Breitenberg/Freyung. Die politischen Entscheidungsträger haben infolge steigender Inzidenzwerte die Corona-Beschränkungen wieder verschärft – und u.a. die vieldiskutierte Oster-Ruhe beschlossen. Nichtdestotrotz halten die Bekleidungsgeschäfte Trendline (Freyung) und IS-Fashion (Breitenberg) an ihrem Vorhaben fest, ihr Sortiment dahingehend umzustellen, dass sie als systemrelevant eingestuft werden können – und ihre Modehäuser öffnen dürfen. Neben Hosen und Pullis gehört deshalb nun vor allem Klopapier zum Angebot.
„Der Umbau zum Klopapier & Fashionstore läuft – ab Donnerstag, 9 Uhr, geht’s los“, heißt es auf der Facebook-Seite des Freyunger Modehauses. Sein Breitenberger Pendant verkündet ebenfalls: „Wir freuen uns über eure Unterstützung, viele Nachrichten und tolles Feedback. Wir sind überwältigt von euren ermutigenden Informationen und dem Zuspruch, weiter zu machen.“ Die Öffentlichkeitswirksamkeit des „Klopapier-Coups“ der beiden Bayerwald-Geschäfte ist enorm. Zahlreiche, auch überregionale Medien hatten das Thema aufgegriffen. Die (meist positiven) Reaktionen in den sog. Sozialen Medien sind immens und geben fast ausschließlich den beiden Inhabern Inge Schuh und Norbert Kremsreiter recht.
„Die Krise geht an die Substanz“
Und auch die lokale Politik ist auf Seiten der ortsansässigen Gewerbetreibenden. Freyungs Bürgermeister Dr. Olaf Heinrich (CSU) hat, wie er gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n verlauten lässt, „Verständnis für den Vorstoß von Herrn Kremsreiter, der – wie viele seiner Einzelhändlerkollegen – seit Monaten sein Geschäft nicht öffnen kann. Dass daraus eine zunehmende Verzweiflung besteht, kann ich sehr gut verstehen.“ Inwieweit die Vorgehensweise rechtskonform sei, könne Heinrich nicht beurteilen. Sein Breitenberger Amtskollege Adolf Barth (CWP) sieht es ähnlich: „Wenn von jemandem die Existenz bedroht ist, verstehe ich sehr wohl solche Schritte und Maßnahmen. Dann sollte man jedoch solche Schlupflöcher, wie es hier der Fall ist, allen ermöglichen. Gleiches Recht für alle.“
Apropos Gleichbehandlung. Diese ist nach Ansicht von Johannes Karasek (IHK Niederbayern) bei den derzeit geltenden Corona-Regeln nicht gegeben – und stellt deshalb einen zentralen Kritikpunkt rund um die Beschlüsse von Bund und Ländern dar. „Es ist unverständlich, warum beispielsweise Baumärkte geöffnet sind oder Lebensmittel-Discounter auf ihren Aktionsflächen ein breites Sortiment anbieten können, während der Fachhandel geschlossen bleiben muss.“ Inzwischen – nach Monaten des Lockdowns – seien die finanziellen Reserven der geschlossenen Handelsbetriebe aufgebraucht, die Krise gehe an die Substanz. Die Existenzangst der Einzelhändler werde, wie die IHK Niederbayern in zahlreichen Gesprächen erfahren haben will, mit jeden Tag der staatlich verordneten Schließungen größer.
„Aktion spiegelt die verzweifelte Lage wieder“
Sorgen, die aus Sicht Karaseks nicht nötig wären. Denn: Dass die ausgearbeiteten Hygienekonzepte funktionierten, habe die Branche bereits während des ersten Lockdowns bewiesen. Durch den zusätzlichen Einsatz digitaler Hilfsmittel sowie von Schnelltests ließen sich Öffnungsschritte sowie Gesundheitsschutz auf hohem Niveau verbinden – „zumal mittlerweile selbst das RKI dem Handel in seiner ganzen Breite ein niedriges Infektionsrisiko zuschreibt“. Explizit zur Schlupfloch-Vorgehensweise der beiden Modehäuser will und kann sich der IHK-Sprecher nicht äußern: „Aktionen und Maßnahmen einzelner Unternehmen können wir weder bewerten noch dazu Stellung nehmen. Ich bitte um Verständnis.“
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Die Meinung der regionalen Landtagsabgeordneten zum Klopapier-Coup:
MdL Manfred Eibl (Freie Wähler): „Die beschriebene Aktion spiegelt die derzeitige verzweifelte Situation der Einzelhändler in unserem Land. Aus diesem Grunde ist es meinerseits auch wichtig alle Möglichkeiten zu nutzen, die eine Perspektive für Öffnungen bietet. Nach Einschätzung des Staatsministeriums für Wirtschaft kann eine gänzliche oder teilweise Sortimentsumstellung eines Einzelhandelsbetriebs – z.B. auf erlaubte Sortimente – möglich sein. Allerdings müsste es sich hierbei – um von der Mischbetriebsregelung Gebrauch machen zu können – um eine plausible, ernsthafte und im Ansatz dauerhafte Umstellung handeln. Das heißt: Es muss plausibel sein oder gemacht werden, dass mit dem neuen Sortiment auch nennenswerte Umsätze erzielt werden können und die Umstellung nicht nur das Ziel verfolgt, die bestehenden Regelungen zu umgehen.“
