Mauth. Ein Foto-Post macht die Runde bei Facebook. Darauf zu sehen ist ein Mann in Jeans und gelbem Hemd. Er hat kurze braune Haare, einen braunen Teint. Er hält mit beiden Händen ein Handy vor dem Oberkörper fest. Das Bild wurde bislang mehr als 400 mal geteilt (Stand: 29. Juni, 10 Uhr). Der Großteil der Facebook-Nutzer hat es mit einem wütenden Emoji quittiert. Der dazugehörige Text beginnt mit den Worten „Waren heute am Badesee in Mauth“ – und endet mit „Bitte passt auf euch auf und auf die Kinder“.
Der Mann soll laut Urheberin des Postings „eher Jugendliche Mädchen & auch Jungs“ beobachten. Er soll sich dabei mehrmals „am Schritt angefasst haben“. Beim Versuch eine Gruppe anzusprechen, sei die Urheberin des Postings ihm hinterher gegangen, da sich kein Erwachsener in der Nähe der Gruppe Jugendlicher befunden hätte. Als er sie bemerkt habe, sei er „abgehauen“. Daraufhin habe sie die Polizei informiert.
Die Gesetzeslage ist eindeutig
Ist dies – im Nachgang betrachtet – nun ein Fall von beherzter Zivilcourage, da die Facebook-Nutzerin in dem betreffenden Moment durch ihr Einschreiten möglicherweise Schlimmeres (evtl. sexuelle Belästigung Jugendlicher) verhindert hat? Da sie durch ihren Facebook-Post mit dem Foto des Mannes ihr Umfeld und viele weitere künftige Mauther Badeseegänger sensibilisiert, ja vor einem möglichen Kinderschänder gewarnt hat? Oder ist dies ein Fall von Selbstjustiz und übler Nachrede, indem sie den Mann ohne dessen Einverständnis fotografiert und das Bild im Anschluss bei Facebook hochgeladen hat, um ihn so an den öffentlichen Pranger zu stellen, ihn zu stigmatisieren, indem sie suggeriert, er führe Böses im Schilde?
Ein Blick ins Strafgesetzbuch, Paragraf 186, ergibt Folgendes:
„Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die Gesetzeslage ist demnach eindeutig. Ein Foto von jemanden ins Netz zu stellen, von dem man glaubt, er könnte diese oder jene Straftat begehen, könnte diese oder jene Absicht hegen, ist eine Straftat. Und zwar deswegen, weil es (bis dato) keinen Beweis für die ihm unterstellte Absicht gibt. Das Ganze kommt einer Vorverurteilung gleich, einer Unterstellung, die auf rein subjektiven Spekulationen und Eindrücken beruht.
Doch was wäre, wenn…
Das Foto, dessen Teilung und Verbreitung weiter voranschreitet, ist nun im Netz. Die Urheberin des Postings wähnt sich mit großer Sicherheit im Recht. Moralisch betrachtet ist sie es vielleicht auch. Juristisch betrachtet jedoch nicht. Ein Umstand, den viele Menschen in der heutigen Zeit nicht (mehr) nachempfinden können. Und ein Grund dafür, warum sie die Justiz und ihre Gesetze als Ganzes in Frage stellen, sie und ihre Urteile als unverhältnismäßig und nicht nachvollziehbar einstufen.
Doch was wäre, wenn heute jeder, dem ein anderer verdächtig erscheint, sogleich ein Foto von ihm oder ihr bei Facebook, Instagram oder Twitter hochlädt? Oder ein Video von ihm oder ihr anfertigt und bei YouTube oder TikTok einstellt? Es würde wohl eine Gesellschaft entstehen, deren Mitglieder sich gegenseitig beobachten und beargwöhnen. Eine Gesellschaft von Denunzianten, die in einem permanenten Akt von Selbstjustiz all diejenigen an den öffentlichen Facebook-Pranger stellen, von denen sie – vielleicht auch mal mit gezielten Hintergedanken – meinen, sie könnten Dreck am Stecken haben. Es entsteht eine Atmosphäre des Misstrauens. Eine unfreie Welt, in der Gesetze nur noch auf dem Papier existieren.
Fazit: Es reicht, in einem Fall wie dem des Mannes am Mauther Badesee die Polizei zu verständigen – in der Hoffnung, dass die Beamten dann vermehrt Präsenz in dem betreffenden Bereich zeigen und/oder ggf. Ermittlungen in die Wege leiten. Es ist legitim und verdient Respekt, in gewissen Situationen Zivilcourage zu beweisen und einzuschreiten, sofern man sich dadurch nicht selbst oder andere gefährdet. Es ist nicht angebracht, den Internet-Pranger zu aktivieren und jemanden öffentlich per Foto-Posting verdächtig zu machen, ihn vorzuverurteilen – auch wenn man sich moralisch im Recht sieht…
Kommentar: Stephan Hörhammer