Herzogsreut. Aufgrund seiner Erfolge ist Skifahrer Jonas Stockinger inzwischen überregional bekannt. Er war Junioren-Olympiasieger 2016 und Deutscher Vizemeister im Riesenslalom 2021. Hinter den wenigen Momenten im Scheinwerferlicht stecken viele Stunden der Entbehrungen – vor allem in den Sommermonaten. Derzeit bereitet sich der junge Herzogsreuter nämlich mit schweißtreibenden Einheiten auf die kommende Wintersaison vor, die für ihn eigenen Aussagen zufolge eine entscheidende werden sollte. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht der 21-Jährige über die Strapazen in der warmen Jahreszeit, über seine Verletzungen – und über seine Ambitionen.

In der Sportschule KINEMA in Neukirchen b. Hl. Blut bereitet sich Jonas Stockinger in den Sommermonaten auf die kommende Wintersaison vor. Fotos: Stockinger
Jonas, was macht ein Wintersportler im Sommer? Urlaub?
Natürlich auch für eine ganz kurze Zeit mal Urlaub. Das muss sein, um abschalten zu können. Aber eigentlich steht für einen Wintersportler die meiste Arbeit im Sommer an. Man will sich ja körperlich bestens auf den Winter vorbereiten.
Klappt es in der warmen Jahreszeit mit einem verlängerten Heimaturlaub in Herzogsreut?
Naja (etwas nachdenklich). Ich versuche, so oft es geht nach Hause zu fahren, was gar nicht so einfach ist. Denn unter der Woche trainiere ich immer in einer Sportschule und wohne da auch. In Richtung Winter bin ich vermehrt beim Skifahren. Alles in allem klappt es mit Heimaturlaub in Herzogsreut immer nur an den Wochenenden.
„Es fühlt sich immer wieder toll an, nach Hause zu kommen“
Was bedeutet Dir Deine Heimat?
Sehr viel. Dort habe ich Bezug zu fast allen Menschen im Dorf. Dort leben auch meine Freunde. Obwohl ich schon lange einen Wohnsitz in Berchtesgaden habe, fühlt es sich immer wieder toll an, nach Herzogsreut zu kommen.
Gemeinhin gilt: Wintersport-Stars werden im Sommer gemacht. Wie sieht Deine Vorbereitung im Detail aus?
Dieses Jahr bin ich in der Sportschule KINEMA in Neukirchen b. Hl. Blut. Dort habe ich jeden Tag volles Programm und auch perfekte Bedingungen für das Training, das für den Winter maßgeblich ist: sämtliche Testungen bis hin zur genauen Koordination zwischen Physis und Trainern. Hier stimmt alles.
Wer ist Dein Trainer?
Während der Sommervorbereitung ist mein Trainer Sepp Maurer, der auch der Leiter der Sportschule ist. Er sieht sich alles genau an und ich spreche mit ihm ab, wann die nächsten wichtigen Termine anstehen. Dann arbeiten wir einen Plan dafür aus. Für den Winter bin ich im Team der WorldRacingAcademy. Hier haben wir zwei Trainer, einmal Martin Fahrner und Patrick Renner. Beide kommen aus Südtirol und sind sehr engagierte und motivierte junge Übungsleiter, die mit mir sehr gut zusammenarbeiten und alles bis ins kleinste Detail mit mir planen, um bestens vorbereitet zu sein, wenn dann wieder Wettbewerbe anstehen.
Das Streben nach Fitness – geistig wie körperlich
Knie, Schulter, Rücken – Du hattest in der Vergangenheit immer wieder Verletzungs-Probleme: Wie geht’s dir mit diesen Wehwehchen?
Zurzeit – Gott sei dank – bis auf ein paar kleine Sachen, die aber irgendwie normal sind, ganz gut. An meinen Problemzonen, die mich schon länger begleiten, arbeite ich so gut wie jeden Tag. Ich bin positiv gestimmt.
