Cham. Ganz still und ruhig liegt er da. Neben der Straße. Mitten auf einer Wiese. Auf dem Weg von Windischbergerdorf ins wenige Kilometer entfernte Cham. Viele Vorbeifahrende wissen wahrscheinlich gar nicht, was sich hinter seinen Mauern verbirgt. Den Mauern des „Garten des Lebens“, dem „Ewigen Haus“ („Beth Olam“). Ein Besuch auf dem jüdischen Friedhof der ehemaligen Israelitischen Kultusgemeinde Cham.

Ein Ort der Stille, ein Ort des Gedenkens: Der jüdische Friedhof in Windischbergerdorf bei Cham.

Wie viele jüdische Einrichtungen in Deutschland ist die Ruhestätte verschlossen und der Öffentlichkeit unzugänglich. Das liegt zum einen daran, dass nach jüdischer Tradition die Totenruhe ein Grundgebot ist. Zum anderen will man antisemitisch-gesinnten Grabschändern keine Möglichkeit bieten, sich am Friedhof, an den vielen Grabsteinen zu vergehen, wie dies 1946 und 1977 bedauerlicherweise geschehen war.

Die Ursprünge der Chamer Juden

1889 wurde der Friedhof angelegt, da seit dieser Zeit Menschen jüdischen Glaubens im Gebiet des heutigen Landkreises ansässig waren. Noch heute gibt es die Judenstraße in Cham – und auch im Mittelalter lebten bereits jüdische Familien in der Stadt. Die ersten urkundlichen Erwähnungen, die noch heute im Stadtarchiv erhalten sind, fanden Juden bereits 1336/37. Damals kam es jedoch zu keiner dauerhaften Ansiedelung einer Gemeinde, da die jüdischen Bürger stets der Willkür des jeweiligen Regenten ausgeliefert waren, es immer wieder zu Verfolgungen bzw. Ausweisungen kam und sich die Menschen eine neue, oft vorübergehende Heimat suchen mussten.

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Störe nicht die Ruhe der Toten.

Wie im Mittelalter trauriger Usus wurden auch die Friedhöfe im Zuge der Pogrome „aufgelöst“ – und so „schmücken“ in vielen bayerischen Städten jüdische Grabsteine diverse Gebäude, so wie etwa in Regensburg. Auch das Chamer Rathaus beherbergt in seiner Fassade einen jüdischen Grabstein. Einerseits waren diese nützliches und kostenloses Baumaterial, andererseits wollte man damit protzen, die Juden aus der Stadt vertrieben zu haben. Der Grabstein war quasi eine markante Siegestrophäe.

Die jüdische Gemeinde in Regensburg war übrigens eine der bedeutendsten und florierendsten mittelalterlichen jüdischen Gemeinden. Handel und kulturelles Leben kamen zu großer Blüte, die mit dem grauenvollen Pogrom von 1519 ein jähes Ende fand. Nach mehr als 300 Jahren durften sich dann wieder Juden in Cham niederlassen, so dass eine neue Gemeinde gegründet werden konnte. Eine der ersten und wichtigsten Aufgaben damals war die Schaffung eines Friedhofs.

Das 20. Jahrhundert

1910 lebten 120 jüdische Bürger im Landkreis Cham, 80 davon in der Stadt. Das machte ein Prozent der damaligen Bevölkerung aus, ein weiteres Prozent umfasste die evangelischen Christen. Die Gemeinde deckte ein großes Gebiet ab: neben dem Landkreis Cham auch die heutigen Landkreise Viechtach und Neunburg v. Wald. Die jüdischen Familien stammten größtenteils aus Böhmen und verdienten ihren Lebensunterhalt als Kaufleute. Viele Geschäfte, die heute in Cham als alteingesessen gelten, sind jüdischen Ursprungs.

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Bis 1938 existierte eine israelitische Kultusgemeinde. Doch mit Beginn der NS-Zeit zogen die Menschen aus Cham fort, die meisten ins nahe gelegene Böhmen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es für wenige Jahre noch einmal eine jüdische Gemeinde mit 200 bis 300 Mitgliedern, die von KZ-Überlebenden gegründet wurde. Sobald möglich, emigrierten diese jedoch in die USA oder nach Israel. Heute leben noch vereinzelt Bürger jüdischen Glaubens im Landkreis Cham – jedoch zu wenige, um eine eigenständige Gemeinde zu gründen. Sie gehören daher den Kultusgemeinden in Straubing, München oder Amberg an.

