Bayerischer Wald. Gerald Klamer ist dann einfach mal weg. Wobei sein Vorhaben für Außenstehende gar nicht so einfach umzusetzen ist. Der 54-Jährige hat seinen sicheren Job als Forstbeamter gekündigt, seine Wohnung aufgelöst, sein ganzes Hab und Gut bis auf wenige Ausnahmen verkauft. Und das alles nur, um seine Begeisterung für die Wälder Deutschlands auszudrücken. Ein Satz, der ziemlich einfach daherkommt. Denn: Der Mittelhesse ist von Februar bis November in der Bundesrepublik unterwegs. 6.000 Kilometer. Zu Fuß. Mitunter auch im Bayerischen Wald. Bei Wind und Wetter, bei Kälte und Hitze, ohne Zelt und Bett, ohne festes Zuhause und geregelten Alltag.
Ein waghalsiges Abenteuer – aus objektiver Sicht. Für Gerald Klamer – so komisch es klingen mag – ein klein bisschen Routine. Denn derartige Ausbrüche aus dem Alltagstrott gehören bei ihm irgendwie dazu. „Ich bin schon seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt unterwegs“, stellt er in einer Art und Weise fest, die das Unnormale normal klingen lässt. Die aktuelle 6.000-Kilometer-Tour ist, das gibt er offen zu, dann aber doch nochmal eine andere Hausnummer als seine bisherigen Expeditionen. Aufgrund ihrer Länge, aber auch wegen der Botschaft, die der Naturbursche dadurch sprichwörtlich durch Flure und Felder tragen will.
Live dabei via Blog, Instagram und Facebook
„Mit meiner Wanderung möchte ich auf den Zustand unserer Wälder aufmerksam machen. Vor allem darauf, was sich hinsichtlich deren Bewirtschaftung im Zuge des Klimawandelns ändern soll“, verdeutlicht der 54-Jährige – und ergänzt sogleich, um nicht als nörgelnder Vagabund abgestempelt zu werden: „Das Ganze soll aber einen positiven Charakter haben – deshalb heißt dieses Projekt auch Waldbegeisterung.“ Um einen Einblick in seine Erlebnisse zu gewähren, veröffentlicht der Hesse regelmäßig Einträge auf seinem Blog, aber auch bei Instagram und Facebook.
Im Sommer 2020 hatte er erstmals die Idee dazu. Im Herbst begann die intensive Planungsphase. Eine ungefähre Route musste her. Er wollte alle größeren Waldgebiete sowie alle Bundesländer Deutschlands durchwandern. Gleichzeitig vereinbarte er mit Fachleuten aus den Bereichen Forst- und Landwirtschaft sowie Naturschutz in den verschiedenen Regionen ein Gespräch. Darunter auch Bayerwald-Botschafter Peter Langhammer und Nationalpark-Forscher Dr. Jörg Müller. Erstgenannter ist in zweierlei Hinsicht angetan von Klamers Aktion. „Einerseits ist seine Tour ein enormer persönlicher Aufwand, andererseits bekommt er einen Einblick wie kein Zweiter, was sicher zu wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen wird.“
„Ich habe nur eine Plane, um mich zuzudecken“
Ähnlich sieht es auch Dr. Jörg Müller: „Es ist immer toll, wenn Menschen so eine Begeisterung für den Wald zeigen. Und Gerald Klamer hat die Waldbegeisterung gleich zu seinem Großprojekt gemacht. Da ist er im Nationalpark Bayerischer Wald natürlich genau richtig. Wir haben uns unter anderem darüber unterhalten, was Wirtschaftswälder von Schutzgebieten lernen können.“ Alle seine Erfahrungen will Klamer nach Abschluss seiner 6.000-Kilometer-Wanderung gebündelt in einem Buch veröffentlichen und entsprechende Vorträge dazu halten.
Der ganzheitliche Aspekt ist das eine, der persönliche das andere. Denn für den 54-Jährigen ist die XXL-Wanderung eine willkommener Ausbruch aus dem Alltag – aber auch eine Zeit der Entbehrungen, die Luxus wieder zu Luxus werden lässt. Zum Auftakt am 26. Februar ging es gleich beschwerlich los. Während er seine Liebsten („Sie kennen mich wie ich bin“) in der mit jedem Schritt weiter entfernten Heimat zurückließ, verbrachte Gerald Klamer bei eisigen Temperaturen seine ersten Tage und Wochen unter freien Himmel – und dies ohne provisorisches Dach über dem Kopf. „Wild-Zelten ist hierzulande verboten. Daran halte ich mich. Ich habe nur eine Plane, um mich zuzudecken.“
Einmal in der Woche braucht’s eine Unterkunft
Doch nicht nur in Sachen Schlafstätte ist Improvisation gefragt. Eigentlich ist der ehemalige Forstbeamte bis zum geplanten Ende seiner Tour im November gewissermaßen in jeder Lebenslage unabhängig, aber auch einigermaßen abhängig. Er hat nur das dabei, was er tragen kann. Dazu zählen einige wenige Kleidungsstücke, sein Laptop, sein Handy sowie Proviant für ein paar Tage.
Da ein Kocher zu schwer ist, bleibt die Küche kalt. Zum Wäschen waschen, Akku aufladen und Einkaufen muss er sich immer wieder mal neu orientieren. „Einmal die Woche brauche ich eine fest Unterkunft, um alles auf Vordermann zu bringen“, berichtet Klamer. Manchmal logiert er deshalb in einem Hotel, was jedoch nur sehr selten vorkommt. Immer öfter wird er eingeladen von den jeweiligen Gesprächspartnern – oder auch mal von Lesern seines Blogs, die ihn auf diese Art und Weise unterstützten möchten.
So ein Leben in freier Natur hat sicher seine Vorteile. Klamer erlebt Momente mit Flora und Fauna, die nur wenigen Menschen vergönnt sind. Der 54-Jährige entflüchtet so auch dem sich immer schneller drehenden Hamsterrad unserer Gesellschaft. „Tägliche Nachrichten bekomme ich eigentlich nur sehr selten mit. Aber so schlecht ist das gar nicht.“ Während sich der Großteil der Bevölkerung mit mehr oder weniger wichtigen Dingen auseinandersetzt, findet der Hesse mit jedem Kilometer mehr zu sich selbst und seiner unmittelbaren Umgebung. Angst in der Fremde des Waldes verspürt er deshalb nicht – obwohl etwa Wegekreuze, die an von Räubern gelynchten Menschen in grauer Vorzeit erinnern, durchaus für nachdenklich Momente sorgen.
Kleinere Wehwehchen? „Da muss man durch“
Doch Gerald Klamer will positiv denken. „Der Großteil der Menschen ist friedlich. Und die Tiere – selbst die Wildschweine und Wölfe – fürchten sich mehr vor mir als ich vor ihnen.“ Natürlich hat der Wanderer aber auch Notfall-Pläne entwickelt – wobei sich diese hauptsächlich auf Verletzungen oder Krankheiten konzentrieren. Glücklicherweise kam es bisher nicht zu diesen Ausnahmesituationen. Und kleinere Wehwehchen auf den durchschnittlich 30 bis 40 Tageskilometern? „Kommen öfter vor. Doch da muss man einfach durch.“
Helmut Weigerstorfer
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