Max Gibis: „Lösungen für den Einzelhandel finden“
MdL Alexander Muthmann (FDP): „Das veränderte Angebot und der damit verbundene Aufwand machen deutlich, wie groß die Not der Einzelhändler ist. Sie versuchen alles, um wieder ins Geschäft zu kommen. Ich habe große Sympathie für diese Anstrengungen und für die Kreativität, die hinter den beiden Aktionen steht. Seit Wochen weise ich immer wieder darauf hin, dass es der falsche Weg ist, den Einzelhandel von allen Lockerungen vollkommen auszuschließen. Mit strikten Hygienevorgaben wäre eine Öffnung auch bei einer Inzidenz über 100 möglich. Die steigenden Inzidenzwerte trotz geschlossener Geschäfte zeigen doch deutlich, dass nicht der Einzelhandel der Corona-Treiber ist, sondern dass die Ursachen eher im privaten Bereich zu suchen sind.“
MdL Max Gibis (CSU): „Ich kann diese Aktion durchaus verstehen. Wenn man sieht, wie die Discounter seit Wochen ihr Sortiment bei Non-Food-Artikeln ausweiten ist es in meinen Augen durchaus legitim, wenn hier Einzelhändler den umgekehrten Weg gehen. Der Einzelhandel muss seine Geschäfte seit Monaten geschlossen halten. Viele kämpfen um ihre Existenz – derzeit ohne Aussicht auf Besserung, da die Inzidenzzahlen leider wieder kontinuierlich steigen. Ich denke, dass mit solchen Aktionen in erster Linie auf die aussichtslose Situation des Einzelhandels hingewiesen werden soll. Ich hoffe, dass solche Aktionen dazu beitragen, die ernste Lage vieler Einzelhändler sichtbar zu machen und erreicht wird, auch für den Einzelhandel Lösungen zu finden.“
Toni Schuberl (Grüne): „Es ist das Recht eines Jeden, die bestehenden Regeln zum eigenen Vorteil zu nutzen. Wenn Herr Kremsreiter sein Sortiment so anpasst, dass er öffnen darf, dann ist das in Ordnung. Das Problem ist der nicht mehr nachvollziehbare Regelmurks von CSU und Freien Wählern. Zu Beginn der dritten Welle hat Söder die Baumärkte geöffnet, während die Schulen bei uns schließen mussten. Und da stehe ich hinter den örtlichen Einzelhändlern, wenn sie kritisieren, dass Supermärkte alles verkaufen dürfen. Diese Ungleichbehandlung kritisiere ich in jeder Debatte. Generell müssen endlich die geöffneten Geschäfte auf die wirklich lebensnotwendigen Produkte beschränkt werden. Wenn man keine Kleidung mehr im Supermarkt kaufen kann, hätte der Abholservice der geschlossenen Geschäfte auch eine Chance.
Toni Schuberl: „Ein richtiger Lockdown richtige Lösung“
Auch die sogenannte Osterruhe ist Quatsch. Im Grunde ist es ein Lockdown von nur einem Tag, dem Gründonnerstag. Durch die unsinnige Schließung der Lebensmittelmärkte schafft man dafür drei Super-Spreader-Events, nämlich einen Tag vor der Schließung, am Karsamstag und einen Tag nach der Schließung, wo die Supermärkte überrannt werden. Wir wissen: je früher und je massiver ein Lockdown ist, desto kürzer kann er sein. Deshalb wäre ein richtiger Lockdown schon die richtige Lösung, aber dann mindestens zwei Wochen und mit durchgehend geöffneten Lebensmittelgeschäften, die aber nur Lebensmittel verkaufen dürfen.“
Christian Flisek (SPD): „Ich habe Verständnis dafür, dass den Geschäftsleuten das Wasser bis zum Hals steht und sie händeringend nach jedem Strohhalm greifen müssen. Für mich ist die Lockdown-Politik in Sachen Einzelhandel längst nicht mehr nachvollziehbar. Entscheidend ist doch, dass Abstand, Maskenpflicht und die Hygienekonzepte beachtet werden und nicht welche Ware verkauft wird. Man kann nicht davon ausgehen, dass sich Menschen beim Kauf einer Jeans eher Infizieren als beim Kauf einer Heckenschere.
Ich plädiere daher für einen echten Paradigmenwechsel bei der Öffnungsstrategie, der unabhängiger von starren Inzidenzwerten ist. Ich würde mir wünschen, dass wir die technischen Möglichkeiten endlich ausnutzen und auf dezentrale Konzepte wie etwa regionale Schnelltestzentren und digitale Eintrittskarten mit negativem Testergebnis setzen. Mit solchen innovativen Maßnahmen und den bestehenden Hygienekonzepten kann man eine Öffnung des Handels auch bei Inzidenzwerten über 100 guten Gewissens ermöglich.“
Helmut Weigerstorfer
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