Freyung-Grafenau. Dieser Einsatz des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes sorgt für Diskussionen: In Folge eines Todesfalls in einer dem Onlinemagazin da Hog’n bekannten, aber im Gesamtkontext nebensächlichen Ortschaft im Landkreis Freyung-Grafenau wurde jener Dienst der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) in Anspruch genommen, um den obligatorischen Totenschein auszustellen. Der alarmierte Arzt kam aber nicht etwa aus dem unmittelbaren Umkreis, sondern legte für den Einsatz 176 Kilometer zurück, weil kein anderer Kollege verfügbar war – die Kosten: über 200 Euro.
Um die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu entlasten, indem weniger schwere Fälle von den Akutstandorten ferngehalten werden, hat der KVB von 2014 an die bestehende Bereitschaftsdienstordnung überarbeitet und vier Jahre später den sog. Ärztlichen Bereitschaftsdienst, der unter der Telefonnummer 116 117 erreichbar ist, eingeführt. Seitdem werden, wie es in einer Broschüre der Kassenärztlichen Vereinigung heißt, 68 Prozent aller Notfälle an Wochenenden und Feiertagen von den „Ärzten auf Rädern“ versorgt – dazu zählen „nicht lebensbedrohliche Beschwerden“ (wie beispielsweise starke Bauchschmerzen) genauso wie Leichenschauen.
„Fahrstrecken dieser Größenordnung können vorkommen“
Kurz und knapp: Fälle, die auch vom Hausarzt behandelt werden könnten, werden durch diesen – immer noch neuen – Dienst abgefangen. Inzwischen seien die Unterscheidungskriterien zwischen Notarzt und Ärztlichem Bereitschaftsdienst auch in der Bevölkerung angekommen, wie Axel Heise, stellv. Pressesprecher des KVB, betont: „Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die 116 117 ganz allgemein und der Unterschied zum Notdienst noch einmal bekannter sind.“
In der Bereitschaftsdienstregion Passau/Freyung-Grafenau, zu der auch eingangs erwähnte Ortschaft gehört, sind 260 Ärzte am Bereitschaftdienst beteiligt. An einem Wochenende seien in diesem Gebiet (FRG/Teile Passau und Teile Rotall-Inn) 33 Ärzte in 33 Schichten verfügbar. Eine pauschale Angabe, welchen Bereich jeweils ein Mediziner abdecken müsse, sei nach Auskunft von Axel Heise nicht möglich, „da die Einsatzkoordinierung abhängig ist vom Wohnort des Patienten und dem Fahrzeug, das in größtmöglicher Nähe verfügbar ist – auch regionenübergreifende Einsätze sind möglich.“ Also es ist durchaus vorstellbar, dass ein Deggendorfer Arzt in den Landkreis FRG gerufen wird. Angesprochen auf den konkreten Vorfall eines Einsatzweges von knapp 200 Kilometern, antwortet der stellv. KVB-Pressesprecher: „Fahrtstrecken in dieser Größenordnung können durchaus im Einzelfall – hier offenbar im Zusammenhang mit einer Todesfeststellung/Leichenschau – vorkommen.“
Die Aufwandsentschädigung für den genannten Einsatz ist das eine. Die tatsächliche Gebühr für den Mediziner das andere. Geregelt ist die Bezahlung von Doktoren im Falle von Privatversicherten in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Jodok Müller, stellv. Pressesprecher der Bayerischen Landesärztekammer, erklärt dazu: „Nach der GOÄ haben Ärzte gegenüber Patienten, die bei einer privaten Krankenversicherung versichert sind, abzurechnen. Sie ist eine Rechtsverordnung, welche durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wird und Mindest- und Höchstbeträge für die Gebühren ärztlicher Leistungen bestimmt. Sofern Ärzte für gesetzlich versicherte Patienten Leistungen erbringen, die nicht zum Spektrum der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehören, sog. Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), sind diese Leistungen ebenfalls nach der GOÄ abzurechnen.“ Mitglieder gesetzlicher Krankenkasse werden hingegen nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab direkt mit der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet.
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit bleibt offen
Anpassungen der Gebührenhöhe werden regelmäßig vorgenommen, „um zu gewährleisten, den aktuellen Stand der Medizin abzubilden“. Entsprechende Teilnovellierungen wurden 1982 und 1996 durchgeführt – aber auch zum 1. Januar 2020. Zum Start ins aktuelle Jahr wurden vorrangig die Aufwendungen der ärztlichen Leichenschau angepasst. Insgesamt seien diese kleineren Justierungen allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wie Jodok Müller verdeutlicht. Denn: „Die Bayerische Landesärztekammer fordert seit Jahren eine Novellierung der GOÄ. Dabei geht es nicht nur um die Anpassung der Gebühren. Durch den medizinischen Fortschritt gibt es mittlerweile auch viele ärztliche Leistungen, die in der aktuellen GOÄ gar nicht berücksichtigt sind.“
Zurück zur Ausstellung eines Totenscheins im Bayerischen Wald: Den Worten von Axel Heise und Jodok Müller zufolge ist es einerseits nicht ausgeschlossen, dass Mediziner im Rahmen des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes derart weite Strecken zurücklegen müssen. Andererseits würden sich die Gebühren für Doktoren in einem ansprechenden, vielleicht sogar zu niedrigen Rahmen bewegen. Die aus Bürgersicht infrage gestellte Verhältnismäßigkeit bleibt also offen bzw. erlaubt eigene Interpretationen. Aus Sicht der Ärzte hat alles seine Legitimation.
Helmut Weigerstorfer
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- KVB-Broschüre „Faktencheck Bereitschaftsdienst“
- KVB-Broschüre „Der Ärztliche Bereitschaftsdienst in Bayern“