Haidmühle. „So wird Haidmühle das Bad Wörishofen im Woid“ titelt die Lokalzeitung und lobt im folgenden Text das Tourismuskonzept von Bürgermeister Heinz Scheibenzuber über den grünen Klee (oder besser: über das grüne Band). Auch in der „großen Politik“ kommt es gut an, dass der Grenzort im Bayerischen Wald zur Kneippgemeinde werden will. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger machte unlängst extra einen Abstecher nach Haidmühle, um den Scheck über satte 108.000 Euro Fördersumme zu überreichen. Doch: Was bringt’s am Ende?
Wenn schon der Vergleich zum schwäbischen Kneippkurort herangezogen wird, dann bitte schön aber auch folgende Tatsache erwähnen: Dort gibt es nicht nur Kneippanlagen. Zehn Cafés, vierzehn Restaurants und achtzehn Hotels listet die Webseite von Bad Wörishofen auf. Zehnmal mehr Einwohner als die gesamte Gemeinde Haidmühle hat jene Stadt im Landkreis Unterallgäu. Zudem findet sich dort Thermalwasser: Der Erbauer der Erdinger Therme eröffnete hier im Jahr 2004 eine riesige Thermenlandschaft, dem Vorbild in Erding sehr ähnlich und ganz auf das Thema Kneipp abgestimmt. Und nebenbei bemerkt: Der Bürgermeister von Bad Wörishofen hieß damals Klaus Holetschek…
Was kann für Haidmühle als Kneippgemeinde rausspringen?
In der Bayerwald-Gemeinde dagegen schloss vor knapp zwei Jahren mit dem Haidmühler Hof eines der letzten größeren Hotels im Ort seine Pforten. Auch in Sachen Gastronomie sieht es eher düster aus: Wer mittags auf der Suche nach Essbarem durch den Ort streift, der hat nicht mehr viele Möglichkeiten zur Einkehr. Der Weg scheint also ziemlich weit, wenn man das „Bad Wörishofen im Woid“ werden will, wie der Schreiberling der Lokalzeitung da im Überschwang hinausposaunt…
Gute Werbung und Aufschwung in Sachen Tourismus hat die Grenzgemeinde jedenfalls dringend nötig. Und Tourismus-Potenzial ist durchaus vorhanden – das hat Neu-Bürgermeister Scheibenzuber wohl ganz richtig erkannt. Die vielen kleinen Bächlein mitten im Wald, die idyllisch dahinplätschern. Glasklares, eiskaltes Wasser. Ideal zum Kneippen. Ruhe und gute Luft. Das zu vermarkten, liegt auf der Hand. Scheibenzuber ist so überzeugt von seiner Idee der Kneippgemeinde, dass er sie schon ein Jahr nach Amtsantritt tatkräftig Realität werden lässt. Es kann ihm nicht schnell genug damit gehen, so scheint es.
Ein Traum wäre es, wenn Haidmühle durch das Prädikat „Kneippgemeinde“ nur einen Bruchteil der Tourismuserfolge erreichen würde, die Bad Wörishofen zu verzeichnen hat. Was aber kann für Haidmühle wirklich dabei herausspringen?
Erholungswert – für die hiesigen Bürger…
Die bestehenden Betriebe können nur gewinnen. Denn wer die schönen neuen Kneippanlagen besucht, der will danach auch etwas essen und trinken. Oder sogar mehrere Tage hier bleiben, um den Wald, die Natur, das Kneippen noch mehr zu genießen.
Doch wird es die Gemeinde durch das neue Kneipp-Konzept schaffen, im Bereich Gastro und Hotellerie wieder mehr zu bieten, auch neue Betriebe anzulocken? Dass sich wieder ein Wirt traut und sagt: Hier mach ich mein Restaurant auf. In einem ziemlich abgelegenen Eck des Bayerischen Waldes. Dass es noch mehr Leute wie Familie Schönberger gibt, die sagen: Wir schaffen hier Möglichkeiten für anspruchsvolle Gäste, bauen Chalets mit Wellnessangebot.
