München. Es gibt momentan wohl kein anderes Thema, das intensiver diskutiert wird. Sogar Corona scheint verdrängt und (vorübergehend) vergessen zu sein. Der Fußball an sich, der eigentlich bei der Europameisterschaft im Zentrum stehen soll, ist in den Hintergrund gerückt. Die Rede ist von der Allianz-Arena, die anlässlich des EM-Vorrunden-Spiels Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben hätte erstrahlen sollen, um ein Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz im Sinne der LGBTIQ-Bewegung in die Welt hinaus zu senden. „Hätte“ deshalb, weil die UEFA, der europäische Fußball-Dachverband, nicht damit einverstanden ist.

Bunt und in den Farben der LGBTIQ-Bewegung hätte die Münchener Allianz-Arena erleuchten sollen – doch daraus wurde nichts. Foto: Facebook/UEFA
„Die UEFA ist gemäß ihrer Satzung eine politisch und religiös neutrale Organisation. Angesichts des politischen Kontextes dieses speziellen Antrags – eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen nationalen Parlaments abzielt – muss die UEFA diesen Antrag ablehnen“, rechtfertigte der Dachverband jüngst seine Entscheidung – und sprach sich am Ende gegen das Ansinnen der Stadt München aus, die unter der Ägide von Oberbürgermeister Dieter Reiter die Solidaritätsaktion als Zeichen gegen Homo- und Transphobie sowie für sexuelle Vielfalt am Mittwoch realisieren wollte.
„Ein pseudomäßiges Neutralitätsgebot“
Die Protestwelle im Netz gegen die UEFA-Entscheidung, die von vielen als Akt der Solidarisierung mit dem Habitus der Regierung Orban betrachtet wird, ist riesig, das Medienecho enorm. Dass sich Ungarn mehr und mehr zu einem homophoben, intoleranten und nonpluralistischen Staat entwickelt, stößt vielen Menschen, die ein freies und nicht-diskriminierendes Europa befürworten, sauer auf. Die ungarischen Machtinhaber hatten unlängst ein Gesetz gegen „Werbung“ für Homosexualität durch das Parlament gebracht und so für große Kritik gesorgt. Auch die Hog’n-Redakteure Hörhammer und Weigerstorfer nehmen sich dem Thema an – und beziehen durchaus unterschiedlich dazu Stellung.
Hörhammer: Bodenlos. Und armselig. Mehr fällt mir dazu nicht mehr ein. Da hätte dieser von Korruption und Unmoralitäten gebeutelte Fußballverband die große Chance gehabt, ein gewichtiges Zeichen gegen schwulen- und lesbenfeindliche Diktatoren wie diesen Orban über den Äther zu schicken – und was machen die weltfremden Anzugträger von der UEFA? Verstecken sich völlig pseudomäßig hinter einem Neutralitätsgebot, das gerade diese Organisation nicht einmal ansatzweise in der Vergangenheit verkörpert hat…
Weigerstorfer: Ruhig Blut, Herr Kollege. Es ist hier – und auch generell – nicht angebracht, Sport und Politik zu vermengen. Da hat die UEFA schon recht – und tut gut daran, sich an ihre eigenen Statuten zu halten. Wo kämen wir denn da hin, wenn vor bzw. während jedes Fußballspiels der jeweilige Austragungsort für politische Signale nach Gutdünken genutzt wird!? Dann gäbe es wohl irgendwann nicht mehr nur rein sportliche Duelle auf dem Rasen, sondern womöglich noch handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen politischen Lagern im und ums Stadion. Das kann’s ja wohl auch nicht sein…
„Ungarn ist ein souveräner Staat“
Hörhammer: Sport und Politik sind immer schon untrennbar Hand in Hand nebeneinander her gegangen, manchmal mehr, manchmal weniger sichtbar. Ein Land wie Ungarn, das ein Homosexuellen-Gesetz erlässt und somit gegen fundamentale europäische Werte verstößt, hätte meiner Meinung nach überhaupt nicht an diesem Turnier teilnehmen dürfen. Genauso wie Katar nie und nimmer die nächste Weltmeisterschaft hätte bekommen dürfen. Ein Emirat, in dem mehr als 6.500 Gastarbeiter im Zuge der Stadion-Neubauten ums Leben gekommen sind. Was ist das alles nur für ein Wahnsinnsgeschäft geworden, dieser Fußball! Das einzige, was hier noch zählt, ist Geld, Geld und nochmals Geld. Worte wie Toleranz und Respekt, die häufig seitens der UEFA auch im Rahmen gewisser öffentlichkeitswirksamer Aktionen bemüht werden, sind nichts anderes als Heuchelei.
