Viechtach. Seit Marco Lorenz in Viechtach bei der Jugendarbeit die Fäden in der Hand hält, entwickelt sich ein Vorzeigeprojekt nach dem nächsten. Unter der Regie des Diplompädagogen hat Anfang dieses Jahres ein neuer Jugendtreffpunkt eröffnet, wie ihn sich wohl viele Jugendliche in anderen Städten und Gemeinden wünschen würden. Der Höhepunkt jahrelanger Arbeit des Jugendpflegers. Doch: Was ist das Geheimnis seiner erfolgreichen Arbeit? Wie kam es zu der Entwicklung in Viechtach? Das Onlinemagazin da Hog’n hat sich mit Marco Lorenz unterhalten.
Im Januar habt ihr in Viechtach die so genannte WERKSTØD eröffnet. Sie ist viel mehr als ein klassischer Jugendtreff. Was kann man sich darunter vorstellen?
Die WERKSTØD selbst besteht aus drei Teilen: Da ist die Taverne, das klassische Jugendcafé. Dann gibt es den Veranstaltungsraum und die G¥M, die Trendsporthalle, in der gerade die Boulderhalle entstanden ist. Das sind alles Bereiche, in denen Jugendliche sich einbringen können. Wenn jemand klettern gehen will, heißt das jedoch nicht gleichzeitig, dass auch das Café aufgesperrt wird. Jeder darf sich genau da einbringen, wo er möchte. Es soll bald auch eine Art Hausrat geben – ein Gremium mit Mitspracherecht über das gesamte Gebäude.
„Läuft super, mach bitte weiter“
Die WERKSTØD ist also nicht nur Treffpunkt, sondern auch Veranstaltungsort. Wie lief die erste Veranstaltung im Februar ab?
Das ging’s ums Thema Jugendpolitik: Ein Stammtischgespräch mit allen Bürgermeisterkandidaten und -kandidatinnen. Man konnte sich persönlich kennen lernen und es gab eine Vernissage von jugendpolitischen Forderungen. Eine Art Kunstausstellung, die vorgestellt wurde. Im Anschluss hatten wir regionale Hip-Hopper am Start. Es war keine klassische Konzertveranstaltung, sondern eine Konzeptveranstaltung. Ebenfalls ein Novum auf dem Land. Das Feedback war super, sowohl was den politischen Teil betrifft als auch den kulturellen.
Bis das WERKSTØD-Projekt umgesetzt wurde, gab es eine lange Vorgeschichte in Sachen Viechtacher Jugendarbeit. Wie war die Entwicklung?
Ich habe vor mittlerweile gut zehn Jahren eine Stelle angetreten, die sich Jugentreffleitung nannte. Es gab einen kleinen Treff für Jugendliche, mit denen ich etwas unternommen habe – ganz klassische Jugendtreffarbeit, wie man sie sich im ländlichen Raum vorstellt.
Dann kam von der Stadt der Auftrag: Überleg‘ mal, wie Jugendarbeit in Viechtach noch ausschauen, was man hier noch anbieten könnte. Ich habe mich umgehört und bin dann relativ schnell auf das Konzept der Gemeindejugendarbeit gestoßen. Da geht es nicht darum, nur einen Treff zu haben, sondern man fragt sich: Was möchten junge Leute in der Gemeinde grundsätzlich? Welche Jugendkulturen und -bewegungen gibt es, welcher Bedarf besteht, was kann man für Jugendliche in der Gemeinde vorantreiben?
Mit diesem Arbeitskonzept bin ich an den Stadtrat herangetreten – und ich bekam das OK für ein Jahr. Im Anschluss sollte ich berichten. Nach einem dreiviertel Jahr wurde mir bereits mitgeteilt: Das läuft super, mach bitte weiter mit diesem Arbeitskonzept.
„Ich muss als Jugendpfleger keine Themen anschieben“
Das neue Konzept, das du dafür gefunden hast, war die städtische Jugendinitiative „moveVit – beweg Viechtach“. Was genau steckt dahinter?
Mein steter Gedanke dahinter: Ich hätte gerne eine Bewegung in der Gemeinde. Eine Bewegung für Jugendliche, damit diese merken: Jetzt passiert etwas Neues. Vor sechs Jahren hatte der damalige Jugendbeauftragte der Stadt Viechtach den Wunsch geäußert, ein Jugendparlament zu gründen. Ich habe angeregt, zuerst einmal die jungen Leute zu befragen, ob sie da überhaupt Lust drauf haben.
Wir sind dann quasi nochmal einen Schritt zurück gegangen: Wir haben zunächst eine Veranstaltung gemacht, zu der wir die Jugendlichen eingeladen haben. Wir haben das Kino angemietet, abends ein Konzert organisiert. Und dann haben wir ihnen erzählt, wie man sich beteiligen kann. Das Thema lautete: „Jugend bewegt Viechtach – Ich will mich beteiligen, aber wie?“
Wir haben ihnen erklärt, welche Formate es in Sachen Jugendbeteiligung gibt. Ergebnis: Die meisten haben an projektorientierter Jugendarbeit Interesse. Motto: Ich gehe dorthin, ich helfe mit – und danach ist es abgeschlossen. Jugendliche finden es am spannendsten, sich für ein bestimmtes Thema zu engagieren, sich aber nicht über Jahre hinweg zu binden.
Es waren aber auch welche dabei, die sich gut vorstellen konnten, eine bestimmte Zeit lang in einem Gremium mitzuarbeiten. Und auf dieser Basis haben wir 2016 den ersten Jugendrat gewählt. Dort wird die Frage beantwortet: Was interessiert die Jugend aktuell? Ich muss demnach als Jugendpfleger keine Themen anschieben, sondern das Gremium bringt die Themen aufs Tableau.
