Ringelai. Von der Geschäftsleiterin der ILE Ilzer Land zur Bürgermeisterin von Ringelai: Dr. Carolin Pecho hat es im ersten Anlauf geschafft, Chefin im Rathaus zu werden. Die promovierte Historikerin stammt aus Kühbach, einem kleinen Dorf in der Gemeinde. Nach dem Studium in Berlin und Paderborn zog es sie schnell wieder zurück in die Heimat. Dem Onlinemagazin da Hog’n erzählt sie im Interview, warum sie dringend Wohnungen im Ringelaier Zentrum schaffen will, was sie in Sachen Digitalisierung vorhat – und warum sie Landwirte und Umweltschützer an einen Tisch bringen will.
Frau Pecho: Ihre Stelle bei der ILE Ilzer Land haben Sie gegen das Bürgermeisteramt getauscht. Mussten Sie diese aufgeben?
Ich habe sie freiwillig aufgegeben. Ich bin ehrenamtliche Bürgermeisterin, könnte also nebenher arbeiten. Aber wir haben eine Vollverwaltung mit Rathaus, Bauhof und Putzkräften mit mehr als 20 Mitarbeitern in der Gemeinde. Das Aufgabenfeld ist so groß, dass man es Vollzeit bewältigen muss. Und das möchte ich auch, weil es mir wichtig ist.
Wie ist Ihr Eindruck nach den ersten acht Wochen im Amt: Gibt es mehr zu tun, als Sie gedacht hätten?
Ich wusste durch meine Beschäftigung beim Ilzer Land, um was es geht. Was mich überrascht hat: Man kann als Bürgermeisterin sehr rasch bestimmte Weichen stellen und Entscheidungen treffen, die gewisse Auswirkungen haben. Ich dachte, am Anfang hat man etwas mehr Zeit, um in die Aufgabe hinein zu wachsen: Ich konnte aber sofort gestalten, was mich wirklich freut. Und es ist jeden Tag was Neues: Seit 1. Mai geht jeden Tag eine neue Baustelle auf.
„Ich weiß, wo die Probleme einer Schneckenpresse liegen“
Im Gemeinderat wurde bereits die Sanierung der Kläranlage besprochen. Da kommt man als neue Bürgermeisterin ins Büro und muss sich gleich mit Klärschlammpressen befassen…
So ging es mir bereits 2018, als ich bei der ILE angefangen habe. Damals habe ich gedacht: Uh, was ist das eigentlich? In Sachen Klärschlammpressen oder Filterbauwerk, das wir bauen, bin ich also schon eingearbeitet. Ich weiß, auf was man achten muss. Ich kenne die Leute, die dieses Thema beim Ilzer Land betreuen, ich kenne andere Kläranlagen. Ich weiß etwa, wo die Probleme einer Schneckenpresse liegen.
Gab es in den ersten Wochen ein anderes Thema, bei dem Sie gemerkt haben: Hier muss ich definitiv noch viel lesen, mich informieren?
Alles, was mit der Kommunalverwaltung insgesamt zusammenhängt, etwa die Haushaltsaufstellung, die rechtlichen Themen im Hintergrund. Dafür gibt es normalerweise Crash-Kurse zu Beginn der Bürgermeisterzeit. Wegen Corona ist das alles ausgefallen, wird aber nachgeholt. Ich freue mich drauf, denn der ganze rechtliche Unterbau ist notwendig. Und ich merke, dass es Sachverhalte gibt, die man in der Gruppe mit Experten diskutieren muss.
Kurzer Rückblick auf den Wahlkampf: Lief er von Anfang an in Ihrem Sinne?
Zu Beginn lautete die Frage: Wie funktioniert so ein Wahlkampf eigentlich? Ich war nie in einem kommunalen Gremium involviert. Das Team zusammen zu stellen, sich zu überlegen: Was möchte ich machen, welche Themen, welche Farben soll mein Wahlkampf haben – das war interessant.
Ich habe den Wahlkampf sehr positiv empfunden. Nicht als Kampf, sondern als positive Erfahrung. Ich war an den Haustüren unterwegs und habe mich überall vorgestellt. Natürlich kommen kritische Nachfragen, aber ich bin mit allen ins Gespräch gekommen. Auf den Wahlversammlungen haben wir teils bis in die Nacht hinein kontrovers diskutiert. Das hat mir gewisse Punkte nähergebracht, die ich noch nicht auf dem Schirm hatte, auf die ich nun aber reagieren kann.
Was war in Ihren Augen ausschlaggebend dafür, dass Sie gewählt wurden?
Mein Gefühl ist: Hinter mir stand ein gutes Team. Vielleicht hat meine Erfahrung in der ILE eine Rolle gespielt. Aber ich glaube, es war tatsächlich die Überzeugungsarbeit. Das ist eine Erfahrung, die ich schon vorher gemacht habe: Zuhören und herausfinden, wo die Probleme liegen, um entsprechend reagieren zu können – das ist etwas, was man als Historikerin lernt, was ich schon immer praktiziert habe.
