Straubing/ Herzogsreut. „Gerade auf dem Land ist es von elementarer Wichtigkeit Clubs und Discos zu erhalten“, davon ist Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, fest überzeugt. In Corona-Zeiten mehr denn je. Der 57-jährige Straubinger will sich deshalb für die Anerkennung von Clubs als Spielstätten und kulturelle Orte einsetzen.
Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht Grundl über die jüngsten von der Staatsregierungen angekündigten Lockerungen im Kulturbetrieb, über das Konzept von Live-Streams im Internet, über Markus Söders Corona-Politik, seine Anträge im Bundestag zum Erhalt der Club-Szene und darüber, warum Viechtachs Bürgermeister Franz Wittmann seiner Meinung nach eher Lob verdient als dessen Pfarrkirchener Pendant Wolfgang Beißmann.
„Ein Hin und Her könnte für viele das Ende bedeuten“
Ministerpräsident Markus Söder hat vor Kurzem eine Ausweitung kultureller Veranstaltungen angekündigt: Ab 15. Juni sind wieder Theatervorstellungen, Konzerte und Kinovorführungen möglich – unter strengen Auflagen. Was halten Sie davon? Kommt diese Lockerung zu schnell?
Ob die Lockerung zu schnell kommt, müssen Virologen beantworten. Ich nehme an, dass sich auch die Bayerische Staatsregierung hier das Fachwissen holt. Für einige Einrichtungen und Unternehmen im Kultur-Bereich kann die Lockerung gut sein. Fatal wäre es aber für alle, wenn man nach kurzer Zeit nochmal schließen müsste. Ein Hin und Her könnte für viele das Ende bedeuten. Ich denke da besonders an die Kinobetreiber, die zum Beispiel bei ihrer Programmgestaltung von bundesweit einheitlichen Bedingungen abhängen.
Laut Kunstminister Bernd Sibler (CSU) werden für Kulturveranstaltungen im Freien zunächst 100 Besucher zugelassen sein, in geschlossenen Räumen liegt die Obergrenze bei 50 Gästen. Als nächster Schritt sei eine Begrenzung auf 500 beziehungsweise 350 Menschen denkbar, dafür müsse man aber die ersten Erfahrungen abwarten. Sind diese Regelungen Ihrer Meinung nach sinnvoll?
Die Ankündigungen bleiben trotz der genannten Zahlen letztendlich ungenau und vage, so wie man es von der Staatsregierung mittlerweile leider schon kennt. Was ist etwa unter „Konzerte“ zu verstehen? Rockkonzerte bei stehendem Publikum? Der Öffentlichkeit per Pressekonferenz das Signal zu senden: Konzerte sind jetzt wieder möglich – und die Betreiber dann mit der Umsetzung und der Frage der Rentabilität, vor allem im nicht-subventionierten Kulturbereich der freien Szene, alleine zu lassen, ist alles andere als dienlich. Es entbindet vor allem die Politik nicht von der entscheidenden Aufgabe, für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur zu kämpfen.
Besonders das muss die bayerische Staatsregierung angehen.
Beim Theaterbesuch wird Sibler zufolge die ganze Zeit über eine Mundschutz-Pflicht und ein Abstandsgebot bestehen. Die Theater seien dabei, angepasste Konzepte für Vorstellungen zu entwickeln – zum Beispiel Aufführungen ohne Pausen sowie kürzere Stücke. Kann ein derartiger Theaterbesuch Ihrer Meinung nach ein gelungenes Theatererlebnis vermitteln?
Die Theatermacher sind kreative Leute und ich sehe darin keine unüberwindbaren Probleme. Die deutliche Mehrheit der Experten betont etwa, dass besonders das Abstandsgebot ein wichtiges Element bei der Bekämpfung der Pandemieausbreitung ist.
„Kultur ist kein Sahnehäubchen“
Das Kanapee-Streaming-Festival fand vor Kurzem im Landkreis FRG statt. Das Festival kam gut bei den Leuten am Bildschirm zuhause an, auch die Musiker waren froh, wieder mal auf einer Bühne zu stehen. Was halten Sie von diesem Konzept? Ist das eine gute Alternative?