Gastro- und Hotelbetriebe gehören standardmäßig zur touristischen Infrastruktur, die ein Ort benötigt, um aus kostenlosen Angeboten wie den Kneippanlagen Kapital für die Gemeinde zu schlagen. Ohne diese Betriebe wird sie nicht viel mehr von den Kneippeinrichtungen haben als einen gewissen Erholungswert für die hiesigen Bürger – und ein paar Mehreinnahmen aus Parkgebühren.
Wenn der Wald zur Toilette wird…
Dass man im Ortsteil Frauenberg schon bald an der neuen Kneippanlage auf Barfußpfaden wandeln und „Waldbaden“ kann, klingt vielversprechend. Das wird viele locken, die am nahe gelegenen Adalbert-Stifter-Radweg unterwegs sind. Das Kneipp-Angebot macht es dann auch legitimer, dass der Parkplatz in der Nähe gebührenpflichtig ist. Menschen in den Wald zu ziehen, führt aber auch zu gewissen Problemen.
Was macht der Waldbadende, wenn er auf Toilette muss? Wenn der Wald ein Badezimmer ist, kann ich ihn ja auch als Naturtoilette benutzen, denkt er sich wohl. Klingt etwas sarkastisch, ist aber Realität. Als vor wenigen Wochen der Schnee im Wald hinter dem neuen Parkplatz am Frauenberger Loipenzentrum schmolz, kamen hässliche Hinterlassenschaften all derjenigen Langläufer zu Tage, die keine andere Möglichkeit hatten, als schlicht und einfach hinter dem nächsten Baum ihr Geschäft zu verrichten. Die Papiertaschentuch-Haufen im Wald waren so zahlreich wie eklig.
Was soll er auch tun, der Tagestourist? Aus Passau oder gar Deggendorf angereist, zahlt er einen Euro pro Stunde für den Parkplatz. Eine Toilette steht dafür aber nicht zur Verfügung. Wenn also der Bauch zwickt und die Heimreise noch lang ist, dann klingelt der Tagestourist erstmal höflich an der nächsten Haustüre. Frauenberger berichten von nicht wenigen derartigen Fällen in den vergangenen Monaten. Wenn aber niemand die Tür öffnet? Was dann? Dann bleibt einem nur der Wald…
Zur touristischen Infrastruktur gehören auch Toiletten
Ein Tourismuskonzept – das ist mehr, als nur sieben Kneippanlagen zu schaffen. Ein Konzept beinhaltet auch die dazugehörige Infrastruktur. Die Parkplätze, die im Herbst gebaut wurden (oder bereits existierten) und nun kostenpflichtig wurden, sind das eine. Doch auch Möglichkeiten, seine Notdurft zu verrichten, gehören eigentlich dazu…
Der Vorschlag wurde in der jüngsten Gemeinderatssitzung bereits diskutiert. Einwand des Bürgermeisters: Toilettenanlagen sind mit Kosten verbunden, da selbst ein Plumpsklo regelmäßig geleert werden müsse. Die bisher eingetriebenen Parkgebühren müssten aber nun erstmal dafür verwendet werden, um die Parkautomaten abzuzahlen. Und im mehr als 150.000 Euro veranschlagten Budget für die Kneipp-Gemeinde scheinen Toiletten nicht vorgesehen zu sein…
Alternativvorschlag des Bürgermeisters: Schilder aufstellen, die darauf hinweisen, dass man doch bitte nicht den Wald als Toilette benutzen solle. Schilder! Zusätzlich zu den mehreren Dutzend anderen, die darauf aufmerksam machen, dass die Parkplätze kostenpflichtig sind, wo man den Parkautomaten findet, dass an anderen Stellen Parkverbot herrscht etc. pp.
Gibt es bald wenigstens wieder ein Schwimmbad?
Schilder soll es übrigens auch an den sieben Kneippanlagen geben. Und Schilder gibt es bereits überall in der Gemeinde verstreut: Sie gehören zum so genannten KulturLandschaftsMuseum. Das Planungsbüro FNL, das für „KuLaMu“ und Kneipp-Konzept verantwortlich zeichnet, scheint ein Schilder-Fan zu sein.
