Bischofsreut/ Waldkirchen. Vor einer Schule oder einem Kindergarten ist es üblich, dass dort die Geschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer beschränkt ist. In vielen Wohngebieten dagegen brausen die Autofahrer mit (erlaubten) 50 km/h an Gärten und Auffahrten vorbei, in denen kleine Buben und Mädchen spielen. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Wann und wo macht Tempo 30 überhaupt Sinn? Und: Wer kontrolliert, ob sich auch alle daran halten?
„Was wäre denn so schlimm daran gewesen, meinen Antrag zu genehmigen?“ Das fragt sich Alex Rohde. Der Familienvater wohnt in der Leopoldsreuter Straße in Bischofsreut, Gemeinde Haidmühle. Im Herbst 2020 hatte er beantragt, hier ein Tempolimit von 30 km/h einzuführen. Vor Kurzem lehnte der Gemeinderat dies ab.
Straße mit hohem Unfallpotenzial?
Alex Rohde hat seine Gründe, Tempo 30 vor seiner Haustür zu fordern. Die Leopoldsreuter Straße führt – wie ihr Name schon sagt – zu einem beliebten Ausflugsziel für Radfahrer und Wanderer: dem verlassenen Dorf Leopoldsreut. Außerdem erreicht man über diese Straße von Bischofsreut aus den Haidel samt Aussichtsturm.
„Bei uns kommen Fußgänger, Radfahrer, Touristen und etliche Anwohner mit Kinderwagen vorbei“, beschreibt Rohde die Situation vor seinem Anwesen. „Es gibt Katzen, Hunde und spielende Kinder.“ Vor allem am Wochenende sei viel los. Die Gefahr: Neben Autofahrern nutzen auch Traktoren und Holztransporter die schmale Straße.
Alex Rohde würde die Verkehrsteilnehmer gerne dafür sensibilisieren, dass es sich seiner Meinung nach um eine Straße mit hohem Unfallpotenzial handelt. „Der Straßenverlauf ist an mehreren Stellen schwer einsehbar“, erklärt er. Der ausgebildete Bundeswehr-Fahrlehrer hält eine Temporeduzierung daher für mehr als angemessen.
Gemeinde entscheidet mit Polizei über Tempo 30
Ob Tempo-30-Schilder aufgestellt werden, darüber verfügt in Fällen wie diesem die Gemeinde als zuständige Behörde. „Die Entscheidung, ob ein Tempolimit angeordnet wird, trifft jeweils die hierfür zuständige Straßenverkehrsbehörde“, erklärt Walter Scheungrab, Pressebeauftrager der Polizeiinspektion Freyung, auf Hog’n-Nachfrage. „Dies passiert im Regelfall nach Durchführung einer Verkehrsschau, zu welcher auch die zuständige Polizeidienststelle gehört wird.“
In der Leopoldsreuter Straße fand daher im Winter eine Begehung durch Bürgermeister Heinz Scheibenzuber und die Waldkirchner Polizei statt. Anschließend wurde ein Messgerät aufgestellt, um herauszufinden, wie schnell die Fahrzeuge in diesem Bereich unterwegs sind.
Ergebnis: In der Zeit zwischen 5. Februar und 5. März 2021 betrug die gemessene Durchschnittsgeschwindigkeit lediglich 35 km/h. „Dazu muss man wissen: Im Februar lag bei uns viel Schnee“, sagt Alex Rohde skeptisch. „Zu Beginn der Messung stand das Gerät zudem viel zu nah an einer Kreuzung, wo die Fahrzeuge so und so nicht schnell unterwegs sind.“ Er schreibt dem Ergebnis daher wenig Bedeutung zu.
Tempo 30 im Wohngebiet wird selten kontrolliert
Der Gemeinderat dagegen entschied aufgrund der Messergebnisse mit nur einer Gegenstimme, dass es kein Tempo-30-Schild geben wird. Man einigte sich darauf, stattdessen ein Schild mit der Aufschrift „Freiwillig Tempo 30“ aufzustellen. Lediglich ein Ratsmitglied stimmte für Rohdes Antrag und könnte sich sogar im gesamten Gemeindegebiet Tempo 30 vorstellen. Einer seiner Ratskollegen sieht das genau anders herum: Er möchte keine Geschwindigkeitsbegrenzung in der Leopoldsreuter Straße, da dieser Folgeanträge für weitere Straßen befürchtet. Ein anderer ist der Meinung, es sei ohnehin bereits so vieles geregelt. „Die Begründungen sind lächerlich“, kommentiert Alex Rohde die ablehnende Haltung der Gemeindevertreter.
Zudem bezweifelt man im Gremium, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung den gewünschten Effekt habe, wenn sie durch die Polizei nicht regelmäßig kontrolliert würde.
Walter Scheungrab von der Polizeiinspektion Freyung bestätigt: „Tatsächlich werden in geschwindigkeitsreduzierten Wohngebietsstraßen im Vergleich zu anderen Messstellen weniger Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt.“
Ob die Polizei Tempolimits kontrolliert, hänge von vielen Faktoren ab: Dazu gehören technische Gesichtspunkte, ob Messgeräte überhaupt aufgestellt werden können. Gemessen wird außerdem vor allem dort, wo schon Unfälle passiert sind oder wo die Polizei bereits festgestellt hat, dass die Geschwindigkeit oft überschritten wird.
In Waldkirchen blitzt die Stadt nun selbst
Ortswechsel: In Waldkirchen laufen Autofahrer, die sich nicht an Geschwindigkeitsregeln halten, seit einigen Wochen viel häufiger Gefahr, geblitzt zu werden. Die Stadt ist seit Jahresbeginn Mitglied im Zweckverband kommunale Verkehrsüberwachung Südostbayern und darf nun selbst die Geschwindigkeit der Autofahrer kontrollieren. Neben der größten Stadt im Landkreis Freyung-Grafenau betreiben dies die Stadt Grafenau und die Gemeinde Ringelai auf gleiche Weise.
„Bisher wurden in 224 Fällen Geschwindigkeitsüberschreitungen festgestellt“, berichtet Eduard Wilhelm, Waldkirchens geschäftsführender Beamter. Die Anwohner hätten positiv auf die Geschwindigkeitsmessungen reagiert. Gemessen werde vor allem dort, wo es Anwohnerbeschwerden wegen zu schnell fahrenden Autos gebe sowie vor Schulen und Kindergärten.
Der größte Effekt der Messungen: Die Stadt gibt die Standorte der „Blitzer“ im Voraus (in der Tageszeitung bzw. den Zweckverband) bekannt und schreckt Raser allein dadurch ab. „Wir sehen in der Veröffentlichung der Standorte eine präventive Maßnahme, die dem Schutz der Anwohner dient“, sagt Eduard Wilhelm. Finanziell profitiere man dagegen nicht vom „Blitzen“: Die Kosten für Personal und Messgeräte übersteigen dem Geschäftsleiter zufolge die Einnahmen aus den ermittelten Verkehrsverstößen.
Pollak initiierte Tempolimits
„Seit Amtsantritt von Bürgermeister Heinz Pollak wurde in nahezu allen Wohngebieten der Stadt Tempo 30 eingeführt“, informiert Eduard Wilhelm weiter. Hier seien es keine Anträge von Anwohnern gewesen, die die Tempo-30-Beschränkungen zur Folge hatten. „Das ging auf meine Initiative zurück“, verdeutlicht Pollak selbst. „Die Mitgliedschaft im Zweckverband wurde ebenfalls von mir initiiert.“
Sabine Simon