Waldkirchen. „Ich bin ein normaler Mensch, der auch mal weint“, sagt Simona Seibold über sich. Nach der Bekanntgabe des erneuten Teil-Lockdowns postete sie ein Foto bei Facebook: Traurig, fast verzweifelt wirkt die Inhaberin eines Waldkirchener Wellnessbetriebs auf dem Bild. Wenige Tage später hat sie sich längst wieder gefasst: „Wir überleben das schon“, gibt sich die Kosmetikerin zuversichtlich. Die Geschäftsfrau hat mit den neuerlichen Einschränkungen in diesem November dennoch arg zu kämpfen. „Ich sage ganz offen, dass die Situation schwierig ist.“
Dass sie von heute auf morgen wieder komplett ausgebremst wird, den gesamten Betrieb schließen muss, Ferienwohnungen nicht vermieten, Saunen nicht betreiben und Kosmetikbehandlungen nicht anbieten darf, hatte Simona Seibold am 28. Oktober erfahren. An dem Tag, an dem sie das Tränen-Foto veröffentlichte. Seit dem 2. November ist sie nun nicht mehr 16 Stunden am Tag im Einsatz für ihre Gäste. Ihr Wellness-Betrieb befindet sich erneut im Lockdown.
„Weil ein Plan B alleine nicht reicht“
„Normalerweise arbeite ich nur“, sagt die 44-Jährige. Vor 15 Jahren eröffnete sie ihren eigenen Schönheitssalon in Stocking bei Waldkirchen und baute diesen im Laufe der Zeit zu einem stattlichen Betrieb mit Übernachtungsmöglichkeiten, Privat-Saunen und Pools für ihre Gäste aus. Zu kämpfen hatte sie bereits vor drei Jahren: als Sturmtief „Kolle“ den Garten ihrer Wellness-Oase komplett verwüstete (da Hog’n berichtete).
Und nun also Corona. Lockdown im Frühjahr 2020. „Wir hatten 109 Tage geschlossen“, weiß Simona Seibold ganz genau. Die Fixkosten – mehrere tausend Euro im Monat unter anderem für Strom und Heizung – liefen weiter, Kredite mussten abbezahlt werden. Die Kosmetikerin entschloss sich kurzerhand putzen zu gehen, um die Ausgaben irgendwie decken zu können. Auch jetzt im November wird sie bei demselben Betrieb, wo sie im Frühjahr als „Mädchen für alles arbeitete“, wieder sauber machen und Akten sortieren.
Vollkommen beruflich neu orientiert hat sich auch ihr Mann Andreas, der selbständig in der Musik- und Veranstaltungsbranche tätig ist: Er entschloss sich gar, sein Musikhaus nach 30 Jahren zu schließen. Er arbeitet seitdem auf dem Bau. „Sein komplettes berufliches Leben hat sich geändert“, berichtet Simona Seibold.
Das geregelte Einkommen ihres Mannes gibt auch ihr ein wenig Sicherheit. Sicherheit, die es für selbständige Unternehmer derzeit kaum gibt. Trotzdem betont die Kosmetikerin fast gebetsmühlenartig: „Wir überleben schon irgendwie.“ Sie arbeite längst an Plan D, E und F – „weil ein Plan B alleine nicht reicht“, sagt sie – und kann dabei lachen. Wichtig sei nun, als Unternehmer kreativ zu werden, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den Betrieb nach dem erneuten Lockdown und auch langfristig weiter führen zu können.
Für Simona Seibold bedeutet das: Sie möchte ihre Ferienwohnungen, wenn möglich, dauerhaft vermieten, statt zeitlich befristet an Urlaubsgäste. Sie plant Gutschein-Aktionen, um das Weihnachtsgeschäft mitzunehmen. Sie arbeitet Konzepte aus, wie sie künftig mit Hotels zusammenarbeiten kann. Baut ihren Schulungsbereich weiter aus. „Nur wer sich jetzt richtig reinhängt, lebt weiter“, ist sie sich sicher.
