Passau. Mit dem provokativen Titel „Der alte weiße Geograph mit dem langen grauen Bart hat Recht“ haben Forscher der Universität Passau ihre Arbeit unterschrieben, mit der sie Geschlechterunterschiede auf wissenschaftlichen Tagungen untersuchen. Damit nehmen sie das wichtigste Ergebnis ihrer umfangreichen Studie vorweg: Nach wie vor kommen Männer häufiger und länger zu Wort als Frauen.

In einer bundesweit in dieser Form einmaligen Studie fanden Forscher der Universität Passau heraus, dass traditionelle Rollenvorstellungen auch im Hochschulumfeld noch immer wirken. Symbolfoto: pixabay.com/ Shutterbug75
Die Wissenschaft ist eine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, bei der es um Sichtbarkeit und Anerkennung geht. Wenn nicht gerade Corona grassiert, bieten Konferenzen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen die Bühnen, um ins kollegiale Rampenlicht zu treten und ihr akademisches Selbst zu inszenieren. Es geht um persönliche Karrierechancen und das Machtgefüge in einer Disziplin. Wie steht es hier um die Gleichstellung der Geschlechter? Ein Projekt der Universität Passau nahm diese Frage nun in einer umfangreichen Studie unter die Lupe.
„Das ist durchaus als Erfolg der Gleichstellung zu werten“
Ein Team aus Geographen und Geographinnen der Universität Passau untersuchte Geschlechterunterschiede anhand einer großen bundesweiten Tagung. Neben der Auswertung der Gästestruktur und des Konferenzprogramms wurden in 233 Vorträgen Daten zur Größe und Zusammensetzung der Auditorien, zu Redezeiten und dem Diskussionsverhalten erhoben. Es handelt sich damit um die umfangreichste Studie dieser Art.
Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse ausgeglichen: Im Publikum saßen 47 Prozent Frauen und 52 Prozent Männer. Nicht ganz so ausgewogen war die Zahl der Vortragenden, aber immerhin: 46 Prozent Frauen, 54 Prozent Männer – ein immenser Fortschritt im Vergleich zu früheren Jahrzehnten. „Das ist durchaus als Erfolg der Gleichstellung in unserem Fach zu werten“, sagt Koautor Christian Haase von der Universität Passau. „Noch in den späten 1980er Jahren waren Vorträge von Geographinnen eine absolute Ausnahme.“
Ist die Gleichstellung der Geschlechter also (fast) erreicht? Ganz so einfach ist es nicht: Im konkreten Verhalten auf der Konferenz zeigen sich nämlich immer noch starke Geschlechterunterschiede. „Das hatten wir in dieser Deutlichkeit nicht erwartet“, sagt Philipp Aufenvenne, der gemeinsam mit Prof. Dr. Malte Steinbrink die Studie geleitet hat. „Überrascht hat uns zum Beispiel, dass Vorträge von Männern besser besucht werden als die von Frauen – und dass das am Verhalten der Männer liegt. Vorträge ihrer Kolleginnen besuchen sie weniger häufig“, so Studienleiter Aufenvenne.
Unbewusste Verhaltensweisen wirken immer noch
Eine deutliche Diskrepanz stellte das Passauer Team zudem im Hinblick auf die Redezeiten beim Vortrag und in den anschließenden Diskussionen fest. Wissenschaftler überziehen die Zeitvorgaben nicht nur häufiger, sondern zudem ausgiebiger. Auch die Diskussionen werden tendenziell von Männern dominiert. Sie melden sich mehr zu Wort und reden dabei auch deutlich länger – selbst, wenn im Publikum mehrheitlich Frauen sitzen. „Männer beanspruchen für ihre Ausführungen und ihre akademischen Selbstinszenierungen im Schnitt deutlich mehr Raum“, betont Franziska Meixner, studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Anthropogeographie an der Universität Passau und eine weitere Koautorin der Studie.
„Da bestehen überkommene geschlechtsspezifische Kommunikationsmuster fort, und diese sind offenbar zählebiger als die formalen Strukturen und Positionen im Unisystem, wo sich in den letzten Jahren eine sehr positive Dynamik abzeichnet“, sagt Professor Steinbrink und ergänzt: „Hier gibt es weiter Reflektions- und Handlungsbedarf – nicht nur in der Wissenschaft.“ Die Studie hat nach seinen Worten vor allem ein Ziel: darauf aufmerksam zu machen, dass trotz aller Erfolge universitärer Gleichstellungsbemühungen unbewusste Verhaltensweisen und tradierte Rollenvorstellungen noch immer wirken.
da Hog’n/ obx-news