Mittwoch, 12. Mai: 60 Tage sind es nun bereits, seit ich von der Schließung des Kindergartens berichtet habe. Im Januar war es noch etwas Außergewöhnliches, wenn Schule und Kindergarten wegen eines Sturms für einen Tag ausfallen mussten. Und nun haben es Eltern und Kinder tatsächlich bereits mehr als acht Wochen miteinander zu Hause aushalten müssen. Viele sehen die Situation anscheinend tatsächlich so. Denn immer wieder lese ich nun Sätze wie den von Sachsens Kultusminister Christian Piwarz: „Für nicht wenige ist die Schmerzgrenze erreicht.“

„Schmerzgrenze“? Tut es weh, wenn Kinder nicht in den Kindergarten gehen dürfen? Ist es für „nicht wenige“ tatsächlich eine so extreme Belastung, kleine Kinder zu Hause zu betreuen? Ich will damit nicht sagen, dass es einfach ist, sie rund um die Uhr zu beaufsichtigen, mit ihnen zu spielen, zu basteln, zu lesen und so vieles mehr. Ich weiß, was das bedeutet. Ich habe schließlich selbst drei davon. Und ich behaupte auch keinesfalls, dass bei uns ununterbrochen Harmonie herrscht. Im Gegenteil: Auch meine Jungs testen derzeit sehr oft aus, wie lange sie schreien oder streiten können, bis die Mama laut wird.
Kinder, Vollzeitjob, Freizeit: Viele wollen alles
Natürlich freue auch ich mich auf den ersten Vormittag, an dem ich wieder ganz in Ruhe all das erledigen kann, was zu erledigen ist – und danach vielleicht sogar noch Zeit dafür bleibt, eine Runde mit dem Rad zu drehen. Ohne Kind im Anhänger hinten dran. Natürlich wäre es auch für mich eine enorme Erleichterung, wenn ich vormittags arbeiten könnte – und nicht mehr die Abende am Laptop verbringen würde.

Dass ich mich aber noch nicht an meiner „Belastungsgrenze“ angekommen fühle, liegt vor allem daran, dass ich schon vor der Geburt meines Ältesten beschlossen habe, im Job kürzer zu treten. Dass wir die Großstadt verlassen haben, um nicht in die belastende Situation zu geraten, hohe Mietkosten und zusätzlich hohe Kita- und Kindergartengebühren stemmen zu müssen. Und dass wir nun meine Schwiegereltern als Unterstützung im Haus haben.
Dass so viele Familien so extrem auf die Kinderbetreuung in Kitas und Kindergärten angewiesen sind, dass eine mehrwöchige Schließung sie so derart stresst, liegt in meinen Augen an den Vorstellungen des perfekten Lebens in unserer Gesellschaft: Erfüllt und glücklich kann eine Frau (und ein Mann) doch nur sein, wenn sie Erfolg im (Vollzeit-)Job hat, gleichzeitig aber nicht auf das Kinderkriegen verzichten muss – und natürlich auch noch jede Menge Zeit „für sich“ hat.
Was hinzu kommt: Viele Eltern fühlen sich meist schlecht, wenn sie es nicht schaffen, sich ausgiebig mit ihren Kindern zu beschäftigen. Von allen Seiten prasselt auf uns ein, wie wissbegierig Kleinkinder sind, was sie alles lernen, erleben und erfahren möchten. Wer all das liest, was in Erziehungsratgebern, Internetforen oder Facebook-Gruppen steht, hat automatisch den Eindruck, keine gute Mama zu sein. Wenn einem sofort angekreidet wird, wenn der Sohn oder die Tochter mal ein paar Minuten länger vor dem Fernseher sitzt oder wenn er/sie sich nicht optimal ernährt, werden die Erwartungen an Eltern so hochgeschraubt, dass wohl kaum jemand sie erfüllen kann. Und da hilft dann auch der Rat nicht, dass man sich nicht so sehr stressen sollte…
Ansteckungsgefahr im Kindergarten nach wie vor unklar
Kontakt mit anderen Kindern, Spiel- und Lernmöglichkeiten: Kindergärten sind wichtig und wertvoll. Niemals, wirklich niemals würde ich aber meine Kinder mit auf eine Demonstration gegen die Corona-Regeln nehmen und dort fordern, dass Kinderbetreuung nun endlich wieder für alle Buben und Mädchen öffnen sollte. Auch wenn es vorsichtige Vermutungen gibt, dass die Kleinen das Coronavirus eventuell nicht so stark übertragen wie Erwachsene: Als Mama weiß ich, wann und wo ich all die Krankheiten „aufgeschnappt“ habe, die ich zuvor jahrelang nicht durchleiden musste. Im ersten Kindergartenjahr macht quasi jede Familie eine Erkältung nach der nächsten Mittelohrentzündung, Grippe, Viruserkrankung und-so-weiter-und-so-fort durch…

