Kreuzberg / Freyung-Grafenau. Rechnen mit bunten Glaskugeln, Grammatik verständlich machen durch Satzsterne, Sachunterricht draußen in der Natur: Grundschulkinder, die die Montessori-Schule Wolfstein besuchen, lernen anders. Was genau versteckt sich hinter dem Montessori-Konzept? Und wie schwierig ist es, sich als kleine Schule mit besonderem pädagogischem Angebot im ländlichen Raum zu behaupten? Hog’n-Redakteurin Sabine Simon hat sich die kleine Schule genauer angeschaut.

Seit September 2020 leitet Martin Hammerer die Montessori-Grundschule Wolfstein und kann zum Ende seines ersten Schuljahres in Kreuzberg bereits Erfolge verzeichnen.
Wenn im September neun Erstklässler ihren ersten Schultag an der Montessori-Schule begehen, dann hat jene besondere Grundschule im Landkreis Freyung-Grafenau eine „Talsohle durchschritten“, wie es die Vorstandschaft formuliert. Personalschwierigkeiten, Radonbelastung in den Kellerräumen sowie nicht genehmigte Finanzzuschüsse aufgrund zu geringer Schülerzahlen: All das hatte der Einrichtung in den vergangenen Jahren Probleme bereitet.
Neuer Schulleiter und steigende Schülerzahlen

Zum Lernmaterial im Montessori-Unterricht gehört etwa das Murmelbrett. Hier lernen die Schüler beispielsweise das Multiplizieren. Foto: Montessorischule Wolfstein
Seit September leitet nun Martin Hammerer die Montessori-Schule Wolfstein. Er unterrichtet die derzeit 16 Schüler der Jahrgangsstufen eins bis vier gemeinsam mit seiner Frau Julia und einer zusätzlichen pädagogischen Mitarbeiterin.
Auch das Thema Radon ist eigenen Angaben zufolge vom Tisch: Im Keller sorgt nun eine Absauganlage für gute Luft. Einzig die fehlenden Finanzzuschüsse stellen eine noch nicht gelöste Schwierigkeit dar, obwohl die Lehranstalt nun steigende Schülerzahlen zu verzeichnen hat. Momentan bemühen sich die Mitglieder des Trägervereins genauso wie Politiker aus der Region darum, doch noch einen Zuschuss für Personalkosten durch das Kultusministerium zu erreichen. Im Herbst hatte die staatlich genehmigte Privatschule nämlich zum Stichtag zwei Schüler zu wenig, um Anspruch auf die finanzielle Hilfe zu haben. Mittlerweile werden wieder genügend Buben und Mädchen unterrichtet, im nächsten Schuljahr wird die Schülerzahl erneut steigen.
Keine Noten, kein direkter sozialer Vergleich
Vorstand Matthias B.* sagt dazu ganz klar: „Nicht für jedes Kind ist die Montessori-Schule das Richtige.“ Deshalb gebe es im Vorfeld einen intensiven Aufnahmeprozess, damit Eltern, Lehrer und Schüler sich kennen lernen können. „Wenn die Situation es wieder zulässt, machen wir mit interessierten Kindern wieder eine gesamte Woche Probeunterricht“, erklärt Schulleiter Martin Hammerer. In diesem Schuljahr war dies wegen Corona nicht möglich.

Struktur im Montessori-Alltag: Für alle Schüler gibt es Wochenaufgaben. Foto: Montessori-Schule Wolfstein
Neugierde und Motivation seien wichtig, um mit dem pädagogischen Ansatz nach Maria Montessori zurecht zu kommen. In der Privatschule werden die Schüler nicht mittels Noten bewertet. „Dadurch gibt es auch für die Eltern nicht den sonst üblichen direkten sozialen Vergleich zwischen den Kindern“, erklärt Hammerer. Wer sich über Lernfortschritte seines Sprosses erkundigen will, muss deshalb das Gespräch mit den Lehrern suchen.
Das müsse den Eltern von Anfang an klar sein, betont der Schulleiter. Vor allem im vierten Schuljahr, vor dem Übertritt auf eine weiterführende Bildungsstätte, könne es sonst zu Schwierigkeiten kommen. Denn auch in der Montessori-Einrichtung erhöhe sich dann der Druck, damit die Schüler optimal auf die Prüfungen vorbereitet werden, die sie abzulegen haben, um auf ein Gymnasium oder eine Realschule gehen zu können. Wer nach der vierten Klasse weiterhin eine Montessori-Schule besuchen möchte, kann etwa an die Ilztalschule in Hutthurm oder an die Montessorischule Passau wechseln.
„Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“

