber sah ich ihn nicht oft, wahrscheinlich war er unterwegs beim Malen oder er verkaufte seine Bilder. Wir Buben hatten Angst vor ihm, er trug immer einen schwarzen, fast bodenlangen Mantel. Darunter trug er oft in einem Sack Holz nach Hause. Das hatte er irgendwo mitgenommen. Auf dem Kopf hatte er immer eine Tellermütze. Zu uns Buben war er immer recht grantig, wahrscheinlich weil wir ihn
öfters getratzt haben.
Seine Frau sah ich oft spazieren gehen. Meistens ging sie den Weg Richtung „Knaus-Haus“ (heute: Jugendherberge/ Seniorenheim) und von da in den Wald. Sie war immer freundlich. Sie ist ziemlich früh gestorben, da war ich erst sechs oder sieben Jahre alt. Todesursache soll eine Pilzvergiftung gewesen sein.
Ich kann mich auch noch erinnern, dass der Staller auch Herzen aus Gips gemacht hat – schön klein und bunt, aber ein solches habe ich nicht mehr. Dafür habe ich einige Bilder, gut an die 15 sind es. Die Jahre über habe ich sie zusammengetragen. Ich glaube, bei uns in Mauth gibt es fast keine mehr von ihm. Ich hab sie alle einem Bekannten mitgegeben, der hat sie dann in Wallern rahmen lassen.
Der Maler Staller ist im Winter gestorben. Er war allein in seiner Stube. Da hat er sich eingeschlossen. Der Blöchl, das war der Hausbesitzer, wollte nach ein paar Tagen nach ihm sehen, aber es war zugesperrt – und es rührte sich nichts. Da hat er die Polizei geholt, damit sie aufsperrten. Der Staller lag krank und halb erfroren im Bett. Entkräftet, er hatte ja nichts zum Essen. Man hat ihn ins Krankenhaus nach Freyung gebracht. Dort wurde er gebadet. Das hat er aber nicht überlebt und ist gestorben. So endete das Leben des armen Malers von Mauth.“
Sie spiegelten auch seinen Seelenzustand wider
Zum Abschluss unserer Hog’n-Serie über Franz Staller blickt Max Raab noch einmal aus seiner persönlichen Sicht auf den Mauther (Lebens-)Künstler:
„Der Kunstmaler Franz Staller verbrachte mehr als 30 Jahre seines Lebens in einem Dorf im ‚hinteren Bayerischen Wald‘, wie Inge Poxleitner in ihren Notizen niederschrieb, zusammen mit seiner Frau Sophia. Er kam aus der Großstadt, brach alle Brücken hinter sich ab und suchte sich einen der abgelegensten Flecken im Bayerwald, um sich hier ungestört seiner Passion, der Landschaftsmalerei, widmen zu können.
Vom Wald war er fasziniert, dem Wald gehörte seine Liebe. Viele seiner Bilder bringen dies zum Ausdruck, man kann es direkt fühlen. Berge, kleine Bäche, die Wogen der Bergwälder. Die dunklen Farben, in denen diese Bilder gemalt wurden, spiegelten auch seinen Seelenzustand wider. Die Menschen, die hier wohnten und mit denen er – wenn auch auf Distanz – zusammenlebte, hat er nicht gemalt. Nur manchmal ihre Kinder.
Was war wohl der Grund, was hat ihn dazu veranlasst, aus den geordneten, sicheren Bahnen der Großstadt, seines bisherigen Freundeskreises und seiner wohlhabenden Familie auszubrechen? Anzunehmen ist, dass ihn seine Frau Sophia in diesem Vorhaben bestärkte – sie, die auch aus der Großstadt und einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie stammte, aber eben auch 14 Jahre älter war und daher möglicherweise die Richtung des gemeinsamen Lebensweges vorgab.
Das Leben in einer dörflichen Gemeinschaft, die ihn nicht akzeptierte und ihn als Fremdkörper betrachtete, war außerordentlich schwierig und mühsam. Der fehlende finanzielle Rückhalt, die erbärmliche Wohnsituation und der tägliche Kampf ums Überleben prägten den Menschen Staller. Als studierter Kunstmaler sah er sich auch außer Stande, evtl. mit anderen Tätigkeiten Geld zu verdienen und so extreme Notzeiten zu überbrücken.
„So wie er lebte, so starb er auch“
Das Resultat seiner Arbeit, seine Bilder und Kleinplastiken, fanden in dem dörflichen Umfeld nur wenig Beachtung und noch weniger Abnehmer. Den Menschen dieser Gegend und auch im weiteren Umfeld fehlte es zu dieser Zeit an Geld und Interesse, seine Bilder zu kaufen. Nur ganz wenige schätzten seine Kunst und unterstützten ihn.
Sein Stolz und sein aufrechter Charakter ließen kein Betteln und kein sich Beugen zu – auch nicht in größter Not. Er bewahrte sich bis zuletzt seinen aufrechten Gang. Er zog es vor zu hungern und zu frieren – und seine Würde zu wahren. Und so wie er lebte, so starb er auch – an einem kalten Februartag im Jahr 1956. Seine letzte Ruhestätte fand er – wie auch seine geliebte Frau Sophia – im Wald, den er zeitlebens so liebte und der ihm soviel bedeutete.
Heute erinnert kein Stein, keine Inschrift und auch kein Bild an das Leben des Kunstmalers Franz Staller in seiner geliebten Waldheimat. Vielleicht helfen diese Aufzeichnungen und die niedergeschriebenen Erinnerungen der Zeitzeugen mit, dass dieser außergewöhnliche Mensch nicht ganz vergessen wird.“
Max Raab/ da Hog’n
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Gemeinsam mit dem Nationalpark Bayerischer Wald planen das Onlinemagazin da Hog’n und Heimatkundler Max Raab eine Ausstellung der Werke Franz Stallers in Mauth im Herbst dieses Jahres. Nähere Informationen folgen.