Vorderfirmiansreut / Haidmühle. „Das ist Horror, was hier im Dorf los ist.“ So kurz und knapp und so eindeutig beschreibt eine Anwohnerin aus Bischofsreut (Gemeinde Haidmühle) die derzeitige Verkehrssituation direkt vor ihrem Haus. Seit am 27. Juli die Bauarbeiten an der B12 zwischen Herzogsreut und Philippsreut begonnen haben, ist die Bundesstraße komplett gesperrt. Ein kurzes Stück, keine fünf Kilometer lang, kann für mehrere Wochen nicht befahren werden. Für die Anwohner hat die Vollsperrung enorme Umwege zur Folge – und vor allem: extremen Verkehr, direkt vor der Haustüre. Die Umleitungsstrecken führen über kleine, enge, kurvenreiche Strecken: über Mitterfirmiansreut und Mauth nach Freyung und über Haidmühle und Jandelsbrunn Richtung Waldkirchen.
„Die Lastwagen fahren hier wie die Irren vorbei“, beschreibt Steffi Süß-Gibis aus Vorderfirmiansreut die Situation. Ihr Haus liegt nur wenige Meter neben der Umleitungsstrecke. „Nachts kann ich das Fenster nicht mehr öffnen“, sagt sie, „denn die Laster fahren in einer Tour“. Sonntags bereits ab 21 Uhr abends. Der Lärm und die Zahl der Lastwagen sind für sie jedoch nicht das größte Ärgernis, sondern die Geschwindigkeit, mit der der Verkehr an ihrem Anwesen vorbeidonnert. „Hier ist eine geschlossene Ortschaft“, erklärt sie. An die vorgeschriebenen 50 km/h halten sich aber nur die wenigsten, ist sich Steffi Süß-Gibis sicher. „Die Polizei hat schon geblitzt“, erzählt sie. „Die haben gar nicht alle rausziehen können, die sie erwischt haben, weil es so viele waren.“
„Vorsicht Kinder!“ – rücksichtslose Fahrweise empört Anwohner
Gemeinsam mit ihrer Nachbarin Elke Dillinger hat sie nun Schilder an der Straße angebracht: „Vorsicht Kinder!“ Denn nicht nur ihr elfjähriger Sohn Maxi überquert mehrmals täglich die aktuell viel befahrene Strecke. Auch im Nachbarhaus wohnen drei kleine Kinder zwischen einem und fünf Jahren. Ihr Spielplatz im Garten ist nur einen Ball-Wurf von der Straße entfernt. Die Vorderfirmiansreuter hoffen daher sehr, dass die Polizei weiterhin kontrolliert, um gefährliche Situationen so gut wie möglich zu verhindern.
„Ich habe beobachtet, wie zwei Lastwagen sich gegenseitig die Spiegel abgefahren haben“, berichtet Steffi Süß-Gibis. Beide seien einfach weitergerauscht. „Wahrscheinlich haben sie gar keine Zeit, um sich um kleinere Unfälle zu kümmern“, vermutet sie. Wenn direkt vor ihrem Haus, in der geschlossenen Ortschaft, einer den anderen auch noch überholt, dann geht es ihr zufolge manchmal „richtig kritisch“ zu. Hier in Vorderfirmiansreut verläuft die Straße wenige hundert Meter geradeaus. Dies nutzen viele zum Überholen, weil der Rest der Strecke Richtung Mauth kurvig und unübersichtlich ist.
„Die Polizei wird die Verkehrsüberwachung auf der Umleitungsstrecke im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten weiterhin verstärkt durchführen“, versichert Walter Scheungrab, Pressebeauftragter der Polizeiinspektion Freyung auf Hog’n-Nachfrage. Für Steffi Süß-Gibis stellt sich trotz Kontrollen die Frage: Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Muss die Bundesstraße während der Bauarbeiten wirklich komplett gesperrt werden? Die Vollsperrung sei nötig, „damit die Fräs- und Asphaltierungsarbeiten gefahrlos ausgeführt werden können“, schreibt das staatliche Bauamt Passau in einer Pressemitteilung. Erst bei späteren Bauabschnitten könne der Verkehr einseitig an der Baustelle vorbeigeführt werden.
