Grafenau. Die Kritik war immens, die da im Vorfeld der Delegiertenwahl zur Nominierung des Bundestagsdirektkandidaten auf die CSU-Führungsriege im Landkreis Freyung-Grafenau einprasselte. Insbesondere in den sog. Sozialen Medien quillte so manche Kommentarspalte regelrecht über vor Empörung. „Man darf seit knapp einem halben Jahr nicht in Restaurants mit ausgefeiltem Hygienekonzept? In keine Fitnessstudios mit Luftreinigungen UND Hygienekonzept ?! Aber ihr veranstaltet da diesen Mist, mit 160 Teilnehmern ?!„, war da etwa zu lesen. Und: „Wasser predigen und Wein trinken – ein absolutes NO GO.“ Oder noch etwas deutlicher: „So a bissal verarscht kommt man sich schon vor…“
Die Facebook-Debatte war deshalb entbrannt, die die Kreis-CSU unter Vorsitz des Freyunger Bürgermeisters und niederbayerischem Bezirkstagspräsidenten Dr. Olaf Heinrich ihre Mitglieder in Zeiten des Corona-Lockdowns zur Präsenzveranstaltung geladen hatte. Das Treffen wurde am vergangenen Samstag in der Grafenauer Dreifachturnhalle abgehalten. „Nach der Satzung der CSU muss diese in Präsenz stattfinden, um kein rechtliches Risiko einzugehen“, rechtfertigte sich Heinrich zuvor gegenüber der Lokalzeitung – und sprach von einem „in zahlreichen vergleichbaren Fällen bewährten Hygienekonzept“, das vom Gesundheitsamt genehmigt worden sei und u.a. eine FFP2-Maskenpflicht, eine Mindesabstandsregelung sowie Corona-Schnelltests für jeden Teilnehmer vorsah.
„Auch die Politik kann nicht pausieren“
Am Ende waren es mit 121 Kreisvertretern nicht ganz so viele wie erwartet. „Die Veranstaltung dauerte 27 Minuten und wurde unter Einhaltung strengster Hygienebedingungen und nach einem Schnelltest für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchgeführt“, teilt Bundeswahlkreisgeschäftsführerin Christine Oswald auf Hog’n-Nachfrage mit. Absagen habe es ihr zufolge „aus den verschiedensten Gründen“ gegeben. Aus welchen, darauf geht die Funktionärin nicht näher ein. Sie betont stattdessen noch einmal, was CSU-Kreischef Heinrich bereits erwähnte: „Wir haben Interesse an einer rechtssicheren Veranstaltung und haben uns daher – nach Genehmigung durch das Gesundheitsamt – für die Präsenzveranstaltung entschieden.“ Die konkrete Nachfrage nach einer alternativen Durchführungsform bleibt somit seitens der Christsozialen unbeantwortet.
„Dass nach einem Jahr Pandemie viele Menschen sehr unzufrieden sind, können wir nachempfinden“, teilt Oswald weiter mit. „Vielen von uns geht es nichts anders.“ Festzustellen sei jedoch auch: „Wir alle müssen arbeiten gehen. Auch die Politik kann nicht pausieren, schließlich steht die Bundestagswahl an.“ Aufstellungsversammlungen von politischen Parteien seien verfassungsrechtlich geschützt und unterstünden dem Bayerischen Versammlungsgesetz, „weshalb diese nach der derzeit geltenden Bayerischen Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung rechtlich zulässig sind“. Die Frage, ob die Kreis-CSU aufgrund des Vorgehens nun einen Image-Schaden befürchte, bleibt ebenfalls unbeantwortet.
Keine Teilnahme des Schönberger CSU-Ortsverbands
Zu denjenigen, die nicht bei der Nominierungsveranstaltung mit dabei waren, gehört etwa Martin Pichler, CSU-Ortsvorsitzender und Bürgermeister der Marktgemeinde Schönberg. Er habe sich persönlich am Vortrag bei Kreisvorsitzendem Heinrich entschuldigt und ihm mitgeteilt, nicht an der Versammlung teilzunehmen. „In diese Entschuldigung habe ich ausdrücklich alle Delegierten und Ersatzdelegierten des CSU-Ortsverbands Schönberg, sofern eine Teilnahme nicht erfolgt, eingeschlossen“, teilt er auf Hogn-Anfrage mit und ergänzt: „Soweit mir bekannt, hat der Vorstand des CSU-Ortsverbands geschlossen an der Versammlung nicht teilgenommen.“
Die Gründe hierfür teilte er Heinrich gegenüber schriftlich mit. Die betreffende Email liegt dem Onlinemagazin da Hog’n vor. Darin heißt es:
„Bei vollstem Verständnis für die verfassungsrechtlich notwendige Nominierung möchte ich dennoch anregen, die Kreisvertreter-Versammlung am 27. März zu verschieben, einen späteren Zeitpunkt ins Auge zu fassen und ggf. neue Alternativen final zu prüfen. (…)
Die derzeit ohnehin dramatische Lage unserer Partei, die verwerflichen Einlassungen einzelner Abgeordneter und die verheerende Außendarstellung in den letzten Tagen bzw. Wochen tragen nicht zum Verständnis für die Wahl der Delegierten in der Kreisvertreterversammlung bei. Der ‚Otto Normalbürger‘ hat und hatte sowieso nie Verständnis für die Notwendigkeit, wenngleich verfassungsrechtlich geboten.
Im Übrigen häufen sich bei mir die Absagen der Delegierten im Hinblick auf die o.g. Veranstaltung. Aktuell hat bereits die Hälfte der Delegierten um ihre Entschuldigung ersucht.
Ferner möchte ich Dir mitteilen, dass mich höchste Bedenken im Hinblick auf die Anordnung von Schnelltests begleiten. Ich bin auch persönlich nicht bereit, diesen vor Ort durchführen. Insbesondere stelle ich mir die Frage, wie – ausgehend von 160 Personen – in der vorgegebenen Zeit die Schnelltests durchgeführt werden sollen bzw. wie dann mit möglichen positiven Ergebnissen verfahren wird?! Gleichzeitig begleiten mich große Sorgen, wie sich der Kreisverband mit möglichen Demonstranten vor Ort (Ankündigung auf FB) auseinander setzt.“
Ergänzend betont Martin Pichler auf Hog’n-Nachfrage, dass Wahl- und Aufstellungsversammlungen derzeit bei allen politischen Mitbewerbern durchgeführt werden – „wohl in der Regel auch als Präsenzveranstaltung“.
„Völlig konträr und inkonsequent“
Auch die Schönberger Frauen-Union („eine separate Arbeitsgruppe der CSU“) blieb der Veranstaltung in Grafenau fern, wie deren Vorsitzende Veronika Egger gegenüber dem Hog’n bestätigt. „Ich habe für mich persönlich ebenfalls entschieden, nicht an der Versammlung teilzunehmen. Mein vordringlichster persönlicher Grund war, wie ich auch der FU-Kreisvorsitzenden Helga Weinberger am Samstag vor Veranstaltungsbeginn schriftlich mitgeteilt habe, dass ich mich seit Monaten bemühe, jegliche soziale Face-to-Face-Kontakte einzuschränken und somit eine Teilnahme an einer Versammlung mit über 100 Teilnehmern völlig konträr und inkonsequent wäre zu meinem alltäglichen Handeln.“
Stephan Hörhammer
(Titelbild: Symbolfoto: pixabay.com/OrnaW)