Hoffen auf schnelle Unterstützung des Staates
„Man wird totgeredet“, bedauert die Geschäftsfrau. Dabei sei der Sommer trotz allem wirklich gut gelaufen. Sie habe viel Rückhalt gespürt, viel Unterstützung seitens ihrer Kunden und Gäste erhalten. Der zweite Lockdown sei für sie natürlich ein großer Rückschlag. Doch wenn der Staat – wie versprochen – jedes Unternehmen, das aufgrund von Corona zur neuerlichen Schließung gezwungen wird, mit 75 Prozent desjenigen Umsatzes entlastet, der im November 2019 erzielt wurde, stellen vier Wochen aus Simona Seibolds Sicht kein größeres Problem dar: „Damit könnten wir alle Fixkosten, auch das Kurzarbeitergeld für unsere Mitarbeiter, zahlen.“
Es arbeiten nur noch zwei festangestellte Vollzeitkräfte, die diesmal von der Zwangs-Auszeit betroffen sind. Denn während des ersten Lockdowns musste die Kosmetikerin alle acht Mitarbeiter entlassen. Beim ersten Lockdown, als überhaupt nicht vorauszusehen war, wie lange dieser andauert, sei dies unumgänglich gewesen, damit der Betrieb nicht pleite geht: „Ich hätte das Kurzarbeitergeld nicht vorstrecken können.“
„So eine nervliche Belastung hatte ich noch nie“
In der aktuellen Situation scheint dieses Problem nicht zu entstehen – sofern die versprochene Unterstützung vom Bund tatsächlich schnell ausbezahlt wird. Noch ist jedoch unklar, wann das Geld auf dem Konto der Unternehmerin eintrifft.
Trotz so mancher finanzieller Rückschläge hat Simona Seibold stetig in ihr Wellness-Unternehmen investiert – und will dies auch weiterhin tun. Abtrennungen und andere Hygienemaßnahmen hat sie umgesetzt, den Wellnessanhängern stehen mehr Duschen zur Verfügung. Bereits jetzt sei es möglich, dass Gäste bei ihr Urlaub machen ohne einander oder dem Personal zu begegnen. Darum habe es auch viele Buchungen in diesem Pandemie-Sommer gegeben: Urlauber zogen kleinere Betriebe mit abgeschlossenen Ferienwohnungen den großen Hotels vor. „Umsätze wie vor Corona waren trotzdem nicht möglich“, berichtet die 44-Jährige.
Auch im Kosmetikbereich habe sie sicher gearbeitet: bei jeder Anwendung kamen Mundschutz, Handschuhe und Desinfektionsmittel zum Einsatz. Trotzdem sei natürlich auch bei ihr und den Mitarbeitern die Angst vorhanden gewesen, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Hinzu kam die Sorge, dass plötzlich wieder der Lockdown ausgerufen wird: „Ich habe jeden Tag überlegt: Wie lang darf ich noch? So eine nervliche Belastung hatte ich noch nie.“
„An unserem Unternehmen hängen viele weitere mit dran“
Als es dann tatsächlich so weit war, stand Simona Seibold zuerst schockiert vor ihrem übervollen Terminkalender. „Der November ist für uns normalerweise ein toller Monat.“ Nun musste sie unzählige Kunden anrufen und sie über die Situation informieren. Die meisten von ihnen buchten zunächst keinen neuen Termin. Denn niemand wisse genau, ob und wie es im Dezember weitergehen wird. „Bevor ich wieder starten kann, brauche ich eigentlich 14 Tage Vorlauf“, beschreibt die Kosmetikerin die komplizierte Lage. Denn die Kunden brauchen bei ihr einen Termin, Urlauber buchen weit im Voraus.
Simona Seibold denkt in diesen Tagen insbesondere auch an diejenigen, die darunter leiden, wenn ihr Betrieb zusperren muss: „Aushilfen verlieren ihren Job, die Wäscherei hat wieder keine Aufträge“, zählt sie beispielhaft auf. „An einem Geschäft wie dem unseren hängen so viele weitere mit dran.“ Deshalb hofft sie darauf, dass auch künftig das Netzwerk zwischen den Unternehmern in der Region gut funktioniert, dass man sich gegenseitig unterstützt – und so alle gut durch die Krise kommen.
Sabine Simon