Wenn FNL-Chef Obermeier in ein paar Jahren Hubert Aiwanger eine persönliche Führung durch die Kneippgemeinde geben will, dann kann er ihm hoffentlich mehr zeigen als ein paar neue Infotafeln und sieben schöne Kneippanlagen. Dann kann er ihn im Idealfall zum Essen einladen – in ein neues Gasthaus. Und Bürgermeister Heinz Scheibenzuber kann im Idealfall mit Stolz vermelden, dass ein Investor gefunden worden ist, der das marode Haidmühler Schwimmbad wieder in Betrieb nehmen möchte – und er zuversichtlich ist, dass sich auch bald wieder ein größeres Hotel in der „Gemeinde am Grünen Band Europa“ ansiedeln wird.
Erst dann – aber wirklich erst dann – ist daran zu denken, dass Haidmühle irgendwann zum „Bad Wörishofen im Woid“ werden könnte. Und falls er das alles schaffen sollte, steht Heinz Scheibenzuber bestimmt eine noch steilere Karriere bevor als einem gewissen Klaus Holetschek aus besagtem Kneippkurt im Unterallgäu…
Kommentar: Sabine Simon
Mit der Vision einer Kneipp-Gemeinde hat Bürgermeister Heinz Scheibenzuber ein verhältnismäßig kostengünstiges touristisches Konzept vorgelegt, das bestehende Strukturen (Kneipp-Anlagen, -Kindergarten, -Verein) aufgreift, einen harmonischen Bogen durch alle Gemeindeteile – von Frauenberg bis Schwarzenthal – spannt und zudem den aktuellen Zeitgeist einfängt.
Wie die Autorin richtig schreibt, ist die Gemeinde Haidmühle auf eine Besserung der touristischen Situation angewiesen. Umso befremdlicher wirkt die negative Konnotation des Artikels, die dem Tempo, das bei diesem Projekt vorgelegt wird, sowie dem Projekt selbst anhaftet. Genüsslich wird sich über einen Vergleich aus „der Lokalzeitung“ lächerlich gemacht, der die offensichtliche Parallele zu Bad Wörishofen zieht: den Fokus Kneipp. Die Verfasserin legt diesen Vergleich vorsätzlich falsch aus und zeigt die vermeintlich erschreckenden Unterschiede zwischen den Gemeinden auf. Dass ein gut etablierter Tourismus-Ort mit der zehnfachen Einwohnerzahl über ein hervorragendes Aufgebot an Hotellerie und Gastronomie verfügt, ist wahrlich keine bahnbrechende Neuigkeit. Damit die Ansiedlung neuer touristischer Betriebe in weniger gut gestellten Gemeinden wie Haidmühle mit der Zeit gelingen kann, muss zuerst eine Infrastruktur geschaffen werden, die eine solche Ansiedlung auch begünstigt. Das Verständnis für diesen simplen logischen Zusammenhang scheint dem „Schreiberling“ leider zu fehlen.
Der Aufbau eines Netzes aus sieben Kneipp-Anlagen stellt einen wichtigen ersten Schritt zur Förderung des Tourismus dar. Dass nach einem ersten Schritt auch ein zweiter folgen wird und gerade eine finanziell schwach aufgestellte Gemeinde keine großen Investitionen ohne Förderung tätigen kann, scheint die Autorin gekonnt zu ignorieren. Stattdessen bemängelt sie die vermeintliche Lückenhaftigkeit des Konzepts, das ihrer Ansicht nach ja nicht einmal diese Bezeichnung verdient hätte, aufgrund fehlender Toiletten. Mit dem Bau der Kneipp-Anlagen und dem Hinarbeiten auf das Prädikat „Kneippgemeinde“ werden Investitionen getätigt, die nicht nur auf kurzfristige Vorteile wie einen erhöhten Erholungswert und verstärktes Tagestourismus-Aufkommen, sondern auch auf mittel- und langfristige Erfolge abzielen. Zu Letzteren gehört eben auch die Ansiedlung beziehungsweise Wiedereröffnung von Gaststätten und Hotels, welche nicht von heute auf morgen geschehen kann. Durch den Umstand, dass die Verfasserin die Möglichkeit zukünftiger Investitionen in die Infrastruktur nicht einmal in Betracht zieht, unterstellt sie Herrn Scheibenzuber eine Kurzsichtigkeit, die angesichts der gegenwärtigen Fortschritte jeglicher Grundlage entbehrt.