Die Idee, in Corona-Zeiten aufs Internet auszuweichen, ist generell gut. Die Künstler haben ja quasi ein Arbeitsverbot durch die Kontaktbeschränkungen. Ich hab das Festival zwar nur am Rande verfolgt – doch das, was ich mitbekommen habe, hat mir sehr gut gefallen. Auch eine gewisse Spendenbereitschaft war vorhanden, wobei bei vielen Menschen, die sich im Internet tummeln, nach wie vor eine gewisse Gratis-Mentalität vorherrscht. Dennoch ist die Solidarität der Leute mit den Kreativen, den Kunstschaffenden zu erkennen.
Mittelfristig ist jedoch ganz entscheidend, dass für die Künstler auch etwas dabei herausspringt. Ich sag immer gerne: Kultur ist kein Sahnehäubchen. Sie ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und Kultur hat ihren Preis, wie alles andere auch. Ohne Geld hält’s keiner lange durch.
Was denken Sie: Wann werden Clubs wie das Alte Spital in Viechtach wieder voll durchstarten können? Wann wird es wieder Live-Festivals mit tausenden von Besuchern geben? Und: Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden?
Ein Club wie das Alte Spital hat weit über Viechtach hinaus eine Bedeutung, er ist wichtig für die Gesellschaft. Auch die Solidarität in der Bevölkerung mit einer solchen Einrichtung spielt hier eine große Rolle. Die Kommune hat’s verstanden, dass es sich beim Alten Spital und dessen aktueller Nutzung um ein Aushängeschild handelt – das ist nicht selbstverständlich.
Das allerwichtigste ist meiner Meinung nach die Frage des Gesundheitsschutzes. Die Abstandsregelung muss eingehalten werden. Doch: Kommt die Stimmung, das man sich bei einem solchen Konzertbesuch erhofft, überhaupt zustande? Wohl eher nicht. Ich denke, dass Veranstaltungen, bei denen Körperkontakt und Schweißaustausch Teil des Erlebten sind, noch lange nicht möglich sein werden.
Es ist generell wichtig ein Konzept zu finden, wie man dies alles finanziell unterstützen kann. Hier muss sich die Politik auf die Aussagen von Virologen verlassen. Der Sinn und Zweck der Politik liegt derzeit darin, dass wir die Coronakrise wirtschaftlich in den Griff bekommen, damit die Leute durch die Pandemie kommen. Dass die Betreiber nun – wenn auch vorerst nur im kleineren Rahmen – wieder öffnen dürfen, ist definitiv ein erster, wichtiger Schritt.
„Da ist ein gewisser Flurschaden entstanden“
Ein Experte hat jüngst gemeint: „Erst, wenn wir einen Impfstoff haben oder die Pandemie vorbei ist und die Immunität in der Bevölkerung angestiegen ist, werden die Clubs wieder öffnen können, werden Festivals wieder mit Publikum stattfinden können“. Was sagen Sie dazu?
Die Pandemie werden wir tatsächlich erst in den Griff bekommen, wenn es einen Impfstoff gibt. Das wird wohl noch lange dauern. Doch was passiert gerade? Man sieht’s bei der Fußball-Bundesliga: Es wird Druck aufgebaut, die Leute wollen zurück zur Normalität. Das schlimmste, was passieren kann, ist ein erneuter Shutdown, bei dem die jetzigen Lockerungen wieder zurückgenommen werden. Für die Kinobetreiber etwa wäre es alles andere als förderlich zunächst aufzusperren – und dann in vier Wochen wieder zuzusperren. Denn dann kommt wohl bei einer neuerlichen Öffnung gar keiner mehr.
Die Politik muss hier eine gewisse Kraft haben dem Druck stand zu halten. Dieser kommt von den Betroffenen, er kommt aber auch aus der Presse usw. Wenn der Erste umfällt, haben wir einen Domino-Effekt – und der ist wider die Vernunft. Deshalb gilt es den eingeschlagenen Weg durchzuziehen.
Also so wie es Markus Söder in Bayern bislang praktiziert, oder?
Es gab und gibt kein Drehbuch für die Pandemie, es war und ist alles neu. Söder hat an vieles gedacht – auch natürlich an sich selbst. Aber ich will ihm nichts wegnehmen: Er legt eine gewisse Stringenz an den Tag, die gut ist. Da macht er’s besser wie etwa NRW-Ministerpräsdient Laschet, der zu sehr getrieben agiert.
Allerdings ist gerade im Kulturbereich Kritik angebracht, denn es hat mehr als vier Wochen gedauert ein entsprechendes Soforthilfe-Programm für Künstler in die Wege zu leiten. Die Grünen haben von Anfang an mit den Kunstschaffenden gesprochen, etwa über die Unterscheidung von Betriebskosten und Lebenshaltungskosten.