Welche zum Beispiel?
Da sind coole Sachen entstanden: Wir haben zum Beispiel seit zwei Jahren einen kostenlosen Stadtbus. Das war ein Antrag, den der Jugendrat durchgeboxt hat. Der Rat hat sich mittlerweile in unterschiedlichen Arbeitsbereichen aufgestellt: Nachhaltigkeit und ÖPNV, WERKSTØD, (FREI)Räume, also öffentliche Plätze. Und Demokratie und Gleichberechtigung. In diesen Bereichen haben sich die Jugendlichen langfristig gefunden.
„Es hat nicht lange gedauert – und das Haus war voll“
Und wie ist aus dem einstigen „stinknormalen“ Jugendtreff so viel mehr geworden? Du hast ihn relativ schnell stark ausgebaut, richtig?
Ich habe anfangs ein Stockwerk dazu bekommen (der Jugendtreff befand sich zu der Zeit noch in einem anderen Gebäude, Anm. d. Red.) und einen multifunktionalen Nutzraum daraus gemacht. Die ersten Anfragen gab’s etwa hinsichtlich Tanzangebote für Kids. Ich habe mich darum gekümmert, über den Förderverein Tanztrainerinnen zu organisieren. Dann hatten wir eine Kreativwerkstatt. Einen Hausaufgabenbetreuungsraum. Wir haben versucht, das Haus mehr mit Leben zu füllen. Als noch ein Stockwerk im Haus frei wurde, habe ich angefragt, daraus Musikproberäume zu machen. Es hat also nicht lange gedauert – und das Haus war voll.
Das hast du dann alles allein gemanagt?
Der Probebereich ist sehr autonom gelaufen. Das waren in der Regel ältere Jugendliche mit ihren Bands, die bekamen dann einen Schlüssel. Das hat ohne großen Betreuungsaufwand funktioniert.
Für die Jüngeren, bei denen mehr Betreuer und Trainer gebraucht werden, haben wir hier in Viechtach einen Verein, der uns stark unterstützt. Meine Aufgabe war es, die Strukturen dahinter aufzubauen – und plötzlich war mein Arbeitsalltag ein ganz anderer. Dann hatten auch viel mehr Jugendliche etwas davon. Das waren die Anfänge – und es war schön mitzuerleben, wie die Einrichtung sich entwickelt hat.
Eine gut funktionierende Einrichtung, in der sich junge Leute treffen, musizieren, tanzen – das war dir aber noch nicht genug?
Natürlich ging es dann noch weiter: Ich habe angefangen, Plätze aufzusuchen wie den Skatepark – und habe dort gefragt: Wo möchtet ihr hin, wie geht’s euch? Passt der Platz oder was wünscht ihr euch? Ich habe dann als Zusatzqualifikation „mobile Jugendarbeit – Streetwork“ absolviert.
Du warst als mobiler Jugendarbeiter also immer nah dran an den Jugendlichen?
Mein Job hat sich dahin entwickelt, den Bedarf zu sehen und Ansprechpartner für die Jugendlichen zu sein. Das wurde über die Jahre hinweg immer besser, weil mich die Leute mittlerweile gut kennen. Dann unterstütze ich die Jugendlichen dabei, selbständig Dinge anzupacken, für die es vorher keine Strukturen und keinen Platz in Viechtach gab.
Warum hat es in Viechtach so gut funktioniert?
Es hat sich in Viechtach also eins nach dem anderen entwickelt. Warum hat das hier in dieser Stadt so gut funktioniert? Andere tun sich in diesem Bereich ja sehr schwer…
Wichtig war vor allem, die jungen Menschen als Potenzial und als Standortfaktor in der Kommune zu sehen. Dass man ihnen etwas bietet, um sich verwirklichen zu können. Wenn der politische Wille dazu da ist, ist vieles einfacher. Ebenso gehört dazu, dass man finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stellt. Das eine geht ohne das andere nicht. Das wäre so, als würde man zu einem Maurer sagen: Bau mir ein Haus, ich geb dir aber keine Ziegel.
Man braucht eine Grundlage, hinter der eine sozialräumliche Entwicklungsidee steht, ein Planungswille. Für uns hat eine Studentin zu Beginn eine Online-Umfrage bei Jugendlichen zwischen 14 und 21 durchgeführt. Eine Status-Quo-Abfrage verbunden mit der Perspektive: Wo wollen wir hin? Solche Daten erleichtern vor allem die politische Arbeit – weil wir wussten, welche Interessen die Jugendlichen in Viechtach haben, was sie sich wünschen, mit was sie unzufrieden sind, was sie gerne verändern würden.
Doch der entscheidende Punkt war, dass sich die Heranwachsenden selbst einbringen dürfen. Dass sie nicht nur über die Wandfarbe im Treff entscheiden dürfen. Denn das hat noch nichts damit zu tun, dass sich Jugendliche in der eigenen Gemeinde verstanden und angenommen fühlen.
Die Jugendarbeit ist in meinem Falle immer mehr zur Jugendbeteiligung geworden. Es ist die letzten Jahre immer darum gegangen, Rahmenbedingungen und Plattformen dafür zu schaffen. Ein Kollege hat mal gesagt: Bei dir funktioniert es deshalb so gut, weil du die Jugendlichen vieles selber machen lässt.
Und dann geht es darum, nachhaltig und kontinuierlich an dem Thema zu arbeiten. Das passiert alles nicht in zwei Jahren, das ist klar. Das braucht Zeit. Doch es geht letztendlich um langfristige Planungen. Wenn man diese Punkte bedenkt, dann sollte es funktionieren.
Vielen Dank für das interessante Gespräch – und weiterhin alles Gute für die Zukunft.
Interview: Sabine Simon