„Corinna wird in der ILE andere Schwerpunkte setzen als ich“
Kommen wir kurz zur ILE Ilzer Land: Ihre Nachfolgerin ist bereits im Amt. Eine sehr junge Dame, die 22-jährige Corinna Molz. Unterstützen Sie sie weiterhin?
Wir haben uns im Mai viel Zeit für die Übergabe genommen, aber manche Fragen tauchen erst nach und nach auf. Ich selbst bin als Bürgermeisterin auch wieder Teil der ILE. Sicher muss sie aber auch ihren eigenen Weg finden und wird andere Schwerpunkte setzen als ich. Wenn sie Fragen hat, bin ich da. Wir wollten auf jemanden aus der Region setzen und durchaus auf eine Einsteigerin, weil wir durch sie wieder neue und andere Ideen bekommen. Wir werden stärker auf Digitalisierung setzen und auf die Vernetzung der Projektkoordinatoren. Die Kommunikation, die Organisation des Teams – bis jetzt geht der Plan auf, warum wir uns für sie entschieden haben.
Das heißt, Sie haben bei der Besetzung der Stelle ein Wort mitgesprochen?
Nicht bei der Entscheidung selbst, aber bei der Vorauswahl. Eher beratend: Ich habe gesagt, was meine Aufgaben waren und was wir gemacht haben. Entschieden hat aber die ILE-Vorstandschaft.
Auch in der Gemeinde wollen Sie die Digitalisierung voranbringen. Was packen Sie dabei konkret als erstes an?
Erst einmal brauchen wir Geld dafür. Digitalisierung ist nie ein Hauruck-Thema, wenn sie auf einer ordentlichen Struktur basieren soll. Es gibt sehr viele Fördermaßnahmen, wir müssen aber diese Fördermittel mit Projekten zusammenbringen, die uns wirklich nutzen. Wir haben mit dem Förderbescheid „Land digital“ bereits eine Grundlage geschaffen und bewerben uns jetzt für diverse weitere Fördermaßnahmen.
Wir brauchen eine bessere Vernetzung unserer digitalen Angebote. Jede Gemeinde hat eine Homepage, einen Veranstaltungskalender. Wie bringen wir es fertig, dass ein Bürger vor Ort alles abrufen kann? Man hatte bis jetzt vor allem die Touristen im Blick. Aber auch die Bürger sollten die Angebote nutzen können. Was für mich ganz wichtig ist: der ÖPNV. Wie kommen die Fahrpläne in die Handys und damit in die Hosentaschen der älteren Bürger? Wir haben mit dem Rufbus und dem Citybus, der von Freyung bis Ringelai fährt, ein System, das gut funktionieren kann. Aber wie kriege ich die Leute dazu, es auch wirklich zu nutzen? Ein weiterer wichtiger Punkt: Wie können wir unsere regionalen Selbstvermarkter dabei unterstützen, ihre Produkte bekannter zu machen?
„In der Ortsmitte bräuchten wir unbedingt Wohnungen“
Was kann man konkret für die Unternehmen vor Ort machen? Eine Plattform, auf der sie ihre Produkte anbieten?
Die gibt es zum Teil schon. Im Moment geht es mehr ums Thema Öffentlichkeitsarbeit. Wir machen das gerade in der Öko-Modellregion: Wir haben für Facebook eine Reihe entwickelt, die die regionalen Öko-Produzenten im Blick hat. Das läuft besser als alles andere, was wir bisher auf der Social-Media-Plattform hatten – mit schönen Fotos, guten Texten. Wir wollen den Betrieben zeigen, was möglich ist.
Wir hatten den Fall, dass ein Betrieb viel zu viele Kartoffeln hatte – zu Beginn der Coronakrise. Gasthäuser als Abnehmer fielen weg. Wir waren mit dem Projekt noch in der Versuchsphase, haben dazu dann den ersten Post gemacht. Und der Betrieb hat alle Kartoffeln innerhalb einer Woche verkauft.
Es gibt im Dorf ein paar Leerstände. Was sind Ihre Ideen, um diese in den nächsten Jahren zu beleben?
Das ist eines der ganz wichtigen Themen. Die Leerstände haben wir hier in Ringelai, aber auch außen in den Dörfern. Eine Überzeugung, die ich aus dem Ilzer Land mitgenommen habe, ist aber: Wenn man das Zentrum belebt, hat das auch einen guten Effekt auf die Orte außen herum.
In der Ortsmitte bräuchten wir unbedingt Wohnungen. Sie würden zum einen älteren Mitbürgern erlauben, in Ringelai zu bleiben. Und gleichzeitig würden Häuser für eine jüngere Generation frei. Das ist ein Thema, das mich sehr interessiert, da brauche ich aber Partner. Der Gemeinde gehören die Leerstände nicht, aber ich bin bereits in Gesprächen mit Eigentümern.