Fazit: Die Staatsregierung in Bayern hat einiges richtig gemacht, doch im Detail hat sie dann doch nicht so genau hingeschaut. Bei den Pressekonferenzen entpuppten sich viele Versprechen als Fata Morgana, die nicht gehalten hat, was in Aussicht gestellt wurde. Die Aufgabe der Grünen war es von Anfang an, den Fokus genau darauf zu richten, wo Menschen zurückgelassen, ja vergessen werden – und das ist im Kulturbereich leider in vielen Fällen so geschehen. Da ist ein gewisser Flurschaden entstanden für die gesamte Politik.
„Relevant für eine freie, offene und pluralistische Gesellschaft“
Sie haben in einer Pressemitteilung gesagt: „Es braucht jetzt Taten! Ansonsten können wir der Clubszene beim Sterben zuschauen.“
Es geht um die Frage: Sollen die Clubs erhalten bleiben oder nicht? Ich sage hierzu ganz klar: Ja, weil die Clubs kulturelle Orte sind, sie sind Labore für neue Kunstformen. Wenn man diese wegbrechen lässt, kostet das, was man nachher dafür zahlen muss, um diese neu zu erschaffen, ein Vielfaches mehr als diejenigen Hilfen, die es jetzt zu leisten gilt. Es geht um die Einzelnen, um die Betroffenen, aber es geht auch um die Strukturen. Und bei manchen Clubs schaut’s schon sehr duster aus momentan.
Können Sie folgendem Satz zustimmen: „Clubs und Festivals sind systemrelevant“?
Sie sind gesellschaftsrelevant. Sie sind relevant für eine freie, offene und pluralistische Gesellschaft.
Ihre Anträge „Maßnahmen zur Rettung der kulturellen Infrastruktur in der Corona-Krise“ und „Clubs sind Kultur – Verdrängung stoppen“ – wann wird darüber entschieden?
Aufgrund von Corona wird es hier leider zu Verzögerungen gekommen, über den Antrag wird wohl nach der Sommerpause abgestimmt werden. Ich bin da auch zuversichtlich, dass es zu einem positiven Ergebnis kommt. Fakt ist: Es hat sich – quer durch alle Fraktionen außer der AfD – eine Parlamentariergruppe zur Club-Kultur gebildet, bei der ich stolzes Gründungsmitglied bin. Wir haben ein gemeinsames Ziel, das da heißt: die Anerkennung von Clubs als Spielstätten und kulturelle Orte. Aktuell sind sie noch auf einer Stufe mit Bordellen und Spielhallen.
Sollte es zu dieser Anerkennung kommen, werden u.a. baurechtliche Regelungen so verändert, dass etwa Investoren auf den Club als kulturellen Ort Rücksicht nehmen müssen – und ihn nicht einfach so wie bei einer Spielhalle abreißen lassen können. Der Investor muss dann etwa auch für den Lärmschutz sorgen. Er ist dann in der Bringschuld.
Was passiert, wenn die Clubs verdrängt werden?
Ich bin bereits über 50 und gehe immer noch gerne in den Club. Gerade auf dem Lande ist es von elementarer Wichtigkeit Clubs und Discos zu erhalten. Jeder einzelne Bürgermeister muss sich darüber im Klaren sein, wie wertvoll es ist, wenn er so einen kulturellen Ort in seiner Kommune hat. Da muss ich den Viechtacher Rathaus-Chef Franz Wittmann schon a bissal loben, weil er das Projekt Altes Spital zumindest nicht verhindern wollte. Es braucht Kommunalpolitiker, die hier dahinter stehen, die die kulturelle Nahversorgung zu schätzen wissen.
„Nein, den lobe ich nicht“
Somit haben Sie für Bürgermeister Wolfgang Beißmann, der in Pfarrkirchen die Schließung des „Bogaloo“ nicht verhindern konnte, keine lobenden Worte übrig?
Nein, den lobe ich nicht. Aber ich möchte da jetzt auch nicht zu persönlich werden. Der Kommune ist es hier nicht gelungen etwaige Perspektiven zu schaffen. Hier sind die Rahmenbedingungen nicht richtig gesetzt worden. Ein Beispiel, das sich auch andere Kommunalpolitiker genauer anschauen sollten – denn nicht jeder hat eine „Bogaloo Action Crew“ im Hintergrund, die sich fragt, wie es mit so einem Club weitergehen kann.
Vielen Dank für Ihre Zeit – und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer