Eppenschlag. Er wohnt erst seit fünf Jahren im Bayerischen Wald und betreibt hier einen Ferienbauernhof. Seit Mai 2020 ist er Bürgermeister von Eppenschlag, der 1000-Einwohner-Gemeinde ganz am Rande des Landkreises Freyung-Grafenau. Vierzig Jahre lang war der 69-Jährige Hotelier: Er führte ein Hotel in Bad Urach auf der Schwäbischen Alb und war zwölf Jahre Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Baden-Württemberg. Im Hog’n-Interview erzählt Peter Schmid, wie schwierig es ist, von der Privatwirtschaft in die Verwaltung einer Gemeinde zu wechseln, welche Projekte auf seiner Agenda ganz oben stehen und wie er Eppenschlag zum „Genussdorf“ machen will.
Herr Schmid: Wie kam es dazu, dass Sie Bürgermeister von Eppenschlag wurden?
Ich saß in einem Gasthaus in Eppenschlag, wir haben uns unterhalten und ich habe gefragt: Habt ihr denn gar keinen Bürgermeisterkandidaten? Dann sagt einer zu mir: Doch, wir haben schon einen. Und ich darauf: Das freut mich. Darf ich erfahren, wen? – Das bist du, haben sie gesagt. Und so ist das alles ins Rollen gekommen. Für mich war das unfassbar, weil ich ja ein gewisses Alter habe und zudem einen wunderschönen Ferienhof. Und jetzt noch Bürgermeister? Aber ich habe kandidiert – und ich wurde mit 77 Prozent gewählt.
„Ich bin angekommen und habe gesagt: Das ist es“
Wie hat es Sie überhaupt in den Bayerischen Wald verschlagen?
Man ist 40 Jahre lang sehr aktiv, hat alles erreicht und freut sich dann auf viel Natur. Natur war mir sehr wichtig. Ich wollte ins Mittelgebirge oder Gebirge. Oberbayern hätte es genauso werden können. Oder das Allgäu, der Hochschwarzwald oder Oberösterreich. Ich hatte gewisse Zielvorstellungen, wollte kein Hotel mehr, kein Restaurant mehr. Ich wollte aber noch Gäste, also Ferienwohnungen. Und ich wollte Pferde. Pferde hatte ich schon immer – und habe sie hierher mitgebracht.
Wir haben in den genannten Destinationen gesucht und wurden nicht fündig. Dann sage ich zu meiner Frau: Jetzt fahren wir einfach mal in den Bayerischen Wald. Wir hatten da ein paar Angebote und stießen gleich am ersten Tag auf diesen Hof. Ich bin hier angekommen, in diesem schönen Ferienhof mit Stallungen und Ferienwohnungen, und habe zu meiner Frau gesagt: Ich glaube, das ist es. Erst dann habe ich gefragt, was es kostet. Es war bezahlbar.
Sie haben sich schnell hier eingelebt, wenn man Sie nach vier Jahren bereits gefragt hat, ob sie als Bürgermeister kandidieren wollen, oder?
Ja. Ich bin in drei Vereinen Mitglied, bin durch meine Kutschfahrten bekannt geworden. Auch der Landrat hat mitbekommen, dass ich im baden-württembergischen Hotel- und Gaststättenverband sehr aktiv war. Er hat mich auch mal eingeladen und ich war bei Tourismusveranstaltungen dabei. Ich hatte also bereits ein kleineres Netzwerk aufgebaut. So hat sich das ergeben.
„Da muss man sich reinknien“
Wie schwierig war es für Sie, als Bürgermeister Fuß zu fassen – ohne Erfahrung in der Lokalpolitik?
