Bayern/Böhmen. Historisch betrachtet sind der Bayerische und der Böhmische Wald eins. Erst die Geschichte hat aus einer Region zwei Länder gemacht. Nach der kompletten Abschottung voneinander nähern sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Deutsche und Tschechen, Bayern und Böhmen, wieder an. Eine neue Kultur des Miteinanders ist auf diese Weise entstanden. Einen großen Anteil daran haben Verfechter der Völkerverständigung auf beiden Seiten. Zu diesen zählt Jaroslava Pongratz, Netzwerkmanagerin Bayern-Böhmen, die im Hog’n-Interview Rede und Antwort steht.
Frau Pongratz, stellen Sie sich bitte zunächst einmal vor.
Ich bin 38 Jahre alt und ursprünglich komme ich aus dem Bezirk Pilsen, aus der Stadt Nýrsko, zu Deutsch „Neuern“, im Landkreis Klatovy, direkt an der bayrisch-tschechischen Grenze gelegen. Nach meinem Studium der Wirtschaftsinformatik und Statistik an der Fakultät für angewandte Wissenschaften an der Westböhmischen Universität in Pilsen habe ich mehrere Jahre in Linz gearbeitet, wo ich bei der Firma Energie AG Oberösterreich tätig war und vor allem Projekte in der strategischen sowie operativen IT gemanagt habe. Vor knapp zehn Jahren bin ich aus privaten Gründen in den Bayerischen Wald gezogen. Zuerst war ich in der Automotive-Branche tätig – aktuell vernetze ich niederbayerische und tschechische Unternehmen in der Europaregion Donau-Moldau und stärke die gemeinsame Wirtschaftsregion im Grenzgebiet Bayern-Tschechien.
„Ich bin mit Herzblut Netzwerk-Mensch“
Was kann man sich unter dem Begriff „Netzwerkmanagerin Bayern-Böhmen“ vorstellen?
Primär unterstütze ich niederbayerische und tschechische Unternehmen dabei, neue Geschäftsbeziehungen untereinander zu generieren. Es können sich Unternehmen aller Branchen aus beiden Ländern an mich wenden, wenn sie neue grenzübergreifende Kooperationen aufbauen möchten. Zum Beispiel suchen viele niederbayerische und tschechische Unternehmen Zulieferer, neue Kooperationspartner oder Kunden im Nachbarland. Oder wenn sich Unternehmen zu einem bestimmten Thema fachlich austauschen möchten, organisiere ich für sie den Kontakt. Des Weiteren fördere ich auch den bayerisch-tschechischen Technologietransfer und baue viele Netzwerke auf bzw. vorhandene Netzwerke weiter aus. Ich erarbeite ebenfalls verschiedenste Recherchen im Bereich Wirtschaft für Unternehmen, Hochschulen, Forschungsinstitute und weitere Organisationen in Tschechien und umgekehrt.
Dabei handelt es sich etwa um Erhebungen über verschiedene Unternehmen, Zulieferer oder potenzielle Kunden bzw. um Informationen zu konkreten Fachthemen und zu weiteren Thematiken, wie Gesetze, steuerliche Vorschriften, Datenschutz und vieles mehr. Am Rande helfe ich den Betrieben dabei, tschechische Mitarbeiter zu akquirieren. Sämtliche angebotene Dienstleistungen sind für alle Unternehmen kostenfrei, da diese durch das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat sowie durch den Bezirk Niederbayern gefördert sind. Ein weiterer wesentlicher Tätigkeitsbereich ist die Organisation von bayerisch-tschechischen Veranstaltungen, um den Unternehmen eine Plattform zu bieten, ins persönliche Gespräch zu kommen und sich vernetzen zu können.
Zu meinen erfolgreichsten Veranstaltungen, die ich gemeinsam mit dem Niederbayern-Forum organisiert habe, gehören der Bayerisch-Tschechische Unternehmertag und die Unternehmensbörse. Leider musste ich den diesjährigen Bayerisch-Tschechischen Unternehmertag im März, zu dem bereits über 500 Teilnehmer und 150 Aussteller angemeldet waren, aufgrund der Corona-Pandemie eine Woche vorher absagen. Falls es möglich sein wird, wird der nächste Unternehmertag im Frühjahr 2021 in Deggendorf stattfinden. Für heuer im September plane ich einen kleineren bayerisch-tschechischen Workshop.
Was qualifiziert Sie für diese Aufgabe?
