Eine Postkarte im Briefkasten. Handgeschrieben, mit Briefmarke und Stempel drauf, auf der Vorderseite ein Motiv, das Maare und Burgen zeigt. Die Karte stammt von einer Freundin, die ich vor wenigen Jahren beim Wandern in der Eifel kennengelernt habe. Von jemandem, der sich Zeit genommen hat, der sich hingesetzt und mit dem Stift in der Hand seine ganz persönlichen Gedanken „zu Karton“ gebracht hat. Die Freude ist groß. Eine Freude, die eine Email oder eine WhatsApp-Nachricht wohl nie hervorbringen könnte – egal, wie positiv deren Inhalt auch sein mag. Gedanken zum 1. September, dem Welttag des Briefschreibens.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als das Schreiben von Briefen und Postkarten in der Schule Gegenstand des Unterrichts war. Es müsste in der fünften oder sechsten Klasse meiner Gymnasialzeit auf dem Lehrplan gestanden haben. Elf, zwölf Jahre waren wir damals alt, als wir zum Füllfederhalter griffen und vom Deutschlehrer beigebracht bekamen, wie man (formell) einen Brief verfasst.
„Mit freundlichen Grüßen“
Einen privaten Brief an Freunde, Bekannte und Verwandte. Genauso einen Geschäftsbrief an einen Unternehmer oder eine Behörde. Dazu wurde im Klassenzimmer weißes Briefpapier ausgeteilt, Größe DIN-A4, unter das wir ein genauso großes Blatt Papier mit schwarzen Linien legten, die durch das weiße Blatt hindurch schienen. Damit am Ende die von uns Schülern verfassten Zeilen (einigermaßen) gerade geschrieben aussahen.
Der Grund-Aufbau des Briefs bestand aus gewissen Elementen, die sich stets wiederholten: Dazu gehörte etwa die Angabe von Ort und Zeit im Briefkopf, die Daten des Absenders und Empfängers, die Anrede, evtl. auch der Betreff; dann folgte der Inhalt und eine Schlussformel, die ganz floskelhaft „Mit freundlichen Grüßen“ oder „Hochachtungsvoll“ daherkam, gefolgt von der Unterschrift des Verfassers. Auch das Brief-Couvert hatte sein formelles Äußeres: Rechts unten, auf der Vorderseite, sollte die Adresse des Empfängers stehen, links oben die des Absenders. Und die Ziffern der Postleitzahl immer schön groß, damit der Postbote sie auch gut lesen kann.
Und heute? Lernen die Heranwachsenden heute in der Schule noch, wie man einen „echten“, handschriftlich angefertigten Brief schreibt? Die Recherche im Internet ergibt: Ja. Auf der Seite des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg heißt es etwa, dass auch im Zeitalter von WhatsApp, Messenger, Email, Xing und Instagram das Briefe schreiben noch gelehrt werden soll. Eine Milliarde Briefe werden täglich weltweit „bewegt“, wie auf der Seite zu lesen ist. Der Tagesspiegel teilte vor zwei Jahren mit, dass in Deutschland noch jeden Tag knapp 60 Millionen Briefe verschickt wurden. Zum damaligen Zeitpunkt: einsame Spitze in Europa.
Wie zu Zeiten von Goethe und Schiller
Es ist jedoch wahrlich etwas Besonderes (geworden), einen Brief aufzusetzen, in einen Umschlag zu stecken, ihn ausreichend zu frankieren und dann zur Post zu bringen. Allein das Verfassen kommt – im Vergleich etwa zu einer hastig getippten Email – einer feierlichen Handlung, einem Ritual gleich, das in meditativ-kontemplativer Art und Weise vollzogen werden kann. Briefe schreiben hat handwerklichen Charakter. Für all diejenigen, die zusätzlich besonderen Wert auf eine ästhetische Schrift legen, dürfte jener Vorgang heutzutage vom Kunsthandwerk nicht mehr weit entfernt sein…
Dabei überlegt man sich jedes Wort vor dem Niederschreiben genau, wägt es ab, sinniert über dessen Semantik und Wohlklang. Bei einem selbst geschriebenen Brief, real und mit den Händen greifbar, haptisch erlebbar, kann man sich heute durchaus schon mal zurückversetzt fühlen in die Zeiten von Goethe und Schiller, die zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem Beginn des 19. Jahrhunderts unzählige Brief-Korrespondenzen hielten. Dabei entstand eine unzertrennliche Freundschaft zwischen den beiden, die Goethe als sein Heiligtum betrachtete.
Die Geschwindigkeit und Schnelllebigkeit der Neuzeit hat das Schreiben von Briefen per Hand obsolet, überflüssig, gemacht, so die Meinung vieler. Was damit einhergeht, sind auszugsweise folgende Begleiterscheinungen: Das Abhandenkommen der Konzentrationsfähigkeit, der Genussverlust des Geräuschs, das dabei entsteht, wenn der Stift schwungvoll über das Papier gleitet, die Achtsamkeit und die Bedeutung des Moments, in dem man seine Gedanken ordnet und tatsächlich zu Papier bringt, sie fließen lässt und dokumentiert. Es ist der Aderlass einer expressionistischen Handlung, deren Wertigkeit wohl nie mit einer SMS oder einer WhatsApp-Chat-Nachricht gleichzusetzen sein wird. Durch das Schreiben verleiht man der eigenen Persönlichkeit Ausdruck, es ist eine Art Akt der Befreiung: All das, was einem im Kopf umgeht, darf vom Papier angenommen, absorbiert werden – und dort bleiben.
Veränderung durch das Schreiben
Deshalb: Lasst uns wieder mehr zu Füller und Briefpapier greifen, besonders im Privaten. Und wer weiß, vielleicht verändert sich dadurch nicht nur die Art des Schreibens. Die Postkarte der Freundin ist im Gegensatz zur letzten Email jedenfalls immer noch auf meinem Schreibtisch zu finden…
Stephan Hörhammer