Freyung-Grafenau. Der Wohnwagenhersteller Knaus Tabbert ist als systemrelevant eingestuft worden, tschechische Mitarbeiter dürfen somit einreisen. Eine Information, die da Hog’n vor einer Woche auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte – und die für teils hitzige Diskussionen sorgte. Wie das denn möglich sei, dass ein Wohnwagenhersteller als systemrelevant eingestuft und ein Campingwagen gar zur Grundversorgung gezählt wird, gleichzeitig die Schulen aber weiterhin geschlossen bleiben, fragte sich so mancher Leser.

Das Jandelsbrunner Unternehmen „Knaus Tabbert“ ist systemrelevant, da es „für ein menschliches Dasein als notwendig erachtete Güter und Dienstleistungen bereitstellt“, teilt das Landratsamt FRG auf Nachfrage mit. „Des Weiteren baut die Knaus Tabbert AG aber beispielsweise auch Sonderfahrzeuge für andere systemrelevante Branchen.“ Foto: Hog’n-Archiv

„Wohnmobile werden in der öffentlichen Wahrnehmung vornehmlich der Freizeitbranche zugeordnet, allerdings geht auch eine nicht unerhebliche Anzahl dieser Produkte europa- und weltweit an Bevölkerungsgruppen, für die das Fahrzeug das einzige Zuhause darstellt, in dem sie auch dauerhaft mit ihrer gesamten Familie leben“, lautete die Antwort von Seiten des Landratsamts auf Hog’n-Nachfrage. Doch es haben sich weitere Fragen hinsichtlich der Einstufung heimischer Betriebe in Sachen Systemrelevanz ergeben, um deren Beantwortung wir die Behörde neuerlich gebeten haben. Pressesprecher Karl Matschiner informiert im Folgenden:

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Neben Knaus Tabbert: Welche Landkreis-Unternehmen sind ebenso als systemrelevant eingestuft worden? Gibt es dazu eine öffentlich einsehbare Liste der als systemrelevant eingestuften Betriebe?

Stand 10. März 2021 haben 197 Firmen aus dem Landkreis für 1.317 Arbeitsplätze eine Ausnahmegenehmigung für Pendler aus systemrelevanten Betrieben beantragt. Davon waren die Anträge von 47 Unternehmen für 322 Arbeitsplätze gar nicht notwendig gewesen, da z.B. Gütertransportpersonal, Ärzte, Pfleger usw. grundsätzlich von den Einreisebeschränkungen ausgenommen sind.

„Jeder Antragssteller muss Nachweise erbringen“

Von den restlichen 150 Anträgen für 995 Arbeitsplätze konnten 125 Anträge für 940 Arbeitsplätze als systemrelevant eingestuft und genehmigt werden. 17 Prozent der Firmenanträge mussten abgelehnt werden. Aus datenschutzrechtlichen Gründen können wir  keine entsprechenden Listen veröffentlichen, da dadurch Rückschlüsse auf Beschäftigte oder Aufträge der einzelnen Unternehmen gezogen werden könnten und somit berechtigte Interessen Dritter dem entgegenstehen. 

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Von welcher Behörde wurden diese als systemrelevant eingestuft? Nach welchen Kriterien erfolgt dies?

Die Einstufung von Unternehmen im Landkreis Freyung-Grafenau erfolgt durch das Landratsamt. Welche Betriebe als systemrelevant einzustufen sind, richtet sich nach Nummer 2 der Mitteilung der EU-Kommission vom 30.03.2020, übermittelt durch das Bundesinnenministerium.

Zuständig für die Einstufung hinsichtlich der Systemrelevanz von Betrieben ist allein das Sachgebiet „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ am Landratsamt Freyung-Grafenau. Foto: Hog’n-Archiv

Im Landkreis FRG angesiedelte Unternehmen sowie Subunternehmen von im Landkreis angesiedelten Firmen können seit dem 14.02.2021 – und somit seit der Einstufung Tschechiens zum Virusvariantengebiet – einen schriftlichen Antrag an das Landratsamt stellen. Darin muss begründet sein, weshalb das Unternehmen – unter Berücksichtigung der EU-Mitteilung – als systemrelevant eingestuft werden muss. Im Landratsamt erfolgt die Bearbeitung dieser Anträge daraufhin vom Sachgebiet „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“, nicht durch die Wirtschaftsförderung.

Drückt man da auch schon mal ein Auge zu bei der Einstufung, um die heimische Wirtschaft zu „retten“?

Nein. Jedes antragstellende Unternehmen muss – sofern die Branche oder der Betrieb an sich nicht als systemrelevant eingeordnet werden kann – Nachweise wie Auftragsunterlagen, Bestätigungen von Kunden, etc. erbringen, aus denen ersichtlich wird, dass die Systemrelevanz gegeben ist und folglich auch eine Genehmigung erteilt werden kann.

„Gesundheitsamt und Wirtschaftsreferat nicht eingebunden“

Kommt es innerhalb der Behörde zwischen Wirtschaftsreferat und Gesundheitsamt in Sachen Einstufung schon mal zu Streitigkeiten bzw. einem Gewissenskonflikt?

Es kann bei der Entscheidung, ob ein Unternehmen als systemrelevant eingestuft wird, innerhalb der Behörde zu keinen Meinungsverschiedenheiten kommen, da die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit alleine beim Sachgebiet „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ liegt. Das Gesundheitsamt ist in diese Thematik nicht eingebunden. Ebenso ist das Wirtschaftsreferat des Landratsamtes nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden, sondern dient unseren Unternehmen lediglich als Ansprechpartner für die zahlreich auftretenden Fragen in diesem Zusammenhang.