Du giltst auf der Strecke als absoluter Draufgänger nach dem Motto „Sieg oder Akia“. Warst Du das bereits von Geburt an – oder hast Du Dir diese Mentalität erst aneignen müssen?
Ich bin schon immer so. Ich habe mir noch nie groß Gedanken gemacht auf der Piste. Aber seit einer Weile ist das anders. Auch aufgrund meiner Verletzungen habe ich meine Denkweise verändert. Ich arbeite deshalb auch mit einem Sportpsychologen zusammen, was mir sehr hilft auf meinem Weg.
Rückblick auf den bisher größten Erfolg in der Karriere des 21-Jährigen:
Wie schwierig ist es, den Mittelweg zwischen Risiko und Vorsicht zu finden?
Für mich gibt es da keinen Mittelweg. Wenn du der Beste sein willst, musst du alles riskieren. Wenn du nämlich nur 80 Prozent gibst, dann wirst du es nie weit bringen, weil alle um dich herum 120 Prozent geben. Also gilt das für mich auch.
Eines Deiner besten Rennen hast Du im Rahmen der Deutschen Meisterschaft 2021 abgeliefert. Du bist Zweiter geworden und hast bekannte Namen wie Alexander Schmid und Stefan Luitz hinter Dir gelassen. Wie blickst Du auf diesen besonderen Tag zurück?
Wenn ich daran denke, fallen mir oft viele Dinge ein – etwa, dass ich mich immer noch ein wenig ärgere, dass ich nicht gewonnen habe, nachdem der erste Durchgang so gut war. Aber ich erinnere mich auch daran, dass es schon ziemlich cool war nach einer längeren Verletzungspause und fast keinem Training diese Leistung abrufen zu können.
„Im besten Falle komme ich in den Weltcup“
War dieser Wettkampf eine absolute Ausnahme – oder steckt noch mehr Potenzial in Dir?
Mit Sicherheit war das keine Ausnahme. Auch im Laufe des vergangenen Winters habe ich gezeigt, dass ich im Training mit den Besten mithalten kann. Wenn wir mit den Weltcup-Jungs trainiert haben, war ich da meistens gut mit dabei. Diese Leistungen hätte ich gerne auch in den Europacups gezeigt, was mir dann aber leider wegen der Verletzung verwehrt geblieben ist. Aber ich nehme alles Gute der vergangenen Saison mit – und greife im nächsten Winter voll an.
Stehst Du mit bald 22 Jahren am Scheideweg? Entweder Weltcup-Karriere oder Ende mit dem Profi-Dasein?
Grundsätzlich will ich so schnell es geht in den Weltcup. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ich mich erst im Europacup etablieren – und das ist das große Ziel für die nächste Saison. Sollte ich das nicht schaffen, kann ich noch nicht sagen, ob ich es dann noch weiter versuchen werde.

Der Waidler gilt als Draufgänger auf der Piste. Hat sich aber in dieser Denkweise eigenen Angaben zufolge weiterentwickelt.
Welchen Plan B hast Du in der Tasche?
Die Frage stelle ich mir auch oft. Einen genauen Plan habe ich noch nicht. Ich überlege, mein Abitur nachzuholen und dann ein Studium anzufangen. Oder eventuell auch erstmal bei der Bundeswehr zu bleiben und einfach sehen, welche Möglichkeiten sich ergeben.
Abschließend darfst Du träumen: Wie stellst Du Dir Deine Zukunft vor – sportlich und privat?
Im besten Falle komme ich in den Weltcup und erziele dort die Ergebnisse, die sich jeder wünscht. Privat wäre es toll, wenn ich einen festen Wohnsitz gemeinsam mit meiner Freundin etablieren könnte. Aber das ist nicht so einfach mit mir, da ich immer sehr viel unterwegs bin. Ich bin mir allerdings sicher, wir finden bald eine Lösung.
Vielen Dank für das Gespräch, alles Gute für die Zukunft – und ganz wichtig: Gesund bleiben.
Interview: Helmut Weigerstorfer