Weigerstorfer: Das mag sein, das du das so siehst. Nichtsdestotrotz ist Ungarn ein souveräner Staat, in dem ein vom Volk gewählter Politiker den Kopf der Regierung bildet. Und ganz nebenbei erwähnt: Ungarn ist offizielles Mitglied der Europäischen Union. Wieso hat man diesen Staat dann überhaupt aufgenommen bzw. warum schließt man ihn nicht einfach aus dieser sogenannten Werte-Union wieder aus? Wir Deutsche und die Mehrheit der restlichen Welt wollen Ungarn nun belehren, wollen allen zeigen, dass wir die Guten und die die Bösen sind. Schwarzweiß-Denken ist das, mehr nicht. So schaut’s doch aus!
Hörhammer: Du willst es einfach nicht verstehen, oder? Dann ist das eben so, dann sind wir eben (wieder mal) nicht einer Meinung. Orban wird jedenfalls nicht nach München kommen, um das Spiel „seiner“ Mannschaft live im Stadion mit zu verfolgen. Da fürchtet er wohl den Gegenwind, der ihm von den tausenden kleinen Regenbogen-Fähnchen, die vor dem Stadion an die Fans verteilt werden, entgegenweht. Oder will er sich Manuel Neuers Armbinde nicht vom Zuschauerrang aus anschauen? Ich finde es jedenfalls großartig, dass zahlreiche andere Stadien heute Abend in den Regenbogenfarben erleuchten, Rathäuser und viele weitere Bauwerke damit angestrahlt werden. Ich finde es wunderbar, dass so viele Menschen in den Sozialen Medien ihre Solidarität kundtun, indem sie etwa ihr Profilbild mit den Regenborgenfarben schmücken. Mögen Orban und alle anderen Despoten Notiz davon nehmen! Möge die Welt ein bisschen bunter dadurch werden!
Die Meinung der Hog’n-Leser ist gefragt!
Helmut: Weißt du was? Lassen wir doch einfach unsere Leserschaft mitdiskutieren. Ich bin gespannt, wie sie die Sache einschätzt. Also: Hätte die UEFA ein buntes Münchner Fußballstadion durchgehen lassen sollen, um ein Zeichen für Toleranz und sexuelle Vielfalt zu senden? Oder ist die Entscheidung des Fußballverbands, den Protest gegen Ungarns Politik nicht statt zu geben, gerechtfertigt? Wir geben diese Frage an unsere Leser weiter – und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste (direkt unterhalb dieses Artikels oder auf unserem Facebook-Kanal).
da Hog’n
Alles ist Politik! Vor Allem heute und im Zusammenhang mit sexuellen Orientierungen. Aktuell werden ja nicht nur im Kontext mit Fußball sondern auch mit Blick auf die Kirchen sexuelle Orientierungen diskutiert. Soll die Diskussion in der Kirche mit dem gleichen Argument verboten werden? In der Kirche geht es um Glauben, Moral, Ethik und nicht um Sexualität. Wenn ich Kirche und Sexualität verbinde, ist dann das (verbotene und unangebrachte) Politik?
Es geht also nicht um Politik.
Es geht um Freiheit.
Es geht um die Freiheit Verbindungen herzustellen, die auch unangenehm sein können. Und ist erst mal das unangenehme bearbeitet, wird alles angenehm, also frei.