Donnerstag, 30. April: So ganz wohl fühlte ich mich nicht in meiner Haut – obwohl das, was ich tat, eigentlich alltäglich und keinesfalls verboten ist: Ich war heute Einkaufen in einem nahe gelegenen Lebensmittelgeschäft. Im Korb landeten Zahnpasta, Wurst, Käse, Joghurt und Milch. Dieser Vorgang an sich ist eigentlich nichts Außergewöhnliches – auch nicht in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen. Und dennoch machte sich in mir eine Art Unwohlsein breit. Einerseits wegen der vielen Gesichtsmaskenträger und der zahlreichen Abstandshinweise im Geschäft. Andererseits, weil ich mich irgendwie beobachtet fühlte. Ein eigenartiges Gefühl, das ich in dieser Form beim Einkaufen bisher nicht kannte – sondern vielmehr Erinnerungen an Kindheitstage weckte, in denen man etwas tat, was die Eltern eigentlich verboten hatten…
„Maximale Verunsicherung“ nennt Norbert Kremsreiter meine unterbewusste, soeben beschriebene Wahrnehmung, die seiner Meinung nach in diesen Tagen kein individuelles, sondern ein kollektives Phänomen darstellt. Der Vorsitzende der Freyunger Werbegemeinschaft weiß, wovon er spricht. Seit Anfang der Woche haben in Folge der von Ministerpräsident Markus Söder verkündeten Corona-Lockerungen faktisch alle Geschäfte in der Kreisstadt wieder geöffnet. Als Sprecher der Geschäftsleute hatte er in letzter Zeit die Stimmungsschwankunge seiner Kollegen immer wieder hautnah miterlebt. Das Staunen und die Angst zu Beginn der Coronakrise, die Sorgen und Existenzängste im weiteren Verlauf – und nun auch die Freude über die Wiedereröffnung in Verbindung mit großer Verunsicherung.
„Die, die kommen, kaufen ganz bewusst“
„Vor allem die Masken haben großen Einfluss auf die Psyche der Geschäftsleute und Kunden. Sie sind das Symbol für die maximale Verunsicherung“, verdeutlicht Kremsreiter. „Keiner weiß so richtig, was man tun darf und soll. Das liegt aber nicht an den vielleicht zu lockeren Vorschriften, sondern an der Angst jedes Einzelnen, irgendetwas falsch zu machen.“ Der Chef der Werbegemeinschaft ist davon überzeugt, dass deshalb vorerst Geschäftssparten wie Sport und Technik hinten anstehen. Die Bürger würden ihre Besorgungen auf notwendige Einkäufe beschränken und daher Lebensmittelläden bevorzugen. In der Folge sei die Stimmung unter den Geschäftsleuten trotz lange herbeigesehnter Wiedereröffnung „etwas mau“ – wenngleich ein „überraschend guter“ Umsatz zu verzeichnen sei.
Zwar würden weniger Leute als gewohnt die Läden aufsuchen. Das Interesse an den Produkten sei jedoch – wie zu normalen Zeiten – groß. Gezieltes Shoppen stehe auf der Tagesordnung – weniger zerstreutes Bummeln. „Die, die kommen, kaufen ganz bewusst und auch gut ein“, berichtet Norbert Kremsreiter. Die Lockerung der Ausgangsbeschränkung ist aus seiner Sicht zum genau richtigen Zeitpunkt in Kraft getreten. „Der absolute Super-GAU, sprich: Insolvenzen, kann somit abgewendet werden. Die absolute Talsohle ist durchschritten.“
Eine gewisse Verunsicherung wird bleiben
Worte, die eine beruhigende Wirkung erzielen. Auf mich, weil ich mit meiner neuen Einkaufsgefühlswelt nicht alleine bin. Auf uns alle, weil die regionale Geschäftswelt die Krise wohl unbeschadet zu überstehen scheint. Es geht wieder aufwärts, wie die Worte des Werbegemeinschaftsvorsitzenden einem signalisieren. Doch ein Hauch von Verunsicherung in vielerlei Hinsicht bleibt. Denn eines hat mich die Coronakrise bis dato definitiv gelehrt: Nichts ist so sicher wie das Ungewisse…
Helmut Weigerstorfer