Passau. „Not macht erfinderisch“ – und selten waren Menschen aus den verschiedensten Ländern, Kontinenten, Altersgruppen und Arbeitsbereichen zur gleichen Zeit derart betroffen, wie in diesem Corona-Jahr. Die weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus erfordern in nahezu allen Lebensbereichen Kreativität und neue Ansätze. Während Homeschooling, Online-Uni und Arbeiten von Zuhause aus die einen vor neue Herausforderungen stellt, sind Inhaber kleinerer Geschäfte oder Gastronomiebetriebe ebenfalls darauf angewiesen, erfinderisch zu sein.
Schnitzel aus dem Fenster, Pesto an die Haustür
Ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung ist von den Corona-Maßnahmen unmittelbar betroffen: Schätzungsweise vier Millionen Beschäftigte befinden sich derzeit in Kurzarbeit, viele haben ihren Job bereits verloren. Vor allem kleinere Geschäfte, Gastronomiebetriebe oder Solo-Selbstständige fürchten um ihre Existenz. Während große Ketten bereits über einen Online-Shop verfügen und somit zumindest einen Teil ihrer Einnahmen sichern können, sind lokale Händler häufig nur „analog“ vertreten.
Doch anstatt aufzugeben, werden viele Menschen in diese Tagen kreativ. Gerade, wenn im eigenen Restaurant oder Ladengeschäft ein verwirklichter Lebenstraum und somit eine Menge Herzblut steckt, lohnt es sich zu kämpfen. Deshalb gehen etwa viele Passauer unkonventionelle Wege, um auch während der Corona-Krise weiterhin für ihre Kundschaft da zu sein – und die eigene Existenz zu retten.
Die ersten Sonnenstrahlen im Café genießen, die Kommilitonen auf einen Wein treffen oder den Partner zum Abendessen ausführen – in Zeiten der Abstandsregelungen: unmöglich. Wer trotzdem nicht auf die Küche der Lieblingsgaststätte verzichten oder sich bequem Getränke nach Hause liefern lassen möchte, findet derzeit genügend Anlaufstellen: Das „Kowalski“ in Passau etwa nimmt täglich ab 10 Uhr Bestellungen entgegen. Online finden Kunden dort eine extra To-Go-Karte. Die Mitarbeiter des Restaurants nehmen Abhol-Bestellungen entgegen und reichen diese dann durch ein Fenster nach draußen. Und auch die Fans der selbstgeschabten Spätzle und frischen Pestos aus „Juli’s Spätzlerei“ müssen nicht auf ihre Leibspeisen verzichten – ob vakuumverpackt oder im Pfandglas: geliefert werden Naturspätzle, einzelne Pesto-Spezialitäten und sogar fertige Gerichte, die schnell und einfach daheim zubereitet werden können.
Currywurst per Taxi
Anstatt To-Go gibt es bei der „Zeche 14„ eine weitere innovative Idee: Betreiber Maurice Cremers sieht von einem Fensterverkauf ab, weil ihm das Ansteckungsrisiko zu groß ist. „Da wir ja nur abends geöffnet haben, würde sich die Kundschaft nicht über den Tag verteilen. Deshalb wäre ein großer Andrang zu erwarten – das geht gerade einfach nicht.“
In Verzicht müssen sich die Stammgäste der Kneipe aber nicht vollends üben: Ob die beliebte Bochumer Currywurst, Chicken- und Chilli-Cheese-Nuggets oder Chilli sin Carne – das „Zechentaxi“ fährt jeden Abend ab 20.30 Uhr seine Runden und liefert all die notwendigen Zutaten aus, die schnell und einfach daheim kombiniert werden können. Gegen den Durst gibt’s Flaschenbiere und Softdrinks, die ebenfalls per Facebook-Nachricht oder E-Mail bei der Zeche 14 bestellt werden können. Der tägliche Bestellannahmeschluss fällt auf 20 Uhr.