Es hat also seinen Grund, warum die Politik vorsichtig bleibt, auch wenn Heranwachsende meist nicht schwer an Covid19 erkranken. So lange nicht definitiv erwiesen ist, dass sie das Virus weniger stark verbreiten als Erwachsene, wäre es fahrlässig, zu schnell zu viele Kinder zurück in die Kindergärten und Kitas zu schicken. Strenge Hygienevorschriften und Abstandsregeln sind mit den Kleinsten schließlich kaum durchführbar. Und diejenigen, die auf die Betreuung am stärksten angewiesen sind, können auch in Bayern spätestens seit dieser Woche die Notbetreuung nutzen. Nicht nur Kinder, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, sondern auch Kinder mit erhöhtem Förderbedarf werden nun betreut.
Wir schaffen auch noch ein paar weitere
Ich persönlich habe kein Datum vor Augen, auf das ich hinfiebere, weil meine Buben dann endlich zurück in den Kindergarten dürfen. Wenn ich einen anstrengenden Tag mit viel Weinen oder Streiten hinter mir habe, versuche ich mir bewusst zu machen, wie schnell die letzten acht Wochen vergangen sind. Und dann bin ich mir sicher: Wir schaffen auch noch ein paar weitere.
Sabine Simon
Warum gibt es nur die beiden Extreme „Kinder sind eine Belastung“ oder „ich liebe meine Kinder über alles“
Um persönlich zufrieden und ausgeglichen zu sein, gehört für viele ein ausgewogenes Leben. Und genau das fehlt im Moment. Dabei geht es ganz und gar nicht darum, dass ich meine Kinder nicht liebe.
Ich hab unglaublich Freude an meinem Job und hab gern ein eigenes Unternehmen. Das sehen auch meine Kinder, das Arbeit zum Leben gehört und es das Leben bereichert und nicht wie bei leider so vielen, den Kindern der Eindruck vermittelt wird, Arbeit muss man machen, aber toll ist es nicht.
Und das so eine Situation, wie wir sie jetzt haben, das Leben erschwert, darf man tatsächlich nicht sagen?
Dass den Kindern ihre Freunde fehlen? Was ist daran verwerflich?
Ja, da geb ich dir recht, in die Vergangenheit geblickt, vergeht die Zeit schnell. Auch unsere knapp 4 Monate, die wir aufgrund persönlicher Umstände als Familie „zusammen hocken“ sind vergangen. Grundsätzlich war es auch ok, aber es waren zwei extreme Wochen drin, an denen wir an unserer Belastungsgrenze waren. Das lässt sich nicht leugnen. Aber da kommen viele Faktoren zusammen. Der Beruf ist einer, aber wenn die Kinder dann einfach nicht mehr mögen, und dich nur noch ausreizen, dann bist du kurz davor das Handtuch zu werfen.
Für uns ist es halt trotz Corona-Ausnahmezustand KEINE Lösung, plötzlich unsere Mediennutzung in Frage zu stellen. Unsere Kinder schauen nach wie vor maximal 2-3 mal pro Woche kurz Fernsehen, manchmal auch eine oder zwei Wochen gar nicht. Klar, Tablet und Co beschäftigen die Kids natürlich. Wenn ich mit anderen Eltern spreche, „Dann sehen die das nicht so eng mit dem Fernseher“, aber mir werfen sie vor, ich kann nicht auf meine Kinder aufpassen?
Was wir nicht sehen wollen ist die Situation, der auch unsere Kinder gegenüber stehen. Sie sind komplett unserem Alltag ausgeliefert. Sie dürfen ja nicht mehr mit zum Einkaufen, sie dürfen nicht zu ihren Freunden. Hier auf dem Land haben wir ja noch Haus und Garten und Natur, aber selbst die haben sie nur mit Mama und Papa. Wir verlassen immerhin das Haus zum Einkaufen und Arbeiten und nehmen uns die Freiheiten, soweit die Situation es zulässt. Die Kinder können das nicht. Warum darf auch ein Kind nach x Wochen nicht mal die Nase voll haben von Mama, Papa und Geschwistern?
Jede Mama und jeden Papa schmerzt eine Unterstellung, die Kinder seien eine Belastung. Das werden auch kaum Eltern sagen, auch wenn es oft so dargestellt wird. Dass trotzdem der Kindergarten zu einer gesunden Erziehung dazu gehören soll, ist dann plötzlich nebensächlich. Freunde und Impulse von Erzieherinnen sind nun unwichtig?
Ich finde es schade, dass plötzlich Eltern mit Fingern auf andere Eltern zeigen und in besser und schlechter unterteilen, bloß weil ein Teil davon die Betreuung von Kindern fordert.
LG Regina
Hier eine andere Sicht auf die Dinge: https://dastoa.com/coronaeltern-warum-wir-unseren-kindern-keinen-gefallen-tun-belastung-fuer-familien-auswirkungen-auf-psyche-der-kinder/