2017 durfte sich Regen erstmals Fairtrade Landkreis nennen. Heuer soll eine weitere Rezertifizierung erfolgen.

Regen. 2017 erhielt Regen als erster Landkreis in Niederbayern die Auszeichnung Fairtrade Landkreis. Auch in diesem Jahr strebt er nach 2019 zum zweiten Mal diese Zertifizierung an. Doch was bedeutet dieser Titel überhaupt? Wie bekommt man ihn? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen? Und: Ist fairer Handel nicht nur eine Illusion? Gudrun Reckerziegel, Koordinatorin für Kommunale Entwicklungspolitik im Landkreis Regen, gibt im Hog’n-Interview Antworten auf diese Fragen.

Frau Reckerziegel: Der Landkreis Regen bewirbt sich 2021 neuerlich um das Siegel „Fairtrade Landkreis“. Wie wahrscheinlich ist es, dass dieses Ziel auch heuer erreicht wird?

Trotz Corona-Pandemie ein vielfältiges Programm

Ich gehe davon aus, dass der Landkreis die Titel-Erneuerung als Fairtrade-Landkreis Regen auch in diesem Jahr durch Fairtrade Deutschland e.V. erhalten wird. In den vergangenen zwei Jahren konnten unter anderem viele Maßnahmen zum Fairen Handel durchgeführt werden. So fand in Teisnach zum Beispiel der fair-regionale Markt statt. Im September 2020 konnten wir trotz der Corona-Pandemie zudem ein vielfältiges Programm im Rahmen der Fairen Woche abhalten. Außerdem war die Stadt Viechtach vor Jahresfrist Gastgeber für das Vernetzungstreffen der niederbayerischen Fairtrade-Towns. Es haben auch Schulungen zum Thema Faire Beschaffung stattgefunden. Insgesamt blicken wir der Rezertifizierung daher positiv entgegen. Denn: Wir haben auch für die kommenden Jahre viele Ideen in petto, auf deren Umsetzung wir uns bereits freuen.

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Für die Bewerbung ist die Erfüllung von fünf Kriterien notwendig. Eines davon besagt, dass im Einzelhandel und in der Gastronomie mindestens zwei fair gehandelte Fairtrade-Produkte angeboten werden sollen. Welche zwei Produkte sind dies etwa im Kulinarischen Schaufenster Zwiesel oder in der ÄDÄM’s Cocktailerie in Frauenau, zwei von mehreren Fairtrade-Partnern des Landkreises?

Fairtrade-Expertin bei der Arberland REGio GmbH: Gudrun Reckerziegel. Foto: Arberland

Was die Produkte in der Gastronomie und im Einzelhandel angeht, werden die verschiedensten Varianten angeboten. Beispielsweise verwendet das ÄDÄM’s in Frauenau fair gehandelten Kaffee sowie fair gehandelten Rohrzucker. Bei Aktionen wie der Fairen Woche werden sogar faire Cocktails mit den entsprechenden Fruchtsäften angeboten. In weiteren Geschäften wie dem Kulinarischen Schaufenster Zwiesel gibt es unter anderem auch Brotaufstriche aus fairen Produkten sowie Schokolade und den Kaffee ARBERabica käuflich zu erwerben. Wir freuen uns, dass immer mehr engagierte Einzelhandelsgeschäfte und Betriebe Fairtrade-Produkte in ihr Sortiment aufnehmen. Das neueste Mitglied unserer Fairtrade-Familie ist zum Beispiel der Nationalparkladen unter neuer Leitung im Haus zur Wildnis – mit Waren wie Tee, Schokolade, Schmuck und vieles mehr.

Es geht dabei vor allem darum, mit kleinen Schritten auf die Thematik aufmerksam zu machen. Daher entwerfen wir derzeit auch einen Fair-regionalen Einkaufsführer, der die entsprechenden Verkaufsstellen im Landkreis aufzeigen soll. Die regionale Komponente denken wir dabei natürlich auch immer mit. Beispielsweise macht es in unseren Augen wenig Sinn, Äpfel oder Honig aus Übersee zu beziehen. Diese Produkte können auch lokal bezogen werden.