Kino-Feeling für daheim – und Live-Musik gegen den Frust
Da derzeit auch das ProLi-Kino geschlossen bleibt, hat sich Betreiberfamilie Vesper verschiedene Aktionen überlegt. „Seit Ostern haben wir unser Bestell-Sortiment um Kuchen, Cookies und weitere Gebäcke erweitert“, berichtet Inhaberin Juli Vesper. Nun bietet die Passauer Kino-Unternehmensgruppe zudem eine besondere Motivation zum Zuhause-Bleiben an, um dem klassischen Kino-Erlebnis möglichst nahe zu kommen:
Die ProLi-Crew liefert Popcorn, Nachos und weitere Kino-Snacks nach Hause. „Die Popcorn-Maschine können wir ja weiterhin nutzen“, berichtet Juli Vesper und ergänzt: „Bei der Zubereitung zu Hause kommt man an den klassischen Kino-Geschmack meist nicht heran.“ Und auch sonst machen die Vespers und ihre Mitarbeiter derzeit wenig Pause: „Die Zeit können wir gut nutzen, um an neuen Ideen zu arbeiten und nach der Wiedereröffnung mit der ein oder anderen Neuigkeit zu überraschen.“
Auch Fans von Live-Musik müssen momentan auf vieles verzichten. Gerade jetzt im Frühjahr, da Maidult und erste Open-Airs ihren Auftakt feiern würden, ist die Stimmung doch recht getrübt. Und so treffen die Absagen der unterschiedlichen kulturellen Angebote nicht nur die Gäste, sondern vor allen Dingen die Veranstalter selbst. Um die Stimmung der Musikfreunde wenigstens etwas zu heben und seiner Lieblingstätigkeit weiterhin nachgehen zu können, ließ sich Jan Taubmann etwas einfallen: Der Mitgründer der „Villa TuNichtGut“ arbeitet als DJ und hatte für 2020 eine Menge Auftritte geplant. „Viele meiner Freunde sind natürlich enttäuscht, dass nun alles abgesagt ist“, sagt der 29-Jährige gegenüber dem Hog’n.
Hinzu kommt die belastende Situation an sich. Und da Musik bekanntlich gute Laune macht, hat Jan im April zwei Mal zum „Lovestream“ und zum „Deeper LoveStream“ aufgelegt. An der Veste Oberhaus baute der Musiker dazu sein DJ-Pult auf – und hatte so nicht nur einen tollen Blick über die Stadt, sondern konnte auch den Abstandsregelungen gerecht werden. Die Musik-Sessions wurden per Livestream übertragen. Eine Idee, die offensichtlich auf Zuspruch gestoßen ist: Zahlreiche Passauer reagierten in ihren Instagram-Stories, indem sie zur Musik tanzten.
Zusammenhalt statt Konkurrenz
Ob wörtlich genommenes „Window-Shopping“ (Ladenbetreiber hinterlassen Kontaktinformationen an der Fensterscheibe, wodurch Kunden die Möglichkeit haben, Artikel aus der Schaufensterauslage zu bestellen), Abholdienste oder Corona-Facebook-Gruppen: Die Corona-Pandemie betrifft die Menschen – auf individueller Ebene und auch als Gemeinschaft. Umso schöner ist es, dass nicht nur Auswüchse wie Hamsterkäufe aus der Situation resultieren, sondern auch Kreativität und Zusammenhalt.
Innerhalb kürzester Zeit wurden diverse Instagram-Seiten erstellt, die über die aktuellen Angebote lokaler Händler und Gaststätten informieren und die Verbreitung von Kontaktinformationen unterstützen. Auch die Hochschulgruppe „Enactus Passau“ reagierte schnell: Unter dem Namen @supportyourlocalspassau veröffentlichten sie bereits am 24. März die ersten Ankündigungen neuer Konzepte.
In Notzeiten ist für Konkurrenzgedanken kein Platz: Viele lokale Anbieter unterstützen einander, verlinken die Angebote ihrer Mitstreiter oder kooperieren auf unterschiedlichen Ebenen. Die Krise zeigt: Die Kleinstadt Passau hält nicht nur bei Hochwasser zusammen, sondern auch in Ausnahmesituationen wie dieser.
Malin Schmidt-Ott