Die Vorderfirmiansreuter haben sich bereits beim Staatlichen Bauamt über die Situation beschwert. Vor wenigen Tagen fällt Steffi Süß-Gibis dann auf: Plötzlich fahren weniger Lastwagen vorbei. Der Grund dafür ist schnell entdeckt: Die Umleitungsschilder wurden geändert. Seit dieser Woche leitet das Staatliche Bauamt den gesamten Schwerlastverkehr (über 3,5 Tonnen) ab Phillipsreut in Richtung Haidmühle um. Problem also gelöst?
Im Schnitt mindestens ein Lkw pro Minute
Für Familie Süß-Gibis hat sich die Situation dadurch etwas entschärft. In der Gemeinde Haidmühle dagegen hat sich die Umleitung schnell zum Gesprächsthema Nummer eins gemausert, denn nun rauscht hier ein Lastwagen nach dem anderen durch die Dörfer.
Was auch hier alle stört: Die teils rücksichtslose Fahrweise vieler Lkw-Fahrer. Der Zeitdruck, der ihnen im Nacken sitzt, da sie durch die Umleitungsstrecke einen weiten Umweg fahren müssen, sei wohl auch hier der Grund dafür, so die Vermutung der Anwohner. Geschwindigkeitskontrollen halten viele für eine wirksame Möglichkeit, um gefährliche Situationen so gut es geht zu verhindern.
Eine stichprobenartige Verkehrszählung zu verschiedenen Tageszeiten ergibt: Innerhalb von zehn Minuten fahren zwischen zehn und fünfzehn Lastwagen durch Haidmühle. Auch viel mehr Autos nutzen die Strecke als an normalen Tagen ohne Umleitung. Und jede Menge Gruppen von E-Bikefahrern sind ebenfalls auf den Hauptstraßen der Gemeinde unterwegs. Eine gefährliche Mischung, wenn Lastwagenfahrer rasant in eine Kurve fahren, zu breit sind und deshalb die Gegenfahrbahn mitbenutzen – oder wenn sich zwei Schwerlaster begegnen und abrupt abbremsen müssen.
Keine andere Möglichkeit, den Verkehr umzuleiten
Haidmühles Bürgermeister Heinz Scheibenzuber beobachtet die Situation ebenfalls genau. Er lobt die schnelle Reaktion des Staatlichen Bauamtes, nachdem er die Beschilderung in der Ortsmitte bemängelt hatte. „Viele Lastwagen sind Richtung Grenzübergang Nove Udoli gefahren, statt der Vorfahrtsstraße Richtung Bischofsreut zu folgen, weil das Umleitungsschild geradeaus zeigte“, sagt er. Das Bauamt habe sogleich ein eindeutigeres Schild aufgestellt. Auch seinen Vorschlag, in Bischofreut die Geschwindigkeit in einer scharfen Kurve auf 30 km/h zu beschränken, habe man sofort umgesetzt.
Den Straßen in der Gemeinde merkt man das hohe Verkehrsaufkommen bereits nach zwei Wochen Umleitung deutlich an: Das Bankett ist beschädigt, Lkw-Reifen haben tiefe Spuren hinterlassen, wenn sie dorthin ausweichen mussten. Innerhalb der Gemeinde sieht man aber durchaus ein, dass es kaum eine andere Möglichkeit gibt, als den Verkehr durch Bischofsreut und Haidmühle umzuleiten. „Ändern kann man es eh nicht“, meint eine Anwohnerin resigniert.
Appell an Rücksichtnahme und Vernunft aller Verkehrsteilnehmer
Auch in der Gemeinde Haidmühle will man nicht tatenlos zusehen und die Polizei kontaktieren, wenn die Lkw-Fahrer weiterhin zu schnell durch die Ortschaften fahren. Regelmäßige Verkehrskontrollen halten die Anwohner für unumgänglich. Solange die Umleitung besteht, bleibt ansonsten nur an die Vernunft und Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmer zu appellieren. Dann gerät in den nächsten Wochen hoffentlich kein Tourist auf einem geliehenen E-Bike zwischen die Fronten, wenn sich zwei Schwerlastzüge in einer engen Kurve begegnen…
Sabine Simon