Ich war über zehn Jahre in der Privatwirtschaft tätig, daher kann ich die Prozesse und Anforderungen gut nachvollziehen. Zudem habe ich zwei weitere Masterstudien abgeschlossen: zum einen das Masterstudium „Betriebswirtschaft und Management“ an der Wirtschaftlichen Fakultät der Westböhmischen Universität in Pilsen sowie ein MBA-Studium an der Prague International Business School. Sehr wichtig ist für meine Tätigkeit natürlich auch, dass ich beider Sprachen mächtig bin – und dass ich Niederbayern und Tschechien gut kenne. Genauso bin ich seit vielen Jahren mit Herzblut ein Networker, also ein Netzwerk-Mensch, und Mitglied bei zahlreichen wirtschaftlichen Netzwerken, unter anderem Vorstandsmitglied der Wirtschaftsjunioren Regen.
„Viele Vorurteile sind zum Glück schon abgebaut“
Beeindruckend sind Ihre herausragenden Sprachkenntnisse. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin direkt an der Grenze zum Landkreis Cham aufgewachsen und habe daher von klein auf Deutsch gelernt. Die Schule in meiner Heimatstadt Nýrsko hatte schon damals eine Partnerschaft mit einer oberpfälzischen Schule. Dadurch konnte ich bereits als Kind viele Freundschaften und Beziehungen zu Bayern aufbauen und die deutsche Sprache direkt in Bayern lernen. Natürlich hatte ich auch intensiven Deutschunterricht in der Schule, sowohl in der Grundschule als auch am Gymnasium, sowie während meiner Studienzeit.
Wie würden Sie das deutsch-tschechische Miteinander beschreiben?
Meiner Meinung nach sind die bayrisch-tschechischen Beziehungen sehr eng, speziell in den Grenzlandkreisen. Viele Vorurteile sind auf beiden Seiten zum Glück schon abgebaut. Es ist heutzutage völlig normal, dass bayerische und tschechische Unternehmen auf hohem Niveau kooperieren, dass man aus Niederbayern schöne Ausflüge und Urlaube nach Tschechien macht und umgekehrt, dass man im Nachbarland einkauft und vieles mehr. Ich persönlich betrachte die Region schon immer als eine gemeinsame Grenzregion. Seit der Grenzöffnung sind auch zahlreiche grenzübergreifende Projekte entstanden, die das bayerisch-tschechische Miteinander unterstützen und vertiefen sowie die Menschen in beiden Ländern näher zusammengebracht haben – oft gerade im Bayerischen Wald.
In welchen Bereichen ist die Völkerverständigung weit fortgeschritten – und wo besteht Nachholbedarf?
Allgemein ist die Völkerverständigung zwischen den beiden Ländern heutzutage sehr gut organisiert, auch wenn man die Nachbarsprache nicht beherrscht. Die meisten Veranstaltungen werden gedolmetscht, an touristischen Orten sind die Beschreibungen immer in beiden Sprachen vorhanden. Genauso sind wichtige Informationen in verschiedensten Sport- und Freizeitanlagen sowie Erläuterungen von Exponaten auf Ausstellungen und in Museen sowohl auf Deutsch als auch auf Tschechisch übersetzt.
Das größte Problem bei der Völkerverständigung sehe ich stets bei der Sprache selbst. In Bayern sprechen nur wenige Menschen Tschechisch – und in Tschechien sinkt leider stark das Interesse an der deutschen Sprache. Viele junge Leute, auch im Grenzraum, lernen heutzutage vor allem Englisch. Es ist daher sehr schön, dass Projekte existieren, die das Lernen der Nachbarsprache in beiden Ländern unterstützen, wie zum Beispiel das „Zentrum für Sprachkompetenz Deutsch-Tschechisch„, das ebenso seinen Sitz im Europahaus in Freyung hat.
Coronabedingt waren vor Kurzem die Grenzen zwischen Deutschland und Tschechien wieder komplett dicht. Kamen da bei Ihnen Erinnerungen an frühere Zeiten hoch?
Ich habe an die Zeiten damals, als die Grenzen komplett geschlossen waren, nur wenige Erinnerungen, da ich noch ein Kind war. Ich kann mich aber gut daran erinnern, als die Grenzen 1989 geöffnet wurden, dass es danach oft kompliziert war, weil man am Grenzübergang häufig gründlich kontrolliert wurde. Man durfte Waren nur bis zu einem bestimmten Wert aus Deutschland nach Tschechien mitnehmen, weitere Erschwernisse kamen hinzu, wie z.B. strenge Passkontrollen. Aber es war erlaubt, in das andere Land einzureisen. Im Frühjahr dieses Jahres bei Ausbruch der Corona-Pandemie war es aber ein sehr beklemmendes Gefühl, da man von einem Tag auf den anderen nicht einmal mehr nach Tschechien zu seiner Familie reisen durfte, ohne in die Quarantäne gehen zu müssen. Insgesamt betrachtet glaube ich allerdings, dass viele Bürger nun nach der Corona-Krise es viel mehr schätzen werden, dass man frei reisen darf und dass die Grenzen offen sind.