„Handelt sich um Grundsatzfragen, die man nicht dem Landratsamt Freyung-Grafenau stellen kann bzw. nicht in dessen Zuständigkeit liegen“, informiert Pressesprecher Karl Matschiner. Foto: Hog’n-Archiv

„Campingwägen systemrelevant? – Schule ist tausendmal wichtiger!“ – „Ein Wohnwagen ist also systemrelevanter als Kleidung, Schuhe, Gaststättenbesuch etc…. Hauptsache die Industrie kann Umsatz scheffeln“ – so lauteten vielfach kommentierte Äußerungen seitens der Leserschaft auf unserer Facebook-Seite. Wie erklärt man als Behörde den Bürgern, dass ein Betrieb wie etwa Knaus Tabbert in Corona-Zeiten geöffnet bleibt, schulische Einrichtungen und Gastronomiebetriebe sowie Einzelhandelsgeschäfte jedoch geschlossen werden?

Für das Landratsamt Freyung-Grafenau ist jedes Unternehmen wichtig. Ebenso ist uns bewusst, dass unseren Kindern und Jugendlichen ihre Betreuung und ihr Schulunterricht zeitnah wieder in Präsenz ermöglicht werden muss. Soziale Kontakte mit Gleichaltrigen sind für die Entwicklung unabdingbar. Allerdings handelt es sich dabei um Grundsatzfragen, die man nicht dem Landratsamt Freyung-Grafenau stellen kann bzw. nicht in dessen Zuständigkeit liegen. Den Rahmen für die Öffnung verschiedener Branchen sowie die Öffnung/Schließung unserer Schulen gibt sowohl der Bund als auch der Freistaat Bayern vor.

„Komplett unterschiedliche Verfahren“

Das Bundesministeriums des Innern (BMI) hat veranlasst, dass Ausnahmen für Grenzgänger zugelassen werden können. Seit dem 19. Februar erlaubt die Bundespolizei nur noch Grenzgängern den Grenzübertritt, die über den Nachweis des vorgeschriebenen negativen Coronatests und eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde verfügen. Eine solche Bescheinigung der Kreisverwaltungsbehörde kann nur Arbeitnehmern in systemrelevanten Betrieben ausgestellt werden.

Hiervon zu unterscheiden sind die Maßnahmen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, wie u.a. die Schließung von Ladengeschäften, Gastronomie usw. Es handelt sich bei also beim eingangs der Frage gezogenen Vergleich um komplett unterschiedliche Verfahren, für deren Ausgestaltung wir nicht zuständig sind.

Laut Landratsamt testen einige Landkreis-Firmen wie etwa Knaus Tabbert (siehe Foto) direkt im Betrieb. Foto: Hog’n-Archiv

„Nur weil eine Firma als systemrelevant eingestuft wurde, dürfen auch die tschechischen Mitarbeiter über die Grenze zur Arbeit fahren“ – ist diese Schlussfolgerung stimmig?

Nein, diese Schlussfolgerung ist nicht richtig. Das Bundesministeriums des Innern (BMI) hat gestattet, dass Ausnahmen für Grenzgänger zugelassen werden können. Die Betriebe müssen in ihrem schriftlichen Antrag zudem angeben, welche tschechischen Arbeitskräfte eine systemrelevante Tätigkeit ausüben und folglich eine Ausnahmegenehmigung erhalten sollen. Für diese Grenzgänger besteht ein enges Testregime (Testnachweis nicht älter als 48 Stunden) sowie lückenlose Grenzkontrollen bei der Einreise. Zudem testen einige Firmen, so auch Knaus Tabbert, direkt im Betrieb.

„Hoher Anteil entfällt auf Transitverkehr aus Osteuropa“

Viele sehen einen Zusammenhang zwischen der hohen Zahl der im Landkreis FRG berufstätigen tschechischen Arbeitnehmer und dem neuerlich hohen Inzidenzwert in FRG. Darunter befindet sich auch der Winterberger Zahnarzt und Unterzeichner der landesweiten Initiative „Vierzig Tage für die menschliche Gesundheit und die Wirtschaft“ Marek Matoušek (da Hog’n berichtete). Ist dieser Zusammenhang von Seiten des Landratsamts haltbar?

Lkw-Fahrer aus ganz Osteuropa befinden sich unter den 130 positiv getesteten Grenzpendlern. Symbolfoto: pixabay.com/ xusenru

Nein, zu diesem Zusammenhang wurde auch bereits in der Pressemitteilung vom 05.03.2021 mit dem Titel „Aktuelles Infektionsgeschehen im Landkreis Freyung-Grafenau bedarf einer genaueren Betrachtung“ Stellung bezogen, auf welche wir bei dieser Gelegenheit auch nochmal verweisen möchten. Dem Landratsamt ist kein aktueller Infektionsfall eines Landkreisbürgers in Zusammenhang mit einem positiv getesteten, tschechischen Pendler bekannt. Die Zahlen infizierter Grenzgänger fließen auch nicht in unsere 7-Tages-Inzidenz je 100.000 Einwohner ein. Insgesamt wurden seit Januar an den beiden Testzentren im Landkreis in Summe 130 Grenzpendler positiv auf das Corona-Virus getestet. Das entspricht einer Quote von 0,29 Prozent.

Es lässt sich feststellen, dass ein hoher Anteil dieser 130 positiven Tests nicht auf Grenzpendler im eigentlichen Sinne, sondern auf Lkw-Fahrer aus ganz Osteuropa entfällt, die sich im Transitverkehr bewegen. Neben dem durch das Landratsamt ausgestellten Nachweis der Systemrelevanz brauchen einreisewillige Pendler zusätzlich eine täglich neue digitale Einreiseanmeldung. Zudem müssen sie auch einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf und müssen sich täglich lückenlosen Grenzkontrollen unterziehen.

die Fragen stellte: Stephan Hörhammer


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