Die Anpassung

Viele Bezeichnungen hat das Hebräische für einen Friedhof, wie etwa Haus des Lebens, Garten des Lebens oder das Haus der Ewigkeit. In all diesen Begriffen schwingt die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod mit. Auf das ewige Leben, das auch im christlichen Glauben verankert ist. Die Totenruhe ist ein wesentlicher Gedanke im jüdischen Verständnis von Tod und Auferstehung. So wird ein Grab nach der Bestattung im wahrsten Sinne des Wortes „in Ruhe gelassen“.

Gedenktafeln für die gefallenen Juden im Ersten Weltkrieg.

Ein Grab wird niemals „aufgelassen“, das heißt aufgelöst, wie es bei den Christen üblich ist. Denn die letzte Ruhestätte gehört dem Toten bis ans Ende der Zeit. Ebenso sind Bepflanzungen, Blumenschmuck und Grabpflege dem Judentum fremd, ja sogar verpönt – denn es stört die Totenruhe, wenn am Grab gegärtnert wird. Auf einigen wenigen Gräbern des Friedhofs sieht man höchstens ein paar Blumen stehen oder eine kleine Heckenumrandung des Grabsteins. Dies deutet auf den Wunsch und die Absicht der Assimilierung, der Anpassung an die christliche Umwelt, der Chamer Juden hin.

Insgesamt verstand sich die Gemeinde in erster Linie als deutsch, als national – und das Jüdische war Religion, Privatsache und somit eher im Hintergrund. So war es natürlich auch für einige Männer eine Tragödie, dass sie im Ersten Weltkrieg tapfer das deutsche Vaterland verteidigt hatten – und in den 30er Jahren dann plötzlich hochoffiziell als Abschaum, als unwertes Leben galten. Ein weiteres Zeichen der Assimilierung lässt sich an den Inschriften der Grabsteine erkennen. Denn viele Inschriften sind neben hebräisch auch auf Deutsch zu lesen.

Steine statt Blumen

Auf vielen jüdischen Gräbern sieht man Steine liegen und vielleicht hat sich so mancher schon gefragt, was es damit auf sich hat. Wenn ein Angehöriger seinen lieben Verstorbenen besucht, legt er ihm einen kleinen Stein als Erinnerung aufs Grab. Sehr eindrucksvoll ist dies zum Beispiel am Ende des oscarprämierten Films „Schindlers Liste“ zu beobachten, wenn die Geretteten bzw. deren Kinder Steine auf das Grab von Oskar Schindler in Israel legen. Vermutlich rührt dieser Brauch aus biblischer Zeit, als die Israeliten jahrzehntelang durch die (Stein)Wüste wanderten. Die Toten wurden unter Steinen begraben – und so legt man noch heute einen Stein auf den Leichnam, sprich: auf das Grab.

Neben dem Friedhof war auch das Leichenhaus eine wichtige Einrichtung. Dieses befand sich jedoch auf dem städtischen Friedhof in Cham. So zog der Leichenzug aus der Stadt hinaus in das fünf Kilometer entfernte Windischbergerdorf. Oft schlossen sich auch Christen, Freunde und Geschäftspartner der Verstorbenen an.

Der Friedhof heute

Heute werden nur noch wenige Gräber am Friedhof besucht, zumal die Hinterbliebenen in alle Welt verstreut sind. Die letzte Beerdigung fand im Jahr 2005 statt: Markus Weißglas wurde damals zu Grabe getragen. Der Friedhof wird aktuell vom Landesverband für Israelitische Kultusgemeinden betreut, da sich benachbarte Gemeinden außer Stande sahen, die Instandhaltung zu stemmen.

Assimilierte Gräber auf dem jüdischen Friedhof.

Der Friedhof ist nur mit Führung zu besichtigen. Und es stellt sich ein gewisses Wechselbad der Gefühle ein, wenn man Zeit an diesem Ort verbringt und man von den Familien erfährt, die einst das Leben in der Stadt maßgeblich mitgeprägt haben, in Vereinen aktiv waren und sich ins Stadtgeschehen miteinbrachten. Die sich als „echte“ Chamer sahen und deren Nachkommen vermutlich noch heute, im Jahr 2021 (bzw. 5781 nach dem jüdischen Kalender), hier leben würden. Aufgrund der grausigen Vergangenheit existieren nur noch Spuren, nur noch Geschichten, Häusernamen, Geschäfte mit neuen Inhaberfamilien sowie die alten Grabsteine. Doch der „Garten des Lebens“ ist ein außergewöhnlicher Ort, ein besonderes Stück Chamer Geschichte. Für die Ewigkeit.

Melanie Zitzelsberger


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