Gesund und fit bleiben möchte in diesem Corona-Winter wahrscheinlich jeder. Leicht ist es nicht, wenn der Sportkurs nicht stattfinden darf, das Fitnessstudio geschlossen hat und Training im Verein oder gemeinsam mit Freunden nicht möglich ist. Hog’n-Autorin Sabine Simon testet nun seit vier Monaten das „virtuelle Training“ via App. Ein Erfahrungsbericht.
Mir geht es wie vielen anderen. Ich treibe gerne Sport, aber: mich aufzuraffen und den inneren Schweinehund zu überwinden, fällt mir oft schwer. Noch dazu, wenn ich den Sport in den Arbeits- und Familienalltag integrieren muss. Wenn die Kinder den ganzen Tag zu Hause sind, da der Kindergarten coronabedingt nicht geöffnet hat, ist es nicht einfach, mal eben raus in den Schnee zu gehen, um die Langlaufski anzuschnallen. Deshalb habe ich mich für das Training via Smartphone entschieden: daheim im Wohnzimmer.
Mach ich die Übungen richtig?
Ich habe eine der wohl bekanntesten und erfolgreichsten Fitness-Apps dafür ausgewählt: Freeletics. Mit 79,99 Euro für ein Jahresabo ist sie eine der teureren Anwendungen. Was bekommt man dafür? Von einzelnen Übungen, die man selbst zusammenstellen darf, bis hin zu kompletten „Trainings-Journeys“ mit Workouts über mehrere Wochen hinweg kann sich jeder das für sich Passende aussuchen.
Ein virtueller Coach personalisiert dabei jede Einheit anhand des Feedbacks, das der Sportler nach jedem Training gibt, sowie anhand der Daten, die man der App mitteilt. Man kann mit und ohne Geräte trainieren, Laufeinheiten mit einplanen und die Intensität jederzeit verringern oder verstärken.
Viele der Übungen, die in meinen Trainingseinheiten auftauchen, sind nicht neu für mich. Einige davon kenne ich aus Sportkursen. Die Übungen zuvor schon einmal gemacht zu haben, ist von Vorteil: Freeletics bietet zwar eine Videoanleitung mit den wichtigsten Punkten, die man beachten sollte. Ob man alles richtig ausführt, kontrolliert beim Training per App aber kein Profi – niemand ist live dabei, der eine falsche Körperhaltung oder ungenaue Ausführung sofort korrigieren könnte. Es ist daher ein klarer Vorteil, wenn man bereits häufiger einen Sportkurs bei einem professionellen Trainer besucht hat und die Übungen nicht erst per App erlernen muss.
Kostenloses Training mit dem Profi
„Das ist entscheidend: Dass man weiß, wie die Übungen korrekt ausgeführt werden“, bestätigt auch derjenige, bei dem ich vor Corona regelmäßig trainiert habe: Robert Knödlseder. Als Fitness- und Rehatrainer kann er – wie viele andere – seit fast einem Jahr kaum noch Kurse anbieten. Fitness-Apps findet er als Alternative zwar okay, trotzdem würde er freilich gerne wieder persönlich Sportkurse leiten.