Grenzschließung: „Unternehmen konnten weiter kooperieren“
Welchen Einfluss hat diese temporäre Grenzschließung Ihrer Meinung nach auf das deutsch-tschechische Miteinander?
Was die bayrisch-tschechische Wirtschaft betrifft, konnten die Unternehmen größtenteils weiter kooperieren. In einigen Fällen hatte es sogar positive Effekte, denn einige bayerische Unternehmen hatten vorher ihre wichtigsten Lieferanten beispielsweise in Italien oder in China – durch die Situation konnten zahlreiche dieser Unternehmen nicht mehr liefern bzw. nicht in den gewohnten Zeitintervallen die benötigte Ware zustellen. Aus diesem Grund haben die betroffenen Betriebe Ersatzlösungen in geografischer Nähe gesucht, was in diesen Fällen zu neuen bayerisch-tschechischen Geschäftsbeziehungen geführt und zur Stärkung der grenzübergreifenden Wirtschaft beigetragen hat.
Schwierige Situationen entstanden bei den bayerischen Unternehmern allerdings bezüglich ihrer Mitarbeiter, die täglich aus Tschechien nach Niederbayern pendeln. Den niederbayerischen Arbeitgebern fehlten von einem Tag auf den anderen die tschechischen Mitarbeiter – und die tschechischen Arbeitnehmer konnten wiederum nicht zu ihren Arbeitsstellen fahren bzw. mussten längere Zeit ohne Familie in Deutschland bleiben und sich bei der Rückkehr nach Tschechien in Quarantäne begeben. Gerade diese sehr schwierige Situation mit den Pendlern in der Grenzregion hat meiner Meinung nach das deutsch-tschechische Miteinander, insbesondere auf der tschechischen Seite, in der Corona-Zeit am schwierigsten gemacht.
Es wurde leider oft in Tschechien so dargestellt, dass die Pendler das Coronavirus nach Tschechien mitbringen – dies hat vielen Pendlern das Leben sehr viel schwieriger gemacht. Nach dem Ende der Corona-Pandemie wird es sicherlich entscheidend sein, die bayerisch-tschechischen Beziehungen auf allen Ebenen noch mehr und intensiver zu unterstützen. Ich gehe aber auf keinen Fall davon aus, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gänzlich destabilisiert wurden.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Tätigkeit beeinflusst?
Vor allem musste ich, wie vorher erwähnt, den Bayerisch-Tschechischen Unternehmertag, den ich bereits über ein halbes Jahr lang vorbereitet hatte und der viele grenzübergreifende Beziehungen versprach, absagen. Im Nachhinein habe ich dann aber für alle angemeldeten Unternehmen, bei denen Interesse bestand, neue Kontakte separat vermittelt.
Des Weiteren hat die Situation vielen Unternehmen ihre Tätigkeit verkompliziert, so dass ich sie in zahlreichen Fällen unterstützen musste. Es ging insbesondere um die erwähnten tschechischen Pendler, also vor allem um diejenigen niederbayerischen Unternehmen, zu denen eben von einem Tag auf den anderen die tschechischen Mitarbeiter nicht mehr pendeln konnten. So war es nötig, Informationen bzw. spezielle Genehmigungen anzufordern und Übersetzungshilfe zu leisten. Genauso handelte es sich aber auch um die deutschen Mitarbeiter, die für tschechische Niederlassungen der niederbayerischen Unternehmen tätig sind und nicht mehr die tschechischen Standorte aufsuchen konnten.
„Eine gemeinsame Region wird viele Perspektiven eröffnen“
Die größte Herausforderung dabei war, dass sich die Maßnahmen seitens der Regierungen, speziell auf der tschechischen Seite, sehr oft geändert haben. Des Weiteren musste ich zahlreiche Unternehmen beim Kontakt mit verschiedensten Institutionen unterstützen.
Die Corona-Pandemie hat generell auch die Art meiner Tätigkeit sehr beeinflusst. Als Networkerin habe ich selbst sehr viele Veranstaltungen organisiert und war auf zahlreichen Veranstaltungen in der Region präsent, wodurch sich wertvolle Kontakte ergeben haben. Leider ist das persönliche Networking und das Zusammenkommen in Online-Konferenzen nicht möglich, daher nutze ich in dieser Zeit wesentlich mehr den direkten Kontakt zu den Unternehmen.
Abschließend ein Blick in die Zukunft: Bayern und Böhmen – wie wird sich diese Nachbarschaft entwickeln?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Beziehungen zwischen den Nachbarländern in verschiedensten Bereichen immer mehr an Bedeutung gewinnen werden und eine in der Tat gemeinsame Region noch viele Zukunftsperspektiven eröffnen wird.
Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute für die Zukunft,
Interview: Helmut Weigerstorfer