Straßkirchen. Nicht nur, aber vor allem die Wirtschaft sieht die Bestrebungen, flächendeckend die fünfte Generation des Mobilfunks („5G“) einzuführen, mit Wohlwollen. Möglichst schnelles Internet an allen erdenklichen Orten, störungsfrei versteht sich – das ist die Wunschvorstellung der meisten mobilen World-Wide-Web-Nutzer. Renate schlägt angesichts dieser Entwicklung, die der Großteil der Bevölkerung als Fortschritt betrachtet und somit begrüßt, die Hände über dem Kopf zusammen. Der Grund dafür: Die 63-Jährige ist extrem elektrosensibel. Hochfrequente, digitale Strahlung hat bei ihr körperliche Schmerzen zufolge. Die Münchenerin ist deshalb nach Straßkirchen zur befreundeten Familie Hintze gezogen, die in einem Haus wohnt, das Elektrosmog abschirmt bzw. im Inneren erst gar nicht entstehen lässt.
Doch der Reihe nach. Renate wohnte jahrelang in der Landeshauptstadt – und das auch gerne. Das „normale“ Leben dort rückte jedoch mehr und mehr in den Hintergrund. Denn die 63-Jährige litt immer häufiger und beschwerlicher unter Kopfschmerzen, Übelkeit, Nervenleiden, Tinnitus und Schlafproblemen. Das führte dazu, dass ihr Alltag nach und nach von den Beschwerden dominiert wurde, diese praktisch allgegenwärtig waren. Zunächst konnte ihr kein Mediziner helfen. In der Folge beschäftigte sie sich verstärkt selbst mit ihrem Krankheitsbild und diagnostizierte – auch mit Unterstützung des befreundeten Umweltingenieurs Volkmar Hintze, der in Straßkirchen bei Passau wohnt – letztlich: „Ich leide unter Elektrosensibilität.“
Die aussichtslose Suche nach einem Eigenheim
Zunächst wurde sie belächelt, wenn sie über die Ursachen ihrer Beschwerden sprach. „Alle sehen nur das tolle Internet an allen Orten, die ständige, störungsfreie Verbindung mit dem Web – die Schattenseiten der digitalen Aufrüstung will keiner wahrhaben“, stellt Renate fest. Doch nach und nach erforsch(t)en Wissenschaftlicher auch die negativen Folgen von WLAN, 5G & Co. Inzwischen sei Elektrosensibilität Hintze zufolge eine anerkannte Krankheit – aber bisher nur in Schweden. Renate fühlt sich dadurch bestätigt – sie weiß, dass sie nicht „psychisch“ bedingt ist, wie viele Menschen aus ihrem Umfeld unkten. Therapieren konnte sie ihre Beschwerden bislang aber nicht – wissenschaftliche Erkenntnisse hin oder her. Es blieb ihr nur die Alternative, ihre Heimstadt zu verlassen, um so den vielen Strahlungsfeldern in der Millionenstadt zu entkommen.
Erst zog es sie nach Bad Griesbach. Doch auch dort wurde das digitale Netz allmählich ausgebaut und dichter gestrickt. Sie musste weiterziehen, um ein relativ beschwerdefreies Leben führen zu können. Doch die Wohnungssuche gestaltete sich äußerst schwierig – bis heute. „Es gibt praktisch keine Wohnanlagen mehr, in denen WLAN nicht zum Standard gehört. Solche Gegenden fallen für mich aus“, verdeutlicht Renate, die nur auf eine kleine Rente zurückgreifen kann – und ergänzt mit klar vernehmbarer Verzweiflung: „Ich finde einfach kein Zuhause mehr.“
Ihre Familie in München kann sie nur selten besuchen. Ihr Schwiegersohn ist IT-Spezialist und schwört auf Digitalisierung aller Art. Bei der befreundeten Familie Hintze in Straßkirchen (Gemeinde Salzweg) fand sie dann doch noch Unterschlupf, wobei diese Unterkunft nur von begrenzter Dauer sein soll. Renate möchte endlich wieder ihre eigenen vier Wände haben.
„Ich bin keine Zukunftsleugnerin“
Doch warum ist ausgerechnet das Gebäude von Umweltingenieur Volkmar Hintze für Renate ein derart geeigneter Zufluchtsort? Die Antwort auf diese Frage gibt der Hausherr selbst: „Wir haben unser Haus 2010 so gebaut, dass es Elektrosmog abschirmt und entsprechende Strahlen im Inneren erst gar nicht entstehen.“ So ist die Außenwand – kein Holz sondern Hochfrequenz-minderndes Mauerwerk – mit einer entsprechenden Metall-Schicht versehen. Die Haustechnik ist „ohne Funk“ installiert. Das heißt: Internet ist zwar vorhanden, aber nur in Form einer Kabelverbindung. Auf schnurlose Telefone verzichten die Bewohner komplett. „Alles in allem büßen wir nicht an Komfort ein, leben aber trotzdem baubiologisch“, fasst Volkmar Hintze zusammen und verweist auf entsprechende Messungen, um zu verdeutlichen, wie wirksam die nur wenigen Maßnahmen bereits sind (siehe Bild oben).
1974 hat der heute 70-Jährige sein Studium als einer der damals ersten Umweltingenieure im Rheinland abgeschlossen. Er beschäftigt sich daher schon seit mehr als 45 Jahren mit bewusstem Wohnen, hat sich entsprechendes Wissen angehäuft, da das Interesse für Baubiologie inzwischen über das Berufliche hinaus geht. Das Schicksal seiner aktuellen Mitbewohnerin findet der Hobby-Wissenschaftler einerseits interessant, andererseits leidet er deutlich mit. „Die weißen Zonen, also die Gebiete, in denen keine Strahlung vorherrscht, werden immer weniger – selbst auf dem Land“, berichtet er und betont, dass elektrosensible Menschen aufgrund ihres angeschlagenen Immunsystems auch anfälliger für Corona-Infektionen sind.
„Wir müssen einen Mittelweg finden“
„Ich fühle mich sozial sehr ausgegrenzt“, gewährt die Frau einen Einblick in ihr Inneres. Trotz ihrer Krankheit will Renate nicht alles verteufeln, was mit Digitalisierung zu tun hat. Im Gegenteil. „Ich bin keine Zukunftsleugnerin“, bekräftigt sie mehrmals. Sie möchte einfach nur, dass ihr Leiden akzeptiert und anerkannt wird. Gleichzeitig ist es ihr Wunsch, dass ein gewisses Bewusstsein für die andere Seite der Digitalisierung in der breiten Bevölkerung ankommt. „Wir müssen einen Mittelweg finden. Schnelles Internet ist prima und nutze ich auch gerne. Aber beispielsweise kann die Übertragung genauso über Kabel stattfinden – nicht nur über Funk.“ Einfache Mittel mit großem Nutzen – nicht nur für Renate.
Helmut Weigerstorfer
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Renate ist weiterhin auf der Suche nach einer Mietwohnung, die bezahlbar und ohne standardisierte WLAN-Verbindung ist. Wer weiterhelfen möchte, kann sich gerne mit einer Mail mit dem Betreff „Renate“ an info@hogn.de wenden.