Für all diejenigen, die gerne live mit einem Profi statt per Smartphone ihre Einheiten machen möchten, will er deshalb einen Online-Kurs via Zoom anbieten: einmal pro Woche für 30 bis 45 Minuten, mit einem Übungsmix aus den Bereichen Ausdauer und Kräftigung der Gesamtmuskulatur. Spezielle Gewichte oder andere Fitnessgeräte muss man nicht vorhalten, um am Kurs teilzunehmen. „Man kann Übungen etwa auch mit einer Wasserflasche durchführen“, erklärt der Trainer. „Ich möchte das Ganze kostenlos für die Teilnehmer realisieren. Wenn mich danach jemand mit einer kleinen Spende unterstützen möchte, freue ich mich natürlich.“
Der Fitnesscoach hat kein einfaches Jahr hinter sich: Mit dem Lockdown im März durfte er seine Rehasport-, Mamafitness-, TaiBo-Kurse und das Kampfsporttraining für Kinder nicht mehr anbieten. „Im Sommer wäre Sport draußen wieder möglich gewesen“, erzählt er. Trotzdem haben sich wenige angemeldet – lediglich Personal-Training war problemlos möglich. „Rehasport habe ich dann online angeboten – das wurde auch gut angenommen.“ So viele Leute wie bei den normalen Kursen seien jedoch längst nicht dabei, wenn er vor der Kamera seine Übungen präsentiert. „Und die Technik hat schon auch ihre Tücken“, gibt Knödlseder offen zu: „Jedes Mal, wenn man die Position ändert, muss man auch die Kamera neu ausrichten.“
Trainieren, wann und wo man will
Einen großen Vorteil hat das Training per App gegenüber jedem Fitness-Kurs: Ich bin damit an keine festen Trainingszeiten gebunden und kann trainieren, wo ich will. Für jede Woche kann ich festlegen, an welchen Tagen das Training stattfinden soll, somit können Einheiten – aus welchen Gründen auch immer – jederzeit verschoben werden.
Bisher ziehe ich meine geplanten Trainingseinheiten fast immer an denjenigen Tagen durch, für die ich sie vorgesehen habe. Meist dauert ein Workout lediglich 20 bis 30 Minuten, manchmal sogar nur zehn – wobei man auch in zehn Minuten ziemlich ins Schwitzen kommen kann. Daher findet sich eigentlich immer ein Zeitfenster, um das Sportprogramm in den Alltag zu integrieren.
Wer mehr „Ansporn“ benötigt, kann sich auch sog. Follower suchen, um mit ihnen Trainingserfahrungen auszutauschen. Zudem stoppt die App bei vielen Einheiten die Zeit mit. Macht man dasselbe Workout später erneut, kann man versuchen, die eigene Bestzeit zu überbieten.
Das „personal best“ zu erreichen, ist für mich aber nicht die entscheidende Motivation. Oft ist es schlicht und einfach auch nicht möglich, eine neue Bestzeit aufzustellen – wenn etwa zwischendrin der Sohnemann auf Toilette begleitet werden will und danach das Telefon klingelt. „Die Übungen möglichst schnell auszuführen, ist auch nicht unbedingt empfehlenswert“, sagt Fitnesstrainer Robert Knödlseder. „Wichtig ist, dass man die Übung sauber macht“, sagt er. Je schneller man sie ausführt, desto größer ist die Gefahr, dass sie unpräzise verrichtet wird und man sich schlimmstenfalls verletzt.
Burpees mag ich immer noch nicht…
Nach vier Monaten App-Training kann ich für mich jedenfalls feststellen: Ich bin fitter geworden. War es zu Beginn, nach mehreren Monaten mit wenig Sport, noch schier unmöglich, die so genannte „Plank knees to ellbows“-Übung mehr als viermal hintereinander korrekt zu realisieren (in der Liegestütz-Position führt man dabei das linke Knie zum rechten Ellenbogen und umgekehrt), schaffe ich sie mittlerweile locker zwanzigmal.
Das schlimmste Workout bisher beinhaltete insgesamt 50 Burpees. Die gehen so: aus dem Stand in die Liegestütz-Position springen, eine Liegestütze machen, dann wieder zurück in den Stand kommen und hochspringen. Beim ersten Mal war’s so anstrengend, dass mein Kreislauf nach wenigen Wiederholungen fast schlapp gemacht hätte. Mittlerweile zählen die Burpees noch immer nicht zu meinen Lieblingsübungen, aber sie sind weit weniger grausam als zu Beginn. Ich werde jedenfalls dran bleiben und mich mit Hilfe der App weiter fit halten. Trotzdem freue ich mich darauf, auch mal wieder in der Gruppe mit anderen zu trainieren. Im Onlinekurs bei Robert ist das ja zumindest virtuell schon mal möglich…
Sabine Simon