Der vorliegende Kommentar hinterlässt beim Lesen den faden Beigeschmack eines verzweifelten Versuchs, die verhasste „Lokalzeitung“ und ein scheinbar der Verfasserin unliebsames Gemeindeoberhaupt zu diffamieren. Bessere Alternativen zu dem ihr mangelhaft erscheinenden Konzept bleibt diese schuldig. Den „guten Journalismus“, den sie in den Facebook-Kommentaren zu diesem Artikel vollmundig einfordert, sucht man in den Zeilen ihres Textes vergeblich.
Tja, ähem, öha. Ich Dank dir, Gabriel, mit dieser dezidierten Auseinandersetzung mit dem Problem. Wir brauchen Hoffnung, Startschüsse und ..Parkgebühren, weil’s halt sein muss. Keine Stänkerer, die ständig das Haar in der Suppe suchen, schlecht informiert sind und destruktive Stimmung verbreiten. Im regionalen Tourismus gehts aufwärts, die Gegend ist wieder attraktiv, auch ohne Hallenbad. Andere Werte zählen, und das wissen wir „Eingebohrenen“. Sie sollten das endlich erkennen, Frau Simon.
‚Ein Traum wäre es, wenn Haidmühle durch das Prädikat „Kneippgemeinde“ nur einen Bruchteil der Tourismuserfolge erreichen würde, die Bad Wörishofen zu verzeichnen hat.‘ So steht es im Artikel und genau das wünsche ich der Gemeinde Haidmühle: Dass sie ein Projekt gestartet hat, das langfristig zum Erfolg wird.
Das kann in meinen Augen allerdings nur dann gelingen, wenn ein Konzept verfolgt wird, das über den Bau von einigen Kneippanlagen hinausgeht. Sollten diese weiteren Schritte erfolgen, sollte ein Gesamtkonzept entstehen, das die touristische Attraktivität der Gemeinde steigert, dann ist alles wunderbar.
Die parallel laufenden Aktionen der Gemeinde in Sachen gebührenpflichtiger Parkplätze erwecken allerdings einen anderen Eindruck. Parkplätze und andere Infrastruktur scheinen völlig losgelöst vom Kneippgemeinde-Konzept zu sein bzw scheint das Kneippgemeinde-Konzept (für das nun die Förderung bewilligt wurde) diese Art von Infrastruktur nicht zu beinhalten, sondern eben lediglich den Bau der Kneipp-Anlagen selbst.
Dass die Gemeinde eine Förderung benötigt, um neue touristische Angebote bauen zu können, ist sonnenklar. Allerdings sollte man sich nicht von Förderprojekt zu Förderprojekt hangeln, sondern jetzt schon klar machen, was denn diese Förderung langfristig bringt.
Nähere Informationen zu den Zukunftsplänen und zu allem, was über den Bau der Kneippanlagen hinausgeht, sind aber leider nicht zu bekommen: Der Bürgermeister beantwortet keine Fragen, im Gemeindeblatt steht dazu nichts und in der Lokalpresse werden diese Fragen eben gar nicht erst aufgeworfen.
Zweiter wichtiger Punkt, damit das Kneippkonzept ein Erfolg wird, ist aber das Marketing, die Kommunikation nach außen. In dieser Hinsicht sollten die „Eingebohrenen“ (sic!) auch mal über den Tellerrand hinausschauen und sich überlegen, wie momentan ein Tagestourist begrüßt wird, der in die Gemeinde kommt: Mit einem Wust aus Schildern, auf denen er erstmal kapieren muss: Wo steht überhaupt ein Parkautomat?
Genau wie das leidige Thema Parken und die Besucherlenkung rund um den Dreisessel hoffentlich irgendwann gemeindeübergreifend und für Touristen und Einheimische optimal gelöst wird, wird das Kneipp-Konzept zukünftig hoffentlich ein klar erkennbares, gut kommuniziertes Gesamtkonzept.