Berlin. Rund eineinhalb Wochen ist es her, dass Anti-Corona-Demonstranten mit wehenden Fahnen, schwarz-weiß-roten Flaggen des Kaiserreichs, durch die Hauptstadt zogen, vorm Reichtstagsgebäude standen und lauthals ihre Botschaften skandierten. Eine Szene mit Symbolcharakter, die viele Menschen verschreckt, irritiert, verärgert und entsetzt hat – insbesondere diejenigen, die für die freiheitlich-demokratischen Grundwerte einstehen.
Wie Eckart Conze, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Philipps-Universität Marburg, gegenüber dem Spiegel erklärt, hatten schon die Feinde der Weimarer Republik unter der schwarz-weiß-roten Fahne des Kaiserreichs die Demokratie bekämpft. „Sie steht für die Ablehnung des gegenwärtigen politischen Systems: des Parlamentarismus, der freiheitlichen, repräsentativen Demokratie und ihrer Eliten“, sagt Conze und ergänzt: „Bei einigen dient die Flagge des Kaiserreichs sicher auch als Ersatz für die Hakenkreuzfahne, die verboten ist. Die schwarz-weiß-rote Flagge hat sich offensichtlich als gemeinsames politisches Symbol des Protestes gegen die bestehende Ordnung gefunden.“
„Fahnen schwenkend, grölend, völlig von Sinnen“
Nach der Berlin-Demo entstand nun eine größere mediale Diskussion darüber, ob Fahnen wie die kaiserlichen Reichs(kriegs)flaggen, die – ebenso wie andere Symbole des Kaiserreichs – grundsätzlich erlaubt sind, künftig verboten gehören. Auch eine Online-Petition wurde ins Leben gerufen. Vor allem, um einem seit Jahren verstärktem Aufkommen rechtsnationaler sowie neonazistischer Symbolik Einhalt zu gebieten. Doch: Löst ein Verbot der Flagge das eigentliche Problem, dass sich in Deutschland rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Bevölkerung nach wie vor auf dem Vormarsch befinden? Die Hog’n-Redakteure Weigerstorfer und Hörhammer haben sich darüber ihre Gedanken gemacht.
Weigerstorfer: Gott sei Dank rückt nach der Berlin-Demo nun endlich mal wieder die Diskussion über ein Verbot der Reichsflagge in den öffentlichen Fokus. Die Bilder von Ende August waren schon mehr als krass, als diese Horde wildgewordener Verschwörungstheoretiker versucht hat den Reichstag zu stürmen. Fahnen schwenkend, grölend, völlig von Sinnen. Ausgerechnet den Reichstag, dieses historisch betrachtet ohnehin schwer vorbelastete Gebäude und heutige Symbol der Demokratie, unter dessen Giebel in großen Lettern „Dem Deutschen Volk“ geschrieben steht. Diese Reichsflaggen-Attacke war ein Angriff aufs Volk, auch wenn dieses braune Gesindel behauptet, dass es genau andersrum sei…
Hörhammer: Ruhig, Weigerstorfer. Gaaaaanz ruhig. Und das Atmen nicht vergessen. Die Bilder waren in der Tat nichts für Ästheten wie dich und mich. Es war eine Eskalation; eine Situation, die außer Kontrolle geraten ist. Forciert von Menschen, die gewiss nicht zu den größten Freunden dieses politischen Systems gehören, im Gegeneil. Aber gewiss auch von Leuten, die durch die ganze Corona-Situation im Speziellen und die vielen Veränderungen der Neuzeit schlichtweg überfordert sind. Die sogenannten Verlierer des Systems. Aber das soll hier nicht das Thema sein. Es geht um Reichsflaggen und deren Symbolik. Es geht um die Frage: Schafft ein Verbot es, die Ausbreitung rechten Gedankenguts einzudämmen? Ich denke nicht, denn das eigentliche Problem bleibt ja weiterhin in den Köpfen dieser Leute bestehen.
„Das wirkt angsteinflößend“
Weigerstorfer: Das mag schon sein, Herr Kollege. Nur irgendwo muss man ja mal ansetzen. Ja, es stimmt, nach dem Krieg sind viele richtige Maßnahmen ergriffen, viele nazistische Überbleibsel aus der Öffentlichkeit verbannt worden. Doch die Nazis und deren Sprengel finden im demokratischen Graubereich immer wieder Mittel und Wege, ihre rechtslastige Orientierung nach außen hin zur Schau zu stellen, sie vor Publikum zu zelebrieren. Und wir alle wissen um die Wirkung einer Menschenmenge, die Fahnen schwenkend, womöglich noch trommelnd und Parolen grölend durch die Straßen zieht. Das wirkt angsteinflößend. Und Angst war schon immer ein Grundpfeiler und Nährboden für umstürzlerische Ambitionen, für reaktionäre Tendenzen. Deshalb: Weg mit dem Dreck!
Hörhammer: Aber Helmut, selbst Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann, immerhin ein SPD’ler, hat sich gegen ein Verbot ausgesprochen, wie unterschiedliche Medien berichten. Die Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz ist verboten, hat Oppermann gegenüber der „Rheinischen Post“ vor Kurzem mitgeteilt. Auch ohne Hakenkreuz sei sie, genau wie die Reichsflagge, ein Symbol für Rechtsextremismus und könne bei Versammlungen eingezogen werden, wenn der Schutz von Sicherheit und Ordnung es erfordere. Ein generelles Verbot aller Varianten und Spielarten dieser Flagge bezeichnet Oppermann daher als unverhältnismäßig und als nicht geeignet zur Bekämpfung rechten Gedankenguts. Dem kann ich zustimmen.
Weigerstorfer: Stephan, du bist in dieser Hinsicht vielleicht etwas zu naiv. Diese Fahnenschwenker brauchen klare Grenzen und Regeln, denn sie reizen ganz bewusst geltendes Recht soweit und solange aus, bis es eben plötzlich wieder völlig normal erscheint, dass die Reichskriegsflagge zum Stadtbild oder zum Volksfestumzug gehört. Da geht’s ums Verschieben gewisser Rahmen, im Englischen: Frames, die das Extreme und dessen Symbolik zu normalisieren versuchen. Über einer Kleingartenanlage in Mühlheim an der Ruhr wehte im April eine Reichskriegsflagge. Ein weiteres Exemplar davon weht seit Jahren am Waldkirchener Ortseingang und sorgte im Juni für Diskussionen und Empörung. Passiert ist in der Folge jedoch nichts. Das kann es doch nicht sein!
„Mehr Bildung und mehr politische Aufklärung“
Hörhammer: Ich verstehe Deine Aufregung, aber glaub es mir: Das wahre Problem liegt in den Köpfen der Menschen. Da müssen andere Stellschrauben seitens des Gesetzgebers betätigt werden, als dass man ein bloßes Verbot gegen Reichsflaggen ausspricht. Das bringt nicht wirklich was. Mehr Bildung und mehr politische Aufklärung wären da ein vielleicht auch langfristig wirksamer Faktor. Naja. Lass uns mal die Hog’n-Leserschaft befragen, was sie von einem Reichsflaggen-Verbot und dessen Konsequenzen hält. Wir freuen uns auf viele Kommentare und Meinungen in unserer Kommentarleiste (direkt unterhalb dieses Artikels oder auf unserem Facebook-Kanal).
da Hog’n