Pfarrkirchen. „Natürlich sind wir Frauen alle betroffen – die einen mehr, die anderen weniger“, spricht Mia Goller (42) offen das aus, was in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens heute immer noch zur bitteren Wahrheit gehört: sexueller Missbrauch bzw. sexuelle Belästigung von Frauen. Die Dunkelziffer ist hoch, nur ein paar würden sich trauen, den Weg an die Öffentlichkeit zu suchen – aus Angst vor etwaigen Konsequenzen. Sie ist überzeugt: „Auch wenn es ungemütlich ist und schwierig, wir alle müssen über das Thema Sexismus immer wieder reden und den Frauen zuhören. Das sind wir unseren Töchtern und Söhnen schuldig.“ Ein Gespräch über Frauen in der Politik, weibliche Reize, Parität und die Angst davor, nachts alleine durch den Park zu gehen.
Frau Goller: Sie waren neben zwei Männern die einzige weibliche Bewerberin bei den jüngsten Landratswahlen im Landkreis Rottal-Inn – und sind seit Bruni Mayers Abgang als Landrätin 2011 die erste Frau, die für dieses Amt kandidierte. Wie blicken Sie heute auf den Wahlkampf zurück?
Ich hatte nie das Gefühl, dass mich meine männlichen Mitstreiter nicht ernst nehmen würden, nur weil ich eine Frau bin. Ich hatte das schöne Erlebnis, dass Frauen auf mich zugegangen sind und meinten: Wenn Du das machst, dann schaff ich das auch. Sie haben dann für den Stadt- oder Gemeinderat ihres Wohnorts kandidiert. Da ist eine Art Barriere, eine Hemmschwelle, gefallen.
„Legitim ist es nicht – aber es passiert immer wieder mal“
Es gibt so Situationen, da wird mir klar, worum es eigentlich geht: Ich bin irgendwann einmal bei einer Gala im Theater gesessen, zweite Reihe der Ehrengäste. Vor mir: lauter Hemdkragen. Ich war als Bezirksrätin geladen, war die einzige Nicht-Stellvertreterin. Denn es ist ganz oft so in der Politik, dass Frauen die Stellvertreter-Position einnehmen. Jeder kann wählen, was er mag, klar. Aber es ist wichtig, dass sich Frauen für das erste Amt bewerben. Das macht anderen Mut. Ich bin eigentlich ganz normal, mit Schwächen und Besonderheiten, wie jeder Mensch. Das macht es für andere junge Frauen leichter, sich ebenfalls in die Politik zu trauen.
Das ist auch bei Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, zu beobachten: Ihre Sprache ist verständlich, zugänglich. Sie ist so, wie sie ist. Sie macht gute, unverkrampfte Politik, hinter der sie ehrlich stehen kann. Das merken die Leute – und honorieren es.
Wenn Frauen ihre weiblichen Reize bewusst einsetzen, um in der immer noch von Männern dominierten Politwelt gewisse Ziele zu erreichen – ist das legitim?
(überlegt) Nein, legitim ist es nicht – aber es wird immer wieder mal passieren. Es gibt einen großen Unterschied: Es gibt Frauen, die einfach so durchs Leben stöckeln und von einem Posten zum nächsten stolpern. Und es gibt Frauen, die bei Männern gut ankommen – und denen passiert es natürlich auch, dass sie ihre weiblichen Reize einsetzen. Das erlebt jede Frau einmal, dass sie einen politischen Streit mit einem Mann mit einem Augenzwinkern besser beenden kann, weil dieser dann eben a bissal abdriftet… (lacht)
Ich fänd’s schlimm, wenn man als Frau absichtlich und manipulativ einen Mann anbaggert, um die eigenen Ziele zu erreichen, aber es wäre gelogen zu behaupten, Frauen und Männer sind immer gleich. Das stimmt einfach nicht. Männer werden etwa immer wieder mal zum Dominanzgehabe neigen und dies auch für sich nutzen – das ist einfach so.
„Das passiert leider vielen Frauen“
Viele behaupten, dass Politiker heutzutage hübsch sein müssen, wenn sie es weit bringen wollen. Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zum Beispiel gilt als durchaus attraktive Frau. Provokant gefragt: Wurde Sie vor allem deshalb in die Staatsregierung berufen, weil sie gut aussieht?
Ich finde, dass sie zum einen hübsch und zum anderen sehr authentisch ist. Sie macht einen guten Job. Was mich bei ihrer Berufung zur Ministerin damals aufgeregt hat: In der Zeitung wurde ein Foto ausgewählt, bei dem sie an einer Reihe von männlichen Journalisten vorbei schreitet, die ihr alle hinterherglotzen. Im Interview wurde sie gleich gefragt, wie sie das Amt mit ihrer Familie vereinbaren kann. Das gäb’s bei einem Mann nicht.
Sie sind eine von acht Frauen im niederbayerischen Bezirkstag. Wie sind bis dato ihre Erfahrungen in diesem Gremium, was die Gleichbehandlung von Mann und Frau anbelangt?