Ein Leerstand, der der Gemeinde tatsächlich gehört, ist das alte Feuerwehrhaus. Ab Mitte August steht uns das neue zur Verfügung. Im alten Gebäude ließen sich etwa Mobilitätsangebote umsetzen, in Sachen Wandern und Tourismus ist es ein interessanter Ort, direkt an der Brücke Richtung Freyung gelegen. Ich bin gerade in Gesprächen mit den Vereinen: Welche Ausstattung braucht ein Raum für die Vereinsarbeit? Brauchen wir zum Beispiel eine Werkstatt, wo Vereine etwas produzieren können?
Für mich ist das alte Feuerwehrhaus ein interessanter Ort auch in puncto Warenwirtschaft: Es könnte ein Verkaufsraum entstehen, ein Informationsraum oder auch ein Arbeitsraum. Wir sehen jetzt, dass Homeoffice an seine Grenzen stößt, dass aber Co-Working funktionieren könnte. Auch dafür wären dort Möglichkeiten vorhanden.
„Ich spüre, dass sich Landwirte angegriffen fühlen“
Gibt es auch Bemühungen, neue Betriebe in Ringelai anzusiedeln?
Es gibt Anfragen für neue Betriebe, allerdings fehlen uns die Gewerbeflächen. Deshalb konzentriere ich mich darauf, dass die, die wir haben, auch weiterhin als Gewerbeflächen genutzt werden können. Hier möchte ich unterstützend zur Seite stehen. Wenn jemand keinen Nachfolger innerhalb der Familie hat: Wie können wir Leerstände vermeiden, indem wir gute Übergaberegelungen haben?
Momentan gibt es einen Boom beim Bau von Privathäusern. Draußen an der Anschlagtafel des Rathauses liest man von etlichen Bauanfragen. Wie schafft man es, nicht alles mit Baugebieten zuzupflastern?
Neue Baugebiete gibt es in unserer Gemeinde im Moment nicht. Zuerst geht es bei uns um Lückenschlüsse. Das kann ich durchaus unterstützen – neben den Wohnungen, die ich, wie gesagt, gerne hätte. Wir haben auch einiges verkauft, was in gemeindlicher Hand war. Und wir schauen, dass wir Abrundungen in den Ortschaften erreichen, mit den Grundstückseigentümern dort reden.
Im Wahlkampf haben Sie betont, Sie möchten, dass in der Gemeinde miteinander statt übereinander geredet wird. Vor allem zwischen Landwirtschaft und Naturschutz soll es Gespräche geben?
Ich hätte gerne schon Versammlungen, auch Dorfversammlungen, gemacht – wegen Corona gab es sie noch nicht. Wir fangen jetzt erst langsam an. Einzelgespräche gab es mit den Akteuren.
Wie groß ist die Herausforderung, Umweltschutz und Landwirtschaft unter einen Hut zu bringen?
Groß. Aber ich verstehe die Landwirte: Wir haben noch einige große Bauern vor Ort. Sie sind durchaus in Naturschutzprogramme integriert. Denen ist Naturschutz nicht komplett egal. Aber sie wollen nicht an den Pranger gestellt werden – zum Beispiel in Sachen Nitratwerte.
Ich spüre, dass sich die Landwirte angegriffen fühlen. Sie sind durchaus gesprächsbereit, aber sie möchten nicht mit Beschuldigungen konfrontiert werden, die vielleicht global richtig sind, aber lokal keine Grundlage haben. Sie wollen zeigen: Wir sind zwar kein Bio-Betrieb, aber wir wirtschaften trotzdem landschaftlich sinnvoll. Unsere Landwirte sind Gestalter der Natur. Der Naturraum, so wie wir ihn jetzt haben, basiert auf einer Landwirtschaft, die auf diesen Flächen funktioniert. Sonst würden sie verwalden – oder wir hätten nur noch Solarparks.
„Es geht mir um Mitsprache“
Wenn Sie sechs Jahre in die Zukunft blicken: Was hat sich dann in Ringelai idealerweise verändert?
Eine Herausforderung ist das Ehrenamtswesen. Ich hoffe, dass wir in sechs Jahren gute Lösungen gefunden haben, dass die Vereine Nachfolger finden. Wir haben viele altgediente Vereinsmitglieder, die Jahrzehnte lang die Vorstandschaften bestimmt haben – jetzt stehen in fast allen Vereinen Zeiten des Umbruchs bevor. Das zu gestalten wird eine ganz große Aufgabe.
Zufriedene Menschen zu haben, die im Zentrum leben, die auch hier arbeiten können und die sich ehrenamtlich engagieren – denn ohne das Ehrenamt funktioniert das alles nicht –, das ist es, was mich wirklich umtreibt.
Und dann geht es mir um Mitsprache: Die Gestaltung des Dorfzentrums kann nur mit Mitsprache funktionieren. Hier wollen wir uns Ideen von Vereinen und Erwachsenen anhören, aber auch den jungen Leuten zuhören, sie ernst nehmen und in die Entscheidung mit einbringen: Was wären eure Gründe, hier zu bleiben? Wenn wir das hinkriegen, dass wir allen zuhören und möglichst viele Vorstellungen integrieren, das wäre super. Das habe ich vor.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben – und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Sabine Simon