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In der Realschule Viechtach gibt’s einen Fair-o-maten

Welche Fairtrade-Produkte sind generell im Landkreis Regen derzeit käuflich zu erwerben?

Das Spektrum an fair gehandelten Produkten ist groß – hierfür lohnt sich auf jeden Fall auch ein Blick in einen unserer vier Weltläden im Landkreis: in Böbrach, Rinchnach, Viechtach und Zwiesel. Dort findet man eine Vielfalt von Lebensmitteln aus aller Welt. Von Tee und Kaffee über Schokolade, Nüsse, Orangensaft, Gewürze oder Wein über Kunsthandwerk wie Taschen oder Schmuck bis hin zu Sportartikeln oder Spielwaren. Alle Lebensmittel stammen überwiegend aus ökologischem Anbau und werden natürlich verarbeitet. Weitere Produkte findet man bereits auch in Verkaufsstellen wie dem Kulinarischen Schaufenster oder in Supermärkten – viele Eigenmarken bieten hier unter anderem Lebensmittel oder Textilien mit dem Fairtrade- oder GEPA+ Siegel an. Selbst zahlreiche Discounter bieten mittlerweile fair gehandelte Produkte an.

Die Fairtrade-Steuergruppe des Landkreises Regen kümmert sich um die Voraussetzungen, die für die Zertifizierung erfüllt werden müssen. Foto: Arberland

Wie gestaltet sich konkret die Verwendung von Fairtrade-Produkten in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Vereinen und Kirchen, einem weiteren Kriterium für das Fairtrade-Siegel?

Je nach Einrichtung gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich für den Fairen Handel einzusetzen. In Kirchen beispielsweise durch den Verkauf nach Gottesdiensten oder Spendenaktionen. Genauso wie durch einen Pausenverkauf an Schulen, faire Fußbälle in Sportvereinen oder Aktionen wie Fairtrade-Blumen zum Valentinstag. Die Staatliche Realschule Viechtach hat sogar seit letztem Jahr den ersten Fair-o-maten im Landkreis. Darunter versteht man einen Lebensmittelautomaten mit fairen Produkten. Weitere Schulen haben gemeinsame Projekte mit den Weltläden ins Leben gerufen – das Ganze soll Kinder früh für nachhaltigen Konsum sensibilisieren. In Fairtrade-Schulen wird beispielsweise auch eine bestimmte Anzahl an Unterrichtsstunden im Jahr für Bildungseinheiten zum Fairen Handel genutzt.

Wer bestimmt, was fair gehandelt worden ist?

Auf der ARBERLAND-REGio-GmbH-Website ist zu lesen: „Ziel ist es, Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen und gerechte Handelsbeziehungen auf lokaler Ebene zu stärken.“ Wie ist dieses Ziel zu erreichen? Und wie schwierig gestaltet sich dieses Vorhaben?

Wir haben hier bereits einige Formate entwickelt, um durch Öffentlichkeitsarbeit gezielt auf Möglichkeiten aufmerksam zu machen, wie bewusster Konsum möglich sein kann. Dazu finden unter anderem regelmäßig digitale Vortragsreihen, Betriebsführungen oder Schulprojekte statt. Und auch die Produktion eines Imagefilms sowie der Broschüre „Wegweiser nachhaltiger Konsum im ARBERLAND“ sind derzeit in Planung. Ein derzeit noch digitaler Stammtisch zu verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen ist ebenfalls angedacht. Alle Bürger im Landkreis können wir dadurch zwar nicht sofort erreichen. Aber das Ganze muss man wirkungsorientiert sehen, das ist ein langer Prozess.

U.a. im Kulinarischen Schaufenster „Schmankerl aus der Region“ in Zwiesel gibt es faire Produkte. Foto: Hog’n-Archiv

In diesem Jahr wird zudem eine Nachhaltigkeitsstrategie für den Landkreis erstellt, die auch das Thema „Nachhaltiger Konsum“ im Fokus haben wird. Generell beobachten wir, dass sich in diesem Bereich bereits viel tut – auch durch die Pandemie achten viele Verbraucher mehr denn je darauf, welche Produkte sie kaufen und woher diese kommen. Zum Beispiel ist die Nachfrage an regionalen Produkten erheblich gestiegen. Einige Mensen und Kantinen im Landkreis nehmen mehr regionale Produkte in ihrer Küche auf.