Alles passiert auf Augenhöhe. Ich bin bei den Grünen, da geht’s ohnehin recht unverkrampft zu. Markus Scheuermann und ich sind ein gutes Team, wir behandeln uns ebenbürtig.
War Sexismus in Ihrer bisherigen politischen Laufbahn ein Thema, mit dem Sie in irgendeiner Weise konfrontiert wurden? Etwa in Form eines unpassenden Spruchs?
Im Bezirkstag überhaupt nicht. Blöde Sprüche gibt’s hin und wieder mal, aber nicht im politischen Rahmen speziell. Das kann etwa im Wirtshaus passieren, wenn einer zu tief ins Glas geschaut hat und rübertätschelt. Oder auf einem Gruppenfoto, wenn man als Frau etwas mehr umarmt wird als gewöhnlich. Das passiert leider vielen Frauen. Das ist scheinbar immer noch normal in Bereichen, in denen man als Frau aus Sicht der Männer eine eher untergeordnete bzw. unterlegene Rolle einnimmt. Da wird man schon mal angebrunftet – als Frau weicht man dann aus, um solche Situationen künftig zu vermeiden. Besser ist, zu sagen: Geh weg! Das ist natürlich unangenehm und nicht jede traut sich das. Eine Frau will ja auch nicht, dass jemand denkt sie sei eingebildet oder kompliziert.
Ein wichtiges politisches Thema aus meiner Sicht: Wir brauchen mehr Frauenhäuser in unserer Region. Orte, an denen Frauen gehört werden, an denen sie geschützt sind, sich zurückziehen können. Frauen, die etwa sexuell belästigt wurden und keine Hilfe bekommen.
„Ich hatte früher immer Tränengas in der Tasche“
Was muss passieren, dass die Parität in der Politik – sprich: Männer und Frauen bekleiden zu gleichen Teilen die vorhandenen Ämter – Wirklichkeit wird?
Es hilft nichts: Da müssen die Grünen an die Macht (lacht). Im Ernst: Es geht um die Einführung einer Quote, was wir Grünen schon lange fordern. Ich persönlich hatte durch mein Frausein nie einen Nachteil. Ich habe aber selbst erlebt, wie etwa Vorberatungen unter Männern bei Vorstellungsgesprächen ablaufen können. Da fällt schon mal der Spruch: Nein, die nehmen wir nicht, die ist 30, die bekommt noch ein Kind und wir verlieren so unsere Arbeitskraft. Männer stellen daher eher Männer ein, das ist so. Und Frauen haben es im Alter zwischen 30 und 40 schwerer einen Job zu bekommen. Die müssen mehr kämpfen. Früher war ich der Meinung: Eine Quote brauchen wir nicht, nur weil ich selbst sie eben nicht gebraucht habe. Heute sehe ich das anders.
Ganz wichtig ist neben der Quote auch, dass sich Männer ihre Elternzeit erkämpfen. Man beobachtet häufig, dass Männer in Elternzeit gehen und dann von ihrer Umgebung, vom Chef oder den Mitarbeitern, Druck bekommen. Ich kenne Fälle, da sind Männer drei Wochen zu Hause beim Kind geblieben – und danach wieder in die Arbeit gegangen, weil ihm suggeriert wurde er sei nun doch unentbehrlich… Und die Frau hat dann den Job wieder hingeschmissen und ist zu Hause bei den Kindern geblieben. Deshalb: Die Männer, die etwas ändern wollen, gehören gestärkt.
Hatten Sie schon mal Angst, sich abends oder nachts alleine durch Pfarrkirchen oder Eggenfelden zu bewegen? Oder allgemein gefragt: Haben Frauen heutzutage Angst abends oder nachts alleine unterwegs zu sein?
Schon immer. Ich hatte früher immer Tränengas in der Tasche. Heute nicht mehr, weil ich nie alleine unterwegs bin. Ich würde nachts nicht alleine durch den Stadtpark gehen. Das hab ich noch nie getan – und das nichts mit einem Ausländeranteil zu tun hat.
„Natürlich fühle ich mich da eingeschränkt“
Passiert ist Ihnen bislang noch nichts, oder?
Nein. Ich bin aber auch noch nie in der Situation gewesen, dass etwas passieren könnte. Ich gehöre zur Generation, die noch regelmäßig Aktenzeichen XY geschaut hat. Ich bin damit aufgewachsen – und somit generell vorsichtig. Ich gehe alleine durch den Wald, im Dorf macht’s mir nichts aus abends allein unterwegs zu sein. Aber ich würde in der Nacht nicht alleine durch München gehen, auch nicht durch den Pfarrkirchener Stadtpark oder eine Tiefgarage in Eggenfelden. Also da, wo ich das Gefühl habe, dass mir niemand helfen könnte. Als Frau denkst du immer voraus. Du denkst dir Sachen wie: Der Typ hat mich schon mal so komisch umarmt, neben den hocke ich mich jetzt nicht hin.
Fühlen Sie sich dadurch in Ihrer Freiheit eingeschränkt?
Natürlich fühle ich mich da eingeschränkt. Männer sind da weniger anfällig. Die leben anders – unbedachter und freier.
Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute weiterhin.
Interview: Stephan Hörhammer