„Kosmische Erziehung“ ist Teil des Unterrichts: Dabei wird ein Thema fächerübergreifend behandelt. Foto: Montessorischule Wolfstein
Generell habe jedes Kind das Potenzial, sich selbständig zu entfalten. Und mit Hilfe der Methoden nach Maria Montessori lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Sich Wissen über Natur und Religion anzueignen, zu werken, zu basteln oder Musik zu machen. Herausforderung für die Lehrer ist es dabei, die Buben und Mädchen und ihren Lernfortschritt ständig im Blick zu haben und für jedes Kind die passenden Methoden zu finden, um Rechtschreib- und Rechenregeln zu erlernen.
„Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“, kommentiert Martin Hammerer. Was er damit meint: Nicht jedes Kind lernt auf die gleiche Weise. Die Montessori-Pädagogik arbeitet daher mit vielen verschiedenen Lern-Materialien. Jeder kann sich das raussuchen, was der eigenen Denkweise am besten entspricht. „Wir stellen die Frage: Wie funktioniert dein Geist“, erklärt der Schulleiter. Manche Lernmaterialien seien für das eine Kind zu abstrakt, für das andere dagegen genau das Richtige.
Gemeinsam draußen in der Natur lernen
Wichtiger Bestandteil des Schulalltags an der Montessori-Grundschule ist die so genannte Kosmische Erziehung. Dabei werden Themen fächerübergreifend behandelt, die Schüler aller vier Jahrgangsstufen nehmen gemeinsam am Unterricht teil. Als Nationalpark-Partnerschule organisiert das Team der Kreuzberger Einrichtung etwa immer wieder Exkursionen in den Wald, bei denen die Kinder zusammen mit einem Förster draußen in der Natur lernen.

Derzeit befassen sich alle vier Jahrgangsstufen gemeinsam mit dem Thema Weltreligionen.
Dabei funktioniert auch die Inklusion, auf die das Montessori-Konzept großen Wert legt. Im Rahmen gemeinschaftlicher Schulstunden der Jahrgangsstufen eins bis vier erfahren die Schüler auf diese Weise: Wer etwas nicht kann, ist in einem anderen Bereich begabt. Außerdem sehen die Jüngeren, was die Älteren bereits können – und fühlen sich so angespornt.
In der Freiarbeitsphase dagegen darf sich jedes Kind individuell beschäftigen. Hier entscheiden die Schüler selbst, was sie entdecken wollen: „Sie lernen interessengeleitet“, erläutert Martin Hammerer dazu. Als Lehrer macht er sie stets auf neue Lernmaterialien aufmerksam, er beurteilt, ob das Kind zurecht kommt mit der jeweiligen Lernmethode. „Bei Mathe-Übungen ist ein Lernmaterial für den ein oder anderen vielleicht zu abstrakt“, erklärt der Pädagoge weiter.
Nicht immer sind es jedoch nur Lernmethoden nach Maria Montessori, mit denen der Unterricht gestaltet wird. „Ich würde sagen, unser Konzept beinhaltet zu achtzig Prozent die klassische Montessori-Lehre“, sagt der neue Schulleiter. „Aber wir denken auch weiter und lassen neue pädagogische Ansätze in miteinfließen.“
Alle Viertklässler bestehen in diesem Jahr Übertrittstest
„Wie die Kinder lernen, ist anders“, betont Hammerer, „nicht was sie lernen“. Auch die Montessori-Schule halte sich an den so genannten Lehrplan plus des bayerischen Kultusministeriums. Die Herausforderung für die Lehrkräfte ist es, genau im Blick zu halten, ob ein Kind zu sehr hinterherhinkt – und rechtzeitig zu erkennen, wenn jemand in einem bestimmten Bereich Probleme hat. Am Ende der vierten Klasse legen die Grundschüler eine Prüfung ab, wenn sie Gymnasium oder Realschule besuchen wollen.

Im letzten Schuljahr hatte die Vorstandschaft rund um Matthias B. (links) und Armin Wildfeuer (rechts) mit Problemen zu kämpfen, nun freuen sie sich, dass mit Schulleiter Martin Hammerer (Mitte) wieder Normalbetrieb herrscht.
Heuer haben alle fünf Viertklässler, die die Prüfung absolviert haben, bestanden. Ein großer Erfolg für die Einrichtung, die Schüler und das Lehrerehepaar Hammerer, das die Kinder seit September unterrichtet. Denn das vorangegangene Schuljahr 19/20 sei alles andere als einfach gewesen. Während des Schulbetriebs hatte die damalige Schulleiterin Alexandra Hammer gekündigt und die Lehranstalt im Dezember verlassen, wie die Vorstände Matthias B. und Armin Wildfeuer berichten.
Um den Unterrichtsbetrieb aufrecht erhalten zu können, habe man vom Ministerium die Genehmigung erhalten, dass eine Mutter, die in Großbritannien Lehramt studiert hat, den Unterricht vorübergehend leiten darf. Als dann noch das Corona-Virus dazukam und die Unterrichtssituation durch Homeschooling zusätzlich erschwert wurde, avancierte das Schuljahr endgültig zum Ausnahmefall.
Konzept langfristig umsetzen
Dass sich zum neuen Schuljahr 20/21 mit Martin und Julia Hammerer ein neues Lehrer-Zweierteam gefunden hat, erfreut die Vorstandschaft des Trägervereins. Beide waren zuvor an der Ilztalschule in Hutthurm tätig. Beide möchten nun langfristig ihr pädagogisches Konzept an der bis dato einzigen Montessori-Grundschule im Landkreis Freyung-Grafenau umsetzen.
Sabine Simon
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