Freyung/Greifswald. „Ich dachte immer, man muss irgendwo anders Urlaub machen, wegfahren, in ein anderes Land, um was zu erleben. Aber das ist nicht so. Denn es geht darum, seinen Urlaub bewusst zu verbringen.“ So lautet eine von mehreren Erkenntnissen des Freyungers Marvin Manzenberger, der diesen Sommer mit dem Fahrrad von seinem Studienort Greifswald an der Ostsee aus in den Bayerischen Wald gestrampelt ist. 1.400 Kilometer Gesamtstrecke, drei Wochen im Sattel, verteilt auf zwei Etappen. Eine Tour, die nicht nur seinen körperlichen, sondern auch seinen geistigen Horizont erweitert hat.
Der getrocknete Staub aus dem Erzgebirge, wo ein Gewitter niederging und der Regen die Erde aufweichte, ist immer noch an der Radfelge und am Schutzblech zu erkennen, als der 25-Jährige in seiner Heimatstadt ankommt. Er macht einen zufriedenen Eindruck, wirkt entspannt. Gerne blickt er zurück auf die Ereignisse der vergangenen Wochen, in denen er mit seinem Velo, eine Mischung aus Touring- und Trekkingbike, durch die Lande zog. Das GPS-Gerät als treuen Begleiter, ohne Zelt, nur mit Hängematte und Tarp ausgestattet, die er neben Proviant und Klamotten in den Radtaschen und Packsäcken verstaut hatte.
„Das war ganz schön knackig“
Der Entschluss für seine Reise fiel in Schweden, wo sich der Student der Landschaftsökologie Ende des vergangenen Jahres für ein Auslandssemester aufhielt. Der leidenschaftliche Radfahrer, der sich beim TV Freyung über mehrere Jahre hinweg als Leichtathlet eine ordentliche Grundkondition zugelegt hatte, wollte schon länger einmal „eine größere Tour“ starten. Sein ursprünglicher Plan: aus eigener Kraft all diejenigen Orte verbinden, an denen er bereits (mehr oder weniger lange) gewohnt hat. Dazu gehört etwa Berlin, wo seine Großmutter zu Hause ist. Oder Leipzig, wo er an der Uni seinen Bachelor-Abschluss in Biologie gemacht hatte. Doch es kam anders.
Als vorherigen Testlauf wählte er die Strecke von Greifswald in die Bundeshauptstadt aus – rund 200 Kilometer, die, wie ihm seine Studienkollegen versicherten, an einem Tag gut zu bewältigen seien. „Das war ganz schön knackig“, erinnert sich Marvin Manzenberger an die zwölfstündige Dauerfahrt im Sattel. Doch er hatte Blut geleckt – und wollte mehr, wollte einmal quer durch die Republik radeln. Und hielt sich den Sommer dafür frei. „Zuerst dachte ich, dass ich aufgrund der Corona-Situation nicht losfahren könnte, doch: Ich bin ja allein unterwegs – was kann da schon passieren?“
Am 8. August ging’s schließlich los. Das erste Teilstück führte – wie alle von ihm im Voraus akribisch geplanten Abschnitte – auf ausgewiesenen Radwegen von Greifswald nach Anklam, rund 100 Kilometer Distanz. Tags darauf folgte die „extremste Etappe“ der Tour nach Eberswalde, die Marvin Manzenberger im Nachhinein als „etwas hirnrissig“ bezeichnet, da er anstrengende 210 Kilometer an einem Tag zurücklegte – und er völlig platt am Ziel ankam.
Weiter ging’s entlang der Oder-Neiße-Grenze Richtung Süden, wo er über Dresden ins Erzgebirge gelangte. Dort hat er sein Rad dann für drei Wochen bei Freunden untergestellt – und ist mit dem Zug nach Greifswald zurückgefahren, um zwischenzeitlich seinem Nebenjob nachzugehen. „Bis hierhin war alles relativ flach und gut fahrbar“, erinnert sich der Freyunger. Das sollte sich auf der zweiten Haupt-Etappe jedoch ändern.
„Es gibt immer einen Weg“
Denn von nun an gestaltete sich die Landschaft zunehmend hügeliger: Sein Weg führte ihn durchs Erzgebirge ins Vogtland und anschließend über Oberfranken in die Oberpfalz nach Cham. Von dort aus ging’s auf die Schlussetappe durch den Nationalpark nach Freyung. Rund 7.500 Höhenmeter absolvierte der Student auf dem zweiten Teilabschnitt seiner Tour. Eine durchaus beachtliche Leistung, um die es Marvin Manzenberger vordergründig jedoch nicht ging: „Man erlebt viel mehr, wenn man dazu bereit ist, auch einmal unkonventionell zu reisen“, fasst er eine der Quintessenzen nach seinem Deutschlad-Trip („ein Blick über den Tellerrand“) auf dem Rad in Worte. Er hat gelernt: „Erlebnisse brauchen Zeit.“ Und ist überzeugt: „Es gibt immer einen Weg, sich diese Form des Reisens einzurichten, wenn man seine Prioritäten entsprechend setzt.“
Was sonst noch in Erinnerung geblieben ist? Ein paar Mückenstiche etwa, die er während seiner Nächte unter freiem Himmel, in der Hängematte liegend, verpasst bekam. Das sich Überwinden, überhaupt draußen zu schlafen, fernab der Komfort-Zone des heimischen Betts. Die Nacht neben einem Biberbau. Die vielen tollen Begegnungen mit überaus netten Menschen. Orte, an denen es „unglaublich ruhig“ war. Die Vielfalt an Tieren, die ihm unterwegs aufgefallen ist („Ich habe die Natur nochmals viel intensiver und auf andere Art kennengelernt“). Die unzähligen E-Biker. Der morgendliche Nebel auf den Wiesen, die Sonnenstrahlen, der Fahrtwind. Das Glück, sich keinen Platten gefahren zu haben und heil und schmerzfrei am Ziel angekommen zu sein.
Das Gefühl, nach so langer Zeit im Sattel wieder heimischen Boden unter den Füßen zu haben, war durchaus erhebend. Die letzten Meter radelte er an der Seite seines Vaters. „Die Radwege hier in der Region müssten noch besser vernetzt sein. Beziehungsweise: Eigentlich gibt es gar keinen Radweg, der vom Nationalpark nach Freyung führt, was sehr schade ist“, kann er sich eine kritische Anmerkung nicht verkneifen. Wann er seine nächste Tour in Angriff nehmen möchte, weiß er noch nicht genau. Feststeht jedenfalls, dass dies ganz gewiss nicht seine letzte größere Reise auf zwei Rädern gewesen ist…
Stephan Hörhammer