Fairer Handel, faire Produkte – wer bestimmt eigentlich, was fair gehandelt worden ist? Und: Wer kontrolliert das Ganze?

Um den Unterschied zwischen konventionellen Produkten und fair gehandelten bestimmen zu können, gibt es bestimmte Kriterien, die eingehalten werden müssen. Zunächst ist anzumerken: Fair ist keine geschützte Bezeichnung, weshalb jeder sein eigenes Zertifikat auflegen kann. Auf einige Siegel kann man jedoch vertrauen.

Alles nur Schönfärberei?

Ein Beispiel dafür ist Fairtrade Deutschland e.V.: Der Verein betreibt Lobbyarbeit gegen Handelsungerechtigkeiten und für fairen Handel. Er schließt Lizenzverträge mit Handelspartnern ab, die nach Fairtrade-Standards gehandelte Produkte anbieten. Damit bei den Produzenten und Händlern alles korrekt läuft, kontrolliert die Zertifizierungsgesellschaft „FLOCERT“ vor Ort, ob die sozialen, ökonomischen und ökologischen Standards erfüllt werden. Dabei achtet man auf die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).

Müssen es Lebensmittel aus Übersee sein? Können wir nicht Honig aus dem Bayerischen Wald beziehen?

Alle drei Jahre gibt es zum Beispiel eine Kontrolle, um das Fairtrade-Siegel zu erneuern. Dazu werden neben den Produzenten in den Herkunftsländern auch weiterverarbeitende Unternehmen und alle Händler sowie Zwischenhändler entlang der gesamten Wertschöpfungskette überprüft. Doch auch zwischendurch findet mindestens eine unangekündigte Kontrolle bei den Unternehmen statt. Die PrüferInnen besichtigen bei den Kontrollen zum Beispiel die Betriebe vor Ort und führen Interviews mit den MitarbeiterInnen. Die genaue Vorgehensweise ist im Internet einsehbar.

Kritiker behaupten, dass „fairer Handel“ nur eine Illusion und eine Art Schönfärberei sei. Die globalen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden einen fairen Handel schlichtweg unmöglich machen. Gewisse Punkte (intransparente Handelsbeziehungen, ungeregelte Arbeitsbedingungen, umweltbelastander Anbau etc.) werde es immer geben, die eben nicht fair vonstattengehen würden. Was entgegen Sie jenen Stimmen? Ist alles letzten Endes eine „Vertrauenssache“?

„Wir können mit unserem Einkauf ein Statement setzen“

Dies ist meines Erachtens eine subjektive Behauptung, welche ich in dieser Form nicht beurteilen kann. Fairer Handel ist zunächst einmal eine Idee. Die Idee, dass Handel gerechter sein sollte – nicht nur in Ländern des globalen Südens, sondern auch bei uns in der Region.

Daher würde ich generell festhalten, dass wir alle mit unserem Einkauf auch ein Statement setzen können. Beim nächsten Einkauf können wir vielleicht einfach genauer auf die Produkte schauen und überlegen: Brauchen wir Erdbeeren im Winter, brauchen wir Äpfel und Kartoffeln aus Übersee? Oder können wir z.B. auch Äpfel aus dem Lallinger Winkel oder Honig aus dem Bayerischen Wald beziehen? Sich über zuverlässige Siegel informieren und vieles mehr – wir alle können als Privatpersonen schon viel bewirken und ich hoffe, dass wir auch im Rahmen der Fairtrade-Towns Bewegung weiterhin mehr Bürgerinnen und Bürger dazu animieren und motivieren können.

Vielen Dank für die Antworten und alles Gute für die Zukunft.

Interview: Stephan Hörhammer


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Nachhaltigkeit beginnt bei uns – jetzt Aktion anmelden. Vom 19. Juli bis 1. August finden in diesem Jahr die ersten landkreisweiten Nachhaltigkeitswochen im ARBERLAND statt.


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