Passau. Je weiter südlich und je weiter östlich man auf der Karte geht, desto rarer werden die roten Punkte. Im Großraum München finden sich noch drei, in Niederbayern ist die Karte gänzlich schwarz. Das Katapult-Magazin veröffentlichte unlängst eine Übersicht mit jenen Kliniken und Arztpraxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden können. Laut Karte, die sich auf eine Liste der Bundesärztekammer stützt, sind das in Niederbayern genau: null. Gesetze, gesellschaftliches Klima und der Umstand, dass sich politisch wie medizinisch nicht wirklich jemand zuständig fühlt, legen die Vermutung nahe, dass sich daran so schnell auch nichts ändern wird.
Die ehemalige Grünen- und heutige FWG-Stadträtin sowie stv. Passauer Oberbürgermeisterin Erika Träger setzte sich bereits 1997 für eine „eigenständige geburtsmedizinische Abteilung im Klinikum Passau“ ein, welche auch Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der gesetzlichen Zwölf-Wochen-Frist vornehmen soll. Träger versuchte es 2007 ein weiteres Mal. Das Klinikum Passau, so argumentierte sie damals in ihrem Antrag, sei das „führende Schwerpunktkrankenhaus der Region, nach modernen Gesichtspunkten eingerichtet und mit der neusten Medizintechnik ausgestattet” – und führe Abtreibungen dennoch lediglich nach medizinischer oder kriminologischer Indikation durch. Auch der zweite Antrag blieb erfolglos.
Plastikföten vor der Praxistür
Fragt man Träger heute nach den Gründen, wieso es Frauen in der Region diesbezüglich derart schwer gemacht wird, muss sie kurz schmunzeln und meint dann vielsagend: „Ja, Bayern halt.“ Wohlwissend, dass die Lage um einiges komplexer ist. Grundsätzlich sind die Länder laut §13 Abschnitt 3 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes dazu verpflichtet, „ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ zu gewährleisten. Auf der Liste der Bundesärztekammer sind der Beratungsstelle „pro familia“ zufolge bayernweit genau elf Ärztinnen und Ärzte zu finden. Doch fehlende Kliniken und Praxen bedeuten im Umkehrschluss nicht, dass Frauen weniger abtreiben – „sie müssen aber dadurch längere Strecken zurücklegen und damit verbundene höhere Kosten und höheren Organisationsaufwand auf sich nehmen“, kritisiert Thoralf Fricke, Geschäftsführer von pro familia Niederbayern. Das verlagere den Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs oftmals nach hinten, „die gesundheitlichen Risiken steigen” dadurch, berichtet Fricke.
Insgesamt führen etwas mehr Ärztinnen und Ärzte Abtreibungen durch, als bei der Bundesärztekammer öffentlich gelistet sind, ergänzt der pro-familia-Geschäftsführer. In Niederbayern seien es aktuell zwei. Vielfach hätten Ärztinnen und Ärzte Angst, an den „Pranger” gestellt und zur Zielscheibe von „selbstbestimmungsfeindlichen Personen und Gruppen“ zu werden – und wollen daher nicht auf der Liste stehen, mutmaßt Fricke. Denn sogenannte Abtreibungsgegner würden Ärztinnen und Ärzte regelmäßig öffentlich diffamieren, mit Drohungen überhäufen, deren Privatadressen im Internet publizieren oder Plastikföten vor deren Praxistüren platzieren. Vielen ist deshalb daran gelegen, lieber nicht auf der Liste der Bundesärztekammer aufzuscheinen, was die Suche nach einer Ärztin oder einem Arzt für Betroffene umso schwieriger macht.
Werbung? Ein dehnbarer Begriff…
Abseits von Anfeindungen und Drohungen wird es Medizinern hierzulande von rechtlicher Seite nicht gerade einfach gemacht, eine Abtreibung durchzuführen. Die entsprechende Regelung dafür findet sich – schon das ist ein Indiz – im Strafgesetzbuch. Unter Paragraf 218 heißt es dort: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. Straffrei kann eine Frau eine Schwangerschaft nur nach ärztlicher Beratung und einer Bedenkzeit von drei Tagen innerhalb der ersten zwölf Wochen beenden.
Paragraf 219a verbietet Arztpraxen „Werbung” für Abtreibungen zu machen, wobei „Werbung“ in diesem Zusammenhang ein dehnbarer Begriff ist und es Betroffenen dadurch häufig erschwert wird, sich ausreichend zu informieren. Die pro-familia-Landesvorsitzende Stefanie Kauschinger kritisiert diese Regelung in einer Pressemitteilung scharf: dadurch werde das „Bild der vulnerablen, massiv beeinflussbaren und unverantwortlich handelnden Frau weitergetragen, die vor der Einflussnahme durch andere und vor sich selbst geschützt werden müsste“. Behandelnden Ärztinnen und Ärzten werde hingegen unterstellt, „für die von ihnen angebotene ärztliche Leistung unsachlich und unangemessen zu werben und damit Frauen zu Schwangerschaftsabbrüchen erst zu verführen“.
Heikles Thema
In der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen liegt „pro familia“ zufolge „das Kernproblem“ der Causa, da dadurch „Frauen und Ärztinnen und Ärzte in die Tabuzone abgedrängt werden“. Abseits gesetzlicher Regelungen brauche es jedoch einen massiven Ausbau des entsprechenden Angebots: Ein erster Schritt wäre es daher laut „pro familia“ einen selbstbestimmten Abbruch zumindest an allen bayerischen Universitätskliniken zu ermöglichen – derzeit macht das von den sechs bayerischen Unikliniken genau eine.
Zuständig für das „ausreichende Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ ist die Landesregierung. Darauf angesprochen, dass es im gesamten Raum Niederbayern keine einzige Klinik oder Praxis gibt, die einen Schwangerschaftsabbruch gemäß §218 StGB durchführt, antwortet der Vorsitzende des zuständigen Gesundheitsausschusses, Bernhard Seidenath (CSU), wie folgt: „Zu diesem Themenkreis liegen mir persönlich und dem Arbeitskreis Gesundheit und Pflege bisher keine Anfragen vor, sodass ich davon ausgegangen bin und weiter ausgehe, dass die aktuelle Situation den Bedarf ausreichend abdeckt“. Zu dem Vorschlag von „pro familia“, an allen Universitätskliniken selbstbestimmte Abtreibungen durchzuführen, heißt es von Seidenath knapp: „Das brächte gerade für den Regierungsbezirk Niederbayern keine Änderung: In Niederbayern gibt es kein Uniklinikum.“
Und auch andere Kliniken scheinen sich um das heikle Thema nicht unbedingt zu reißen. Am Klinikum Passau ist eine Abtreibung per se nicht verboten – „aber Tatsache ist, dass dort einfach keine durchgeführt werden, wenn keine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt“, kritisiert Stadträtin Erika Träger. Zwingen könne man aber niemanden dazu. Zu groß sei womöglich die Angst, in Verruf zu geraten, mutmaßt Träger. „Und schließlich will auch niemand die Abtreibungsgegner vor der Tür haben”.
Medizinisches nicht mit Politischem mischen
Ähnliches ist auch aus den Landkreisen Regen und Freyung-Grafenau zu vernehmen. Sowohl die Arberlandkliniken als auch die Kliniken am Goldenen Steig führen keine Abtreibungen innerhalb der gesetzlich zulässigen Frist durch. Einem Sprecher der Arberlandkliniken zufolge sei dies eine „bewusste Entscheidung der medizinisch und wirtschaftlich Verantwortlichen“. Zwar gebe es im Haus Personal, das die nötigen Qualifikationen besitzt (und Abtreibungen im Notfall auch durchführt), im Allgemeinen sei man jedoch der Überzeugung, „dass es andere spezialisierte Institutionen gibt, die vor allem im Bereich der psychosozialen Betreuung vor und nach diesen Abbrüchen deutlich besser vernetzt sind und daher eine qualitativ hochwertige Versorgung für Patientinnen sicherstellen können“.
Der Belegarzt (Gynäkologie) der Kliniken am Goldenen Steig, Dr. Bernhard Rabenbauer, erklärt auf Hog’n-Nachfrage, dass auch in den Freyung-Grafenauer Einrichtungen Abtreibungen „kein Thema“ seien. Zwar habe er selbst im Jahr 2000 an einer entsprechenden Fortbildung teilgenommen und dann „kurzzeitig überlegt“, selbst Abtreibungen durchzuführen. Da das Thema zu dieser Zeit jedoch zunehmend an politischer Brisanz gewann, habe er sich dagegen entschieden, „da ich medizinische Arbeit nicht mit politischen Forderungen verbunden haben will“.
Johannes Greß, Stephan Hörhammer
(Titelbild: pixabay.com/ Free-Photos)
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