Man wird als neuer Bürgermeister erstmal mit allen Themen konfrontiert und muss sich einarbeiten, seinen Gemeinderat kennenlernen. Man lernt dann auch viele Bürgerinnen und Bürger kennen. Außerdem sind wir in einer Verwaltungsgemeinschaft mit Schönberg eingebunden. Um dieses gesamte Konstrukt zu verinnerlichen, braucht man lang. Ich bin jetzt zehn Monate im Amt, kenne mich bereits sehr gut aus, aber ich kenne bei Weitem noch nicht alles. Das ist nicht ganz so einfach. Da muss man sich reinknien.
Kommunalpolitik ist vollkommen anders als die freie Wirtschaft. Ich hatte ein relativ großes Hotel. Dort wird entschieden – und es wird getan. In der Kommunalpolitik kann man auch entscheiden – aber es dauert. Monate. Vierteljahre. Ein Jahr. Das ist kein Vergleich. Die Bürokratie ist nicht langsamer, aber die Gesetzgebung ist anders gestrickt. Es gibt Ausschreibungen, Bauleitplanungen…
Ihr Leitspruch ist: Verwalten hat Priorität, Gestalten braucht Kreativität.
Genau das ist es. Ich verwalte gerne. Egal, ob es um die Friedhofsatzung oder die Kläranlage geht, um Baugesuche oder um Straßensanierungen. Es ist unglaublich, wie groß das Spektrum beim Verwalten ist.
Das große Thema, das Sie nach Ihrem Motto „Gestalten braucht Kreativität“ angehen wollen, ist das „Genussdorf Eppenschlag“. Was steckt hinter diesem Slogan?
Altbürgermeister Karl Reith hat mit dem Kulturkreisvorsitzenden Rupert Kraft 2012 den Begriff „Genussdorf Eppenschlag“ europaweit schützen lassen. Da habe ich hinterfragt: Warum? Wir haben Giggerl, wir haben Haxen, frische Forellen, Sengzelten. Und wir haben schöne Natur und machen einmal im Jahr eine Genusswanderung mit 600 Gästen. Das ist schon gut. Ich finde aber, dieses Thema kann man noch viel weiter gestalten, es zum Alleinstellungsmerkmal im Bayerischen Wald machen. Mit einem klaren Marketingkonzept.
„Es geht um Wertschöpfung aus der Landwirtschaft“
Welche Ideen haben Sie da?
Wir würden gerne dieses Jahr noch den ersten Genuss- und Bauernmarkt eröffnen. Anders als beim Wochenmarkt mit regionalen Spezialitäten und mit Verköstigung. Und das jeden Freitag. Aber wie es aussieht, werden wir von Corona ausgebremst. Dann müssen wir eben auf nächstes Jahr vertagen.
Unser neues Gemeindeshaus soll mit Leben gefüllt werden. Im Zuge des Genussdorfes würde es sich anbieten, hier Workshops, Seminare und Kochvorführungen zu veranstalten. Alles zum Thema Genuss.
Es gibt beim Bayerischen Ernährungsministerium eine Genussakademie. Die habe ich kontaktiert und gefragt, ob es möglich ist, eine kleine, feine, regionale Genussakademie ins Gemeindehaus zu holen. Da nimmt man die VHS mit ins Boot, den Nationalpark, den Naturpark etc. Es geht dabei immer um regionale Produkte und Wertschöpfung aus der Landwirtschaft.
Dann haben wir ein leerstehendes Gebäude, ein altes Wirtshaus mit großem Saal. Dort planen wir eine regionale Bauernmarkthalle. Da geht sicher noch ein Jahr rum mit Planung. Das wäre ein weiteres Standbein für das Genussdorf. Ich möchte, dass die Landwirtschaft davon profitiert. Wir machen das Genussdorf für die Einheimischen, aber auch für die Touristen. Unsere Urlauber sollen tolle regionale Produkte aus Eppenschlag mit nach Hause bringen.
„Warum brauchen wir immer diese Toskanahäuser?“
Was sind weitere Themen, die Sie in den nächsten Jahren angehen wollen?
Wir möchten noch den Freizeitpark aktivieren. Ein neues Baugebiet kommt. Dies ist sehr wichtig für junge Familien. Ich möchte die Vereine unterstützen, wo es nur geht. Und ich habe in meiner Amtsperiode ein Gewerbegebiet in Planung, damit keine Firmen aus Eppenschlag abwandern. Auch die Dorferneuerung, die es vor 25 Jahren gab, kann man mit einer neuen Förderrichtlinie wieder aufleben lassen. Das gehört dazu, um Leerstände zu vermeiden.
Wie schwierig ist es denn für einen Bürgermeister, etwas gegen Leerstände zu unternehmen?
Ich konnte bereits zwei Leerstände aktivieren, für den dritten haben wir einen Käufer gefunden, der jetzt umbaut. Es geht nur dann, wenn man hingeht, anklopft, freundlich ist und sagt: Ich könnte euch helfen.
Über die Dorfentwicklung gibt es Förderrichtlinien, damit man den Besitzern dieses Altbestands etwa vorschlagen kann, ein Mehrgenerationenhaus daraus zu machen. Oder Wohnungen. Wir brauchen ja junge Leute, frischen Wind.
Deshalb soll es auch ein neues Baugebiet geben. Es soll ökologisch gestaltet werden. Wie schafft man das?
Wir können nicht alle vom Klimaschutz reden, wir müssen da auch dran denken, wenn wir ein neues Baugebiet machen. Das bedeutet: keine versiegelten Flächen, keine Gabionen, keine Steinwüsten. Anbau von Gehölzen aus der Region. Man muss nicht immer einen englischen Rasen haben, man kann auch mal Blühflächen ansähen. Man kann Zisternen bauen und Regenwasser verwenden. Vielleicht schaffen wir es, ein zentrales Hackschnitzelheizwerk zu generieren, dann heizen wir mit Energie aus unseren Wäldern. Bauen mit Holz wird ebenfalls gefördert. Warum brauchen wir immer diese Toskanahäuser? Wir können uns doch besinnen: Wie hat man früher im Bayerwald gebaut? Man hatte atmungsaktive und gleichzeitig gut gedämmte Häuser.
„Dann hat man mir von heute auf morgen die Schule geschlossen“
Ganz anderes Thema: Zum Jahreswechsel haben Sie sich ein dickeres Fell gewünscht. Warum?
Es klappt nicht immer, alles so zu erledigen, wie man es sich vorstellt. Der Gemeinderat ist kritisch, das ist ja auch richtig so. Zumal ich aus der freien Wirtschaft komme und sehr risikofreudig bin. Das kann zum Vorteil, aber auch zum Nachteil sein. Also ist es gut, wenn der Gemeinderat auch mal widerspricht.
Wahrscheinlich sind auch nicht alle Bürgerinnen und Bürger zu hundert Prozent mit meinem Auftreten zufrieden. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann sage ich es. Wenn einer die Straße verschmutzt, dann spreche ich das an. Und wenn einer sein Anwesen überhaupt nicht pflegt, dann muss ich als Bürgermeister eingreifen. Bei solchen Themen muss man robust sein. Wenn man das alles in sich rein frisst, kann man nicht mehr schlafen – und endet im Burnout.
Das andere ist: Ich bin Bürgermeister in einer Verwaltungsgemeinschaft. Auch da braucht man ein dickeres Fell. Dann hat man mir die Schule geschlossen von heute auf morgen. Das war alles andere als angenehm. Obwohl alle eigentlich gewusst haben, dass das kommen wird, weil es seit fünf Jahren im Raum steht. Aber es hat jetzt mich getroffen.
Wie bitter ist die Schulschließung für Eppenschlag?
Eine Schule ist elementar für einen Ort. Doch es hat einen Grund, warum sie geschlossen wurde: Die Schülerzahlen im Mittelschulbereich sinken seit Jahren. Das hatte zur Folge, dass die Schule in Schönberg, die auf 540 Schüler ausgelegt ist, derzeit nur 280 Schüler beschult. Da muss man fairerweise sagen: Wenn die Schüler von Schönberg hierher gefahren werden, nur damit die Schule mit den paar Schülern aus Eppenschlag erhalten bleibt, geht die Rechnung nicht mehr auf.
Für Eppenschlag ist es ein herber Schlag. Und jetzt liegt es am Bürgermeister, was Neues draus zu machen. Ich habe auch schon Ideen, verrate sie aber noch nicht. Ich bin sehr kreativ, mir wird was einfallen.
Ein Problem war auch, dass Gemeinderäte aus der Tageszeitung von der Schließung erfahren haben. Was ist da genau passiert?
Als ich von der Schließung erfahren habe, war ich erst einmal sehr geknickt. Ich habe gar keinen Mut gehabt, das gleich an meine Gemeinderäte weiter zu geben. Ich dachte, ich habe noch Zeit bis zum Montagabend, bis zur Sitzung. Natürlich hätte ich es gleich kommunizieren können. Aber dann hätten sie es auf ihrem Computer gehabt – und das Telefon hätte nicht mehr still gestanden. Oder ich hätte sofort eine außerordentliche Gemeinderatssitzung anberaumen müssen. Aber da ist man gar nicht Herr der Lage…
Ich habe natürlich jetzt auch dazugelernt: Das Negative kommt in der Presse sofort. Wenn ich was Gutes tue, kommt es später in die Zeitung. Ich weiß also in Zukunft: Wenn etwas Negatives passiert, muss ich sofort handeln, denn das Negative ist viel interessanter als das Gute.
„Öffentlichkeitsarbeit ist das A und O“
Apropos Berichterstattung: Sie haben das Gemeindeblatt ausgebaut und berichten darin detailliert über Ihre Arbeit. Wie wichtig ist die Öffentlichkeitsarbeit für einen Rathaus-Chef?
Das ist das A und O. Als Hotelier war ich es gewohnt, Marketing zu machen. Marketing ist ja nicht nur eine Zeitungsanzeige, Marketing ist allumfassend.
Ich muss Eppenschlag ein gewisses Image verleihen, will dem Ort eine Richtung, eine Philosophie geben. Kein Unternehmen ohne Philosophie kann meines Erachtens existieren. Ich muss wissen: Wo geht es hin. Und das kann ich mit Hilfe des „Gmoabladl“ peu à peu umsetzen. Ich hätte so gern schon eine Bürgerversammlung veranstaltet, Corona hat es jedoch verhindert. Unternehmernetzwerk und Jugendforum habe ich bereits aufgebaut.
Auch unsere Homepage wurde mit all denjenigen Themen bestückt, die aktuell sind. Und auf Facebook und Instagram sind wir auch. Die Kommunikation zum Bürger ist für mich sehr wichtig. Ich habe jetzt auch eine Bürgersprechstunde eingerichtet, das kommt richtig gut an.
„Corona wird vor allem wirtschaftlich Spuren hinterlassen“
Ausblick auf die nächsten fünf Jahre: Was wird sich ändern, wo wird es eventuell etwas schwieriger?
Corona hinterlässt seine Spuren. Wir müssen aufpassen, dass wir uns wieder öffnen, dass wir wieder so offen miteinander umgehen wie früher. Mir gefällt die Corona-Politik nicht. Ich kann es aber nicht ändern. Corona wird vor allem wirtschaftlich Spuren hinterlassen. Da habe ich gewaltige Sorgen. Es wird nicht einfach werden. Leider. Da wird mancher Wunsch des Bürgermeisters oder des Gemeinderates nicht in Erfüllung gehen. Aber in jedem Mangel steckt auch die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Der Mensch ist ja kreativ – und das ist das Schöne.